50 Jahre Mutter-Kind-Pass – eine Reform ist lange nicht genug
Seit 50 Jahren gibt es den Mutter-Kind-Pass, seit einem Jahr heißt er Eltern-Kind-Pass, und bei allen Streitigkeiten über die Aufgaben des Staates, die Qualität des Gesundheitssystems und Zuständigkeiten: Es herrscht weitreichende Einstimmigkeit, dass der Mutter-Kind-Pass in diesem halben Jahrhundert viel zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern und zur Reduktion von Müttersterblichkeit beigetragen hat und damit ein Erfolgsmodell ist.
Klar ist aber auch, dass es nach 50 Jahren inhaltliche Reformen braucht. Die Digitalisierung ist zwar ein guter Schritt, aber auch die Inhalte müssen angepasst werden. Grundsätzlich wurde im Nationalrat beschlossen, das der Pass bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet wird; wann und wie das geschehen soll, ist aber noch unklar. Der Weg zu dieser Weiterentwicklung ist allerdings lang, schwierig und voller Stolpersteine – allein durch die Abstimmung zwischen den Ministerien. Denn im Gesundheitsministerium ist man inhaltlich zuständig, ab 2014 gab es dort eine sogenannte Reformgruppe, die sich um die Weiterentwicklung kümmerte. Im Zuge dessen gab es hunderte Seiten Berichte, wie ähnliche Programme in anderen Ländern aussehen, unzählige Sitzungen, welche Untersuchungen am sinnvollsten wären und wohl auch Diskussionen über die Finanzierung. Ab diesem Zeitpunkt sind mehrere Parteien involviert, und das sorgt meist für Probleme.
Viele Köche verderben den Brei
Der Eltern-Kind-Pass wird nämlich aus dem Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) bezahlt, und dieser wird vom Familienministerium verwaltet. Das bedeutet auch, dass zwei Ministerien über die inhaltliche Ausgestaltung diskutieren müssen – und an diesem Punkt kommt Ideologie ins Spiel. Eine rein faktenorientierte Diskussion über Reformen hätte sehr einfache Abläufe:
- Was sind die häufigsten Gesundheitsprobleme von Kindern und Jugendlichen?
- Mit welchen Untersuchungen können diese schneller entdeckt und in Behandlung gebracht werden?
- Und: Wie viel kann das kosten?
Nachdem es in Österreich kaum valide Informationen über die Krankheitshäufigkeit in der Bevölkerung gibt, kann schon die erste Frage gar nicht beantwortet werden. Daher wurden Analysen von Versorgungsprogrammen anderer Länder angestellt, und auf deren Basis könnte eine Entscheidung über zusätzliche Untersuchungen getroffen werden. Allerdings geht es in der Diskussion nicht nur um medizinische Untersuchungen, sondern darum, dass sozioökonomische Benachteiligung oft zu Gesundheitsproblemen führt. Zur Abfederung der sozialen Komponente gibt es auch schon ein Instrument – und zwar die frühen Hilfen.
Soziale Aspekte berücksichtigen
Diese wurden vor gut zehn Jahren als erste Pilotprojekte in einigen Bundesländern eingeführt, Ende Dezember 2023 wurde zur langfristigen Finanzierung eine eigene 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern abgeschlossen. Eine Verknüpfung zwischen Frühen Hilfen und dem Eltern-Kind-Pass will die ÖVP aber nicht. Dort wird stattdessen auf die Familienberatungsstellen verwiesen, die (wiederum) als Pilot jetzt in den Pass integriert werden. Eine teure und komplizierte Doppelgleisigkeit. Besonders weil die Familienberatungsstellen gesetzlich zur Anonymität verpflichtet sind – sie können also gar nicht an den Pass gekoppelt werden.
Die Motive der ÖVP dazu lassen sich aber leicht finden. Denn das Familienministerium unter Susanne Raab hat die St.-Elisabeth-Stiftung der Erzdiözese Wien mit der Ausarbeitung des Programms beauftragt. Die Vermutung, dass Ideologie die Doppelgleisigkeit zu den Frühen Hilfen bedingt, ist also naheliegend. Im Sinne der Transparenz und auch der einfacheren Abwicklung wären die Frühen Hilfen die logische Anlaufstelle, immerhin werden auch sie aus dem Gesundheitsministerium gesteuert. Zugegebenermaßen mit Beteiligung der Bundesländer, aber immerhin ist dort nur ein Ministerium zuständig. Unabhängig von der Durchführung gibt es aber in der Gesundheitsbranche und selbst bei der Ärztekammer einen breiten Konsens, dass soziale Aspekte im Eltern-Kind-Pass stärker berücksichtigt werden sollten.
Verhandlungen auf allen Ebenen
Wie das genau funktionieren soll, ist aber fraglich. Denn die Abrechnung erfolgt über die Versicherungsträger, und dementsprechend spiegeln sich die Probleme des regulären Gesundheitssystems wider. Denn die Kassen haben nicht mit allen Berufsgruppen eigene Verträge, daher ist die Erweiterung um andere Untersuchungen teilweise schwierig. So wird beispielsweise immer wieder eine Untersuchung von Kindern bei Logopädinnen gefordert, und ähnliche Probleme gibt es auch bei zahnärztlichen Untersuchungen, da die Zahnärzte eine eigene Kammer als Verhandlungspartner haben. Das sind aber nur die Änderungen, die schon in der jetzigen Untersuchungsform bis zum sechsten Lebensjahr inkludiert wären. Wiewohl der Anteil der Eltern, die die letzte Untersuchung rund um den fünften Geburtstag des Kindes nutzen, relativ gering ist.
Für Kinder ab dem Schulalter werden die Diskussionen über weitere Untersuchungen theoretisch einfacher. Denn mit dem Schulbesuch wird theoretisch der Zugang zu Schulärzt:innen sichergestellt, und diese sollten jährliche Untersuchungen durchführen sowie Impfungen anbieten. Tun sie aber nicht unbedingt, wie eine Studie des Bildungsministeriums bestätigt: Durch eine Anbindung von Schulärzt:innen, die Einführung von School Nurses oder auch einfach ein Herstellen des vorgesehenen Zustands könnten aber schon große Schritte zur Verbesserung der Versorgung hergestellt werden. Denn gerade zu Zeiten der Einschulung oder während der Pubertät kommt es bei Kindern mit beispielsweise chronischen Krankheiten oft zu einem sogenannten Versorgungsbruch. Das bedeutet eine Verschlechterung der chronischen Krankheit und damit des langfristigen Gesundheitszustands. Könnten Kinder mit Diabetes oder Asthma aber einfach Schulärzt:innen zur Behandlung oder Beratung aufsuchen, müssten Eltern nicht unbedingt so viel Zeit mit der Suche nach Arztterminen verbringen, und gerade Jugendlichen könnte dies auch dabei helfen, ein besseres Vertrauensverhältnis zu Ärzten herzustellen und damit auch eine gute Basis für ihre Gesundheitskompetenz zu legen.
Mehr als Scheinreformen nötig
Gerade solche Änderungen sind eben sehr weitreichend und müssen auch die verschiedenen Verantwortungsbereiche abdecken. Denn die Untersuchungen für den Eltern-Kind-Pass kommen eben aus dem Budget des Familienministeriums, und für die Familienberatungsstellen werden aus einem anderen Budgetposten des Familienministeriums nun ergänzt. Doch auch aus dem Gesundheitsministerium gibt es Geldmittel für den Pass – und spätestens, wenn das Schulgesundheitssystem involviert würde, wäre mit den jetzigen Finanzströmen aus Bildungsministerium, Ländern und Gemeinden das Chaos perfekt.
Genau deshalb wäre es so wichtig, dass diese Reform auch angegangen wird und das Bekenntnis zu einer Weiterentwicklung bis zum 18. Lebensjahr nicht einfach ein Lippenbekenntnis bleibt. Denn in vielen Ländern gibt es Gesundheitsprogramme, die über das sechste Lebensjahr hinausgehen und dort auch zu guten Ergebnissen in der Gesundheitsversorgung führen. Damit solche Programme in Österreich auch aus dem früheren Mutter-Kind-Pass entstehen können und der nicht nur ein Erfolgsprojekt war, sondern auch der Eltern-Kind-Pass ein Erfolgskonzept der Zukunft wird, braucht es aber umfassende Reformen, die dringend angegangen werden müssen.