„A.C.A.B.“ bringt uns nicht weiter
Das Akronym „A.C.A.B.“ entstand in den 1970er und 1980er Jahren im englischsprachigen Raum und heißt frei übersetzt „Alle Bullen sind Schweine“. Die Wut auf die Polizei ist insbesondere in Jugendsubkulturen weit verbreitet. In der breiten Bevölkerung hingegen genießt sie hohes Vertrauen. Aber: Kann die Polizei überhaupt ihrer im liberal-demokratischen Rechtsstaat vorgesehenen Rolle gerecht werden? Und wie ist sie eigentlich entstanden? Eine Analyse.
Der Begriff Polizei stammt ursprünglich aus dem Altgriechischen und bedeutet „Stadt“. Im alten Rom fungierte er als Bezeichnung für die gesamte öffentliche Verwaltung. Im österreichischen Verwaltungsrecht wird der Ausdruck allgemein für die Abwehr spezifischer Gefahren verwendet, weswegen beispielsweise von Bau- oder Feuerpolizei die Rede ist.
Die ersten der Polizei nahekommenden Einrichtungen gab es erst im Mittelalter in Form von Stadt- und Nachtwachen. Diese waren dafür zuständig, Eindringlingen den Zutritt zu Städten zu verwehren und für den Erhalt der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in ebendiesen zu sorgen. Polizeiähnliche Institutionen rückten in weiterer Folge immer weiter in die Lebensbereiche der Bürger:innen vor. Widerstand gegen diese Tendenzen kam dabei ausgerechnet vom politischen Liberalismus, der die Aufgaben des Staates auf die Gewährleistung der Freiheit und Sicherung des Eigentums zurückdrängen wollte. Dementsprechend wurde der Begriff „Polizeistaat“ seit der Aufklärung als repressiv verstanden.
Ein weiteres liberales Ereignis brachte ordentlich Schwung in die Organisationsentwicklung der Polizei: Die Revolution 1848 führte zur Entstehung der Kriminalpolizei (Kripo). Erstmalig war es von vorrangigem (rechts)staatlichem Interesse, Straftaten aufzuklären, und nicht das Privatleben der Leute zu bespitzeln. Im Zuge dessen wurde die Polizei von der militärischen Gewalt losgelöst und die Strafgewalt den Gerichten übertragen. Die Polizei entwickelte sich seither, parallel zur Geschichte der liberalen Demokratie, immer mehr von einer autoritären Staatsgewalt hin zu einer Hüterin für Ordnung und Sicherheit. Heutzutage soll sie im Sinne von Democratic Policing, Community Policing und Value Based Policing den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Menschenrechte folgen.
Das Problem Machtmissbrauch
Obwohl die geschichtlich relativ neue Ausrichtung der Polizei für die Aufrechterhaltung unserer liberalen Demokratie essenziell ist, ist sie dennoch nicht frei von Fehlern. Ausgestattet mit enormer Machtfülle, vollzieht sie das Gewaltmonopol des Staates, das natürlich auch missbräuchlich genutzt werden kann. Entsprechend muss sie auch der Kontrolle und Transparenz in einem demokratischen System unterworfen werden.
Und das wurde in Österreich leider nicht gänzlich verwirklicht, denn: Meldungen von überschießender Polizeigewalt landen regelmäßig in den Tagesnachrichten, auch wenn solche Vorkommnisse nur einen kleinen Bruchteil der Polizist:innen betreffen. Um diesem Machtmissbrauch zu entgegnen, ist es entscheidend, zwei Perspektiven einzunehmen: jene der Betroffenen und jene der Polizeibeamt:innen.
Grundsätzlich müssen Fälle vermeintlicher Polizeigewalt restlos aufgeklärt werden – das war und ist bis dato aber schwer möglich. Einerseits besteht nämlich das Problem, dass Ermittlungen von vermeintlich strafbaren Handlungen auch von der Polizei selbst angestellt werden. Wenn ein:e Polizist:in sich falsch verhält, wird dieses Fehlverhalten von anderen Polizist:innen untersucht.
Dass diese Selbstkontrolle keine sachgerechte Lösung sein kann, ergibt sich schon auf den ersten Blick. Eine Studie des Austrian Center for Law Enforcement Sciences hat ergeben, dass es in den seltensten Fällen zu einer Anklage oder gar einer Verurteilung kommt. Die vermeintlich Betroffenen sind in weiterer Folge sogar dem Risiko einer Verleumdungsanzeige ausgesetzt. Darüber hinaus droht die Gefahr, dass zwischen Staatsanwält:innen und Polizist:innen aufgrund der oft direkten Zusammenarbeit ein zu enges Naheverhältnis besteht.
Andererseits verrichten Polizist:innen im Großen und Ganzen sehr gute Arbeit und genießen daher, wie schon dargelegt, ein extrem hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Tätigkeit der Exekutivbeamt:innen im Außendienst ist außerdem dem Grunde nach keine einfache. Permanent der Gefahr eines Angriffs ausgesetzt zu sein oder respektloses Verhalten von Bürger:innen setzen den Polizist:innen naturgemäß zu.
Mängel bei unabhängiger Beschwerdestelle
Ein erster grundsätzlich richtiger Lösungsansatz hinsichtlich unabhängigen Ermittlungen von überschießender Polizeigewalt ist die Einrichtung einer Ermittlungs- und Beschwerdestelle. Das von den Regierungsfraktionen in diesem Zusammenhang beschlossene und gerade in Umsetzung befindliche Gesetz bringt aber mehrere Probleme mit sich: Auch wenn die Beschwerdestelle außerhalb der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit angesiedelt wird, wird sie dennoch im Innenministerium (BMI), genauer im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), eingerichtet. Einer polizeilichen Behörde also.
Wie die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gezeigt haben, ist das BAK durch die ÖVP, die fast durchgehend seit mehr als 20 Jahren die Innenminister:innen stellt, personell ausgeblutet worden. Zudem ist das Amt aufgrund der organisatorischen Zuteilung im BMI der Weisungsbefugnis des Innenministers ausgesetzt.
Menschenrechtliche Standards, die sich unter anderem aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben, fordern dagegen institutionelle und hierarchische Unabhängigkeit, die auch praktisch bestehen muss. Es wäre also für alle Beteiligten besser, die Beschwerdestelle würde außerhalb des BMI angesiedelt werden. Dadurch würde nicht nur das Vertrauen der Betroffenen, sondern auch jenes der Bevölkerung in die Polizei deutlich gestärkt werden.
Baustellen und Lösungsansätze
Der Beruf des:der Polizist:in bringt eine enorme Verantwortung mit sich, und dafür ist eine qualitativ hochwertige Ausbildung erforderlich. Die enorme Arbeitsbelastung, horrende Überstunden und familienfeindliche Arbeitszeiten sorgen aber für einen Personalabfluss. Man sollte sich demnach fragen, wie man die polizeiliche Arbeit attraktiver macht. Der Schließung dieser Personallücke versucht der Innenminister – wenig erfolgversprechend – mit der stetigen Herabsetzung der Aufnahmebedingungen für den Polizeiberuf zu begegnen.
Bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen indes würden den Personalabfluss deutlich stoppen, da die Zufriedenheit im Job dementsprechend steigt. Gut ausgebildete Polizist:innen, die darüber hinaus faire Arbeitsbedingungen vorfinden, sind auch weniger gefährdet, die ihnen zugewiesene Macht zu missbrauchen.
Ferner wären regelmäßige Schulungen wichtig, die den Weg weg von einer mit übertriebenem Autoritätsverständnis hin zu einer mit stärkeren kommunikativen Fertigkeiten ausgestatteten Polizei weiter fortsetzen. Deeskalation muss dabei stets zur Handlungsmaxime erhoben werden.
Ein weiteres systematisches Problem, das in der österreichischen Polizei bekämpft gehört, ist jenes des Racial Profiling. Schwarze Menschen werden in der Republik laut dem Fundamental Rights Report 2021 nämlich doppelt so oft von der Polizei angehalten wie weiße Menschen. Damit ist sie unrühmliche Spitzenreiterin im EU-Vergleich. Eine sich positiv auswirkende Maßnahme dagegen wäre die Rekrutierung von People of Color (PoC) innerhalb der Polizei: Erstens würde dadurch die österreichische Bevölkerung stärker repräsentiert; zweitens käme es durch den unmittelbaren Austausch von Polizist:innen mit PoC zu einer Sensibilisierung für Anliegen und Probleme jener; drittens würde hierdurch das Misstrauen von PoC gegenüber der Polizei abnehmen, und zu guter Letzt könnten PoC als Polizist:innen eine Vorbildfunktion für andere PoC entfalten, denn: Representation matters!
Des Weiteren würde eine gezielte Sozialpolitik sowie eine auf Gewaltprävention und Rehabilitation von Straftäter:innen fokussierte Justizpolitik die kriminelle Energie deutlich eindämmen und die Arbeit der Polizei erheblich entlasten.
Warum es die Polizei braucht
Weil das Problem mit der Polizeigewalt noch immer nicht vollends gelöst wurde, gibt es immer wieder radikale Stimmen, die die Polizei als Ganzes abschaffen wollen. Aber würde man auch gleich die Demokratie abschaffen, nur weil es korrupte Politiker:innen gibt? Natürlich nicht! Der Machtmissbrauch betrifft eben nicht die breite Masse der Polizist:innen. Es ist gerade die Aufgabe eines gut funktionierenden Rechtsstaats, aufkeimende Skepsis gegenüber der Polizei als Institution nicht entstehen zu lassen, indem staatliche Willkür unterbunden wird. Eine pauschale Verunglimpfung ist daher keineswegs zielführend.
Weiters darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Polizei durch die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erst recht die Voraussetzung dafür schafft, dass Individuen ihre Freiheiten ausleben können. Die polizeiliche Arbeit, insbesondere im Hinblick auf Gewalt- oder Überwachungstendenzen, sollte dabei natürlich ununterbrochen mit Argusaugen beobachtet werden.
Polemische Äußerungen und Rufe nach ihrer Abschaffung bringen uns als Gesellschaft aber nicht weiter. Stattdessen sollte jede:r Einzelne, auch aus Eigeninteresse, sich sachlich in die Diskussion zur Verbesserung der Polizeiarbeit einbringen, denn schließlich ist sie für den Schutz der Bürger:innen und deren Freiheiten essenziell und damit ein wesentlicher Bestandteil unserer liberalen Demokratie.