Abtreibung in Österreich: Die Schwierigkeiten der „Fristenlösung“
Österreich zählt innerhalb der EU zu den Ländern mit vergleichsweise leichtem Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen – legal ist der Eingriff aber auch bei uns nicht, sondern laut § 97 StGB unter gewissen Voraussetzungen lediglich straffrei.
Seit 1975 kann eine Schwangerschaft in Österreich aufgrund der sogenannten Fristenlösung innerhalb der ersten drei Monate straffrei abgebrochen werden. Über diesen Zeitraum hinaus ist eine Abtreibung nur möglich, wenn eine ernste Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren besteht, diese zum Zeitpunkt der Schwängerung unmündig war oder eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes zu erwarten ist.
So weit, so unpräzise. Schon die im Gesetzestext genannte Frist der „ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft“ lässt einigen Interpretationsspielraum zu. Sind hier Kalendermonate oder Schwangerschaftsmonate gemeint? Und selbst ab welchem Zeitpunkt eine Frau als schwanger gilt, ist juristisch nicht eindeutig geklärt.
Laut eines Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1995 beginnt eine Schwangerschaft „mit dem Eindringen der Samenzelle in die Eizelle“. Bis heute kann der exakte Zeitpunkt der Konzeption allerdings nicht bestimmt werden. Das Stadium einer Schwangerschaft wird – auch 200 Jahre nach der Etablierung durch den Heidelberger Gynäkologen Franz Karl Naegele – anhand der Naegele’schen Regel berechnet. Diese geht davon aus, dass die Ovulation exakt 14 Tage nach dem ersten Tag der letzten Regelblutung passiert, einen Tag davor bis einen Tag danach findet die Vereinigung von Ei- und Samenzelle statt. Unbeachtet bleibt dabei die Tatsache, dass die Zyklen nicht nur von Frau zu Frau, sondern auch von Monat zu Monat sehr unterschiedlich ausfallen können und sich nur in den wenigsten Fällen tatsächlich an die 28-Tage-„Regel“ halten.
Ab wann ist man schwanger?
Ein Fall im Jahr 2008 stellte den OGH allerdings vor eine Herausforderung, weshalb der Europäische Gerichtshof angerufen wurde. Anlassfall war die Kündigung einer Frau durch ihren Arbeitgeber und die Frage, ob diese zu jenem Zeitpunkt bereits schwanger war. Die Möglichkeiten der medizinisch unterstützten Fortpflanzung würden nämlich laut der oben genannten Definition des Schwangerschaftsbeginns jenen Frauen de facto einen unbefristeten Kündigungsschutz gewähren, die mittels In-vitro-Fertilisation (entnommene Eizellen werden außerhalb des Körpers befruchtet und danach in die Gebärmutter eingesetzt) entstandene Embryonen aufbewahren lassen.
Der EuGH entschied jedoch, dass Frauen sich in diesem Fall erst auf die Mutterschutzrichtlinie berufen dürfen, wenn die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter eingesetzt wurde. Laut diesem Urteilsspruch beginnt eine Schwangerschaft erst mit der Nidation, bei einer natürlichen Empfängnis also fünf bis sieben Tage nach der Befruchtung. Naturgemäß kann auch dieser Vorgang nicht auf den Tag genau bestimmt werden.
Aus gynäkologischer Sicht (bzw. aufgrund der Naegele’schen Regel) befindet sich die Frau zu diesem Zeitpunkt bereits am Ende der dritten Schwangerschaftswoche (SSW). Rechnet man die in § 97 StGB genannten drei Monate dazu, wäre eine Abtreibung in Österreich somit bis zum Ende der 15. Schwangerschaftswoche straffrei möglich. Unklar ist aber, ob ein sich über mehrere Tage ziehender medikamentöser Abbruch zu diesem Zeitpunkt begonnen werden oder bereits abgeschlossen sein muss. Auch aufgrund dieser Ungenauigkeiten wird ein Abbruch aus psychosozialen Gründen in der Praxis meist nur bis zur zwölften SSW durchgeführt. Ein weiterer Grund ist die technische Umsetzung, die bis zu einer gewissen Größe des Fötus eine geringere Komplikationsgefahr birgt.
Weiteren Spielraum lässt der Gesetzestext bei der Einschätzung, wie schwerwiegend eine Fehlbildung ist bzw. ab wann eine Gefahr für die (seelische) Gesundheit der Frau besteht. Diese Beurteilung obliegt den behandelnden Ärzt:innen bzw. hinzugezogenen Fachärzt:innen. Gerade eine psychische Indikation ist selbst bei suizidalen Patientinnen oft nur schwer zu bekommen. Werden Auffälligkeiten oder Besonderheiten des Fötus festgestellt, werden die Eltern in multidisziplinären Beratungsgesprächen – also auch mit Psycholog:in, Kinderärzt:in oder Radiolog:in – darüber informiert und aufgeklärt.
Spitäler haben oft eine Art Komitee eingerichtet, dem auch Geistliche und Ethiker:innen angehören, um über diese Faktoren und somit über die Durchführung eines Abbruchs zu beraten, gesetzliche Grundlage gibt es dafür keine. Denn lediglich die „ernste Gefahr […], daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“, ist für die Straffreiheit notwendig. Letztlich obliegt es den Ärzt:innen zu entscheiden, ob eine fetopathische Indikation gegeben ist. Je nach Spital oder Ambulatorium kann diese Entscheidung unterschiedlich ausfallen. Ein Abbruch, der in Innsbruck abgelehnt wird, könnte somit beispielsweise in Graz durchgeführt werden.
Niederschwelliger Zugang fehlt
Ganz generell sind Ärzt:innen in Österreich nicht verpflichtet, Abbrüche durchzuführen (Ausnahme: das Leben der Frau ist in Gefahr), was ein Grund dafür ist, dass der Zugang zu Abtreibungen bundesweit sehr unterschiedlich ist. So gibt es in Vorarlberg und Tirol jeweils nur eine Anlaufstelle für Abtreibungen, im Burgenland keine einzige. Zwar kann die medizinische Einrichtung frei und unabhängig vom eigenen Wohnort gewählt werden – allerdings ist die Reise in ein anderes Bundesland nicht nur mit zusätzlichen Kosten verbunden, sondern kann auch verhindern, dass ein Abbruch anonym und geheim durchgeführt werden kann.
Bei sozial unerwünschten Schwangerschaften ist das nicht unerheblich. Das betrifft auch die Kosten des Eingriffs zwischen 300 und 900 Euro, die selbst bezahlt werden müssen: Die Sozialversicherung übernimmt diese nur, wenn für den Abbruch eine Indikation vorliegt. Unterstützung für Frauen in finanziellen Notlagen gibt es von der Abteilung für Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht (MA 40) der Stadt Wien und vom Sozialamt in Graz, die in bestimmten Fällen die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch übernehmen.
Raus aus dem Strafgesetzbuch
Die österreichische Gesetzgebung ist in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche nur bedingt zufriedenstellend. In der Praxis ist zwar sichergestellt, dass der Zugang zu medizinisch indizierten Abbrüchen gewährleistet ist. Die Beurteilung dieser Indikation kann jedoch bundesweit unterschiedlich ausfallen.
Abtreibungen aufgrund psychosozialer Indikationen innerhalb der „Fristenlösung“ sind besonders in Westösterreich von niederschwelligem Zugang weit entfernt. Eine präzisere Gesetzgebung, die zudem an den medizinischen State of the Art angepasst ist und Abtreibungen entkriminalisiert, könnte betroffenen Frauen und behandelnden Ärzt:innen mehr Handlungsspielraum und -klarheit verschaffen.