Ändert sich bald der Abstimmungsmodus im Parlament?
Wer eine Führung im sanierten Parlament bekommt, lernt viel über die Geschichte und Architektur des Hohen Hauses – und hoffentlich auch über den Gesetzgebungsprozess. Immerhin wird im Sitzungssaal des Nationalrats vieles bestimmt, was unser Leben prägt. Schon in Zeiten der Monarchie wurde hier Politik gemacht, wenn auch nur durch das „Herrenhaus“, dessen Mitglieder vom Kaiser auf Lebenszeit bestellt wurden. Ein klassischer Fun Fact in Parlamentsführungen: Hier saß auch ein gewisser Maximilian Freiherr von Washington, ein Verwandter von George Washington.
Aber nicht alles an diesem Haus ist historisch, vieles ist auch modern geworden. Zum Beispiel, dass die neuen Tische der Abgeordneten im Sitzungssaal auch über Steckdosen und Bildschirme verfügen, um modernes Arbeiten möglich zu machen. Und modernes Abstimmen – zumindest theoretisch.
Elektronische Abstimmungen wären schon möglich
Denn auch, wenn eine elektronische Abstimmung über die Bildschirme auf den Tischen längst möglich wäre: Aktuell ist das in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Diese wird wiederum von den Klubs selbst bestimmt. Mit ihrer Opposition gegen eine Reform ist in letzter Zeit nur die ÖVP aufgefallen, die Grünen, die theoretisch für Transparenz eintreten, sind eher ruhig geblieben. Auch von SPÖ und FPÖ ist keine Forderung für eine Änderung des Abstimmungsmodus bekannt.
Bei der Sanierung des Parlaments wurde trotzdem darauf Rücksicht genommen, dass diese Möglichkeit früher oder später wohl kommen wird – auch um zu vermeiden, dass kurze Zeit nach der Neueröffnung schon wieder etwas geändert werden muss. Es liegt also nicht am Parlament an sich, dass die Abstimmungen nicht elektronisch durchgeführt werden. Es fehlt nur der politische Wille.
Chance für mehr Transparenz
Mit einer entsprechenden Geschäftsordnungsänderung könnten Abgeordnete nicht nur schneller abstimmen, sondern die Ergebnisse wären auch öffentlich nachvollziehbar. Diese Transparenz gibt es bislang nicht – die Rechercheplattform Addendum, die 2020 eingestellt wurde, gab mit dem „Politometer“ einen Überblick, indem sie Fotos davon machte, welche Abgeordneten bei Abstimmungen aufstanden und welche nicht. Ein Umweg, der nicht nötig sein sollte, um herauszufinden, was unsere Abgeordneten eigentlich treiben.
Das Beispiel der Schweiz zeigt ein potenzielles Risiko dieser Reform: Nachdem dort von Handzeichen auf ein elektronisches Wahlsystem umgestellt wurde, stieg die Anzahl derer, die mit ihrer Parteilinie übereinstimmten. In Parlamenten, in denen Abgeordnete oft von der Parteimeinung abweichen, wäre das ein Kritikpunkt – in Österreich hat man angesichts des Klubzwangs aber eher weniger zu befürchten. Schon heute scheren Abgeordnete kaum aus, bei häufigeren „Verstößen“ gegen die Parteilinie droht der Verlust des Mandats. Es überwiegt also das Interesse der Bürger:innen an Transparenz.
Ein aktueller Anlass
Dass eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung auch praktische Vorteile im Sitzungssaal hätte, zeigt die Nationalratssitzung vom 24. Mai. In dieser kam auch das Energieeffizienz-Gesetz zur Abstimmung – es wäre eines der ambitionierteren Anliegen der Bundesregierung zum Thema Klimaschutz. In der vorangegangenen Sitzung hatte die SPÖ angekündigt, bei Verfassungsgesetzen nicht mehr mit der Regierung zu stimmen, unabhängig vom Inhalt.
Als es in der Sitzung zur Abstimmung kam, standen die Abgeordneten von ÖVP, Grünen und NEOS auf, um das Energieeffizienzgesetz zu unterstützen. Die FPÖ blieb geschlossen sitzen, einige Abgeordnete der SPÖ auch – aber viele davon waren gar nicht im Saal. Nachdem das Durchzählen schwierig und namentliche Abstimmung verlangt wurde, kamen immer mehr Sozialdemokrat:innen in den Raum, damit auch ihr „Nein“ für die Statistik zählte. Die Folge war nicht nur eine Verzögerung, sondern auch ein peinliches Schauspiel für alle, die dabei zusehen mussten.
Warten auf die Mehrheit
Würde man die Geschäftsordnung an die technischen Möglichkeiten anpassen, könnte man also sehr einfach mehr Transparenz bringen und Blamagen wie bei der Abstimmung im Mai vermeiden. Momentan scheitert die elektronische Abstimmung also an den Mehrheitsverhältnissen im Parlament. Die Frage ist aber nicht, ob, sondern wann sich das ändert. Wir haben die Technologie. Jetzt brauchen wir nur noch den politischen Willen.