Auf diesem Dach spioniert Russland in Wien
Wer schon einmal in Wiens höchstem Gebäude, dem DC Tower, war, kennt die Aussicht: Von den oberen Stockwerken des wellenartig aufgebauten Hochhauses sieht man ein beeindruckendes Panorama der Stadt. So beeindruckend, dass man kaum Aufmerksamkeit übrig hat für die vielen anderen hohen, aber eben nicht ganz so hohen Häuser in der Umgebung.
Dabei müsste man nicht weit schauen, um ein Ausstellungsstück angewandter Geopolitik zu sehen: in der Erzherzog-Karl-Straße 182. Genauer gesagt: auf dem Dach der russischen UN-Botschaft. Dort stehen auf einer Plattform – 45 Meter Durchmesser, 26 Meter hoch – 13 Satellitenschüsseln, die alle gleich ausgerichtet sind: Richtung Äquator. Sie sind ein wesentliches Tool der russischen Spionage. Und nach wie vor in Betrieb.
Dieses Bild aus der Vogelperspektive stammt aus dem Geodatenviewer der Stadt Wien. Eine Idee, die auch der Journalist Erich Moechel für seine Recherche hatte. Mit historischen Bildvergleichen aus der Datenbank zeigt er nicht nur, dass die Satellitenschüsseln unweit der UNO-City stehen – sondern auch, dass sie im Lauf der letzten Jahre massiv aufgerüstet wurden.
Russland zapft westliche Datenströme ab
Und was machen diese Satelliten? Ganz genau wissen das wohl nur die Betreiber, aber fest steht: Über diese Satelliten zapft Russland westliche Datenströme ab. Das ist unter anderem deshalb klar, weil die Satelliten keine „Relaisfunktion“ haben, wie Moechel berichtet – sie können also nicht einfach Kommunikation weiterleiten, etwa von anderen russischen Botschaften oder aus Russland selbst.
Ähnliche Satelliten-Anlagen zur Spionage wurden bereits in Belgien und den Niederlanden gefunden und ausgeschaltet, das zur Wartung notwendige technische Personal wurde des Landes verwiesen. Und auch Dänemark hat bereits den Großteil der russischen Belegschaft des Landes verwiesen. Das Argument: Während eines Angriffskrieges gebe es keine vielfältige Kommunikation zwischen Botschaften, sondern nur ein Thema. Nämlich ein schnelles Ende der Kampfhandlungen.
Der österreichische Standort dagegen ist größer als die Standorte in Belgien und den Niederlanden zusammen, voll funktionsfähig – und nach wie vor in Betrieb.
Russische Spionage mit Tradition
Aber nicht nur über Satelliten spioniert Russland in Wien. Die Hauptstadt gilt seit jeher als Hotspot für Spionage aus aller Welt, etwa jede:r vierte russische Spion:in soll in Wien stationiert sein. Das hat mehrere Gründe: So haben viele internationale Organisationen hier einen Sitz, etwa die OSZE, die Internationale Atomenergiebehörde und die UNO. Durch die hohe Lebensqualität in Wien gilt die Stadt als der Jackpot für altgediente Spitzen der Weltdiplomatie. Aber auch die Geschichte der Neutralität spielt dabei eine Rolle – Österreichs früheres Verständnis als „Brückenbauer“ zwischen den Blöcken machte das Land attraktiv.
Und was vielleicht noch wichtiger ist: Spionage ist in Österreich an sich nicht strafbar. Zumindest nicht, solange nicht „gegen Österreich“ spioniert wird. Wenn Russland also in Wien mit Satelliten die Daten westlicher Partner abfängt, ist die österreichische Rechtslage klar: alles erlaubt. Und für einen Staat, der in seiner Außenpolitik ohnehin wankelmütig ist und sie eher als Instrument der Innenpolitik sieht, ist es ohnehin Auslegungssache, was „gegen Österreich“ eigentlich bedeutet.
Folgen der russischen Spionage
Ob erlaubt oder nicht: Mit einer im internationalen Vergleich besonders hohen Zahl an Personal spioniert Russland in Österreich munter weiter. Das Ausmaß zeigt sich auch an einzelnen aufgeflogenen Fällen: 2022 wurde bekannt, dass ein griechischer Spion „zum Nachteil Österreichs“ für Russland spioniert hatte, und 2018 flog auf, dass ein Oberst des Bundesheers Staats- und Militärgeheimnisse an Russland verraten hatte.
Es geht aber nicht „nur“ um die Weitergabe von Informationen, sondern auch um das Einschüchtern von Regimekritiker:innen. Der Investigativ-Journalist Christo Grozev etwa gibt an, nach mehreren handschriftlichen Morddrohungen Österreich verlassen zu haben: Er habe sich in Österreich einfach nicht mehr sicher gefühlt.
„Die russischen Interessen sind tief in den österreichischen Staatsapparat vorgedrungen – in die Justiz, in die Sicherheitsapparate.“
Christo Grozev, Investigativjournalist, gegenüber profil.at
Österreich sollte nachschärfen
Rechtlich stellt sich die Frage, ob man bei der Spionage nicht nachschärfen müsste. Und es geht darum, was eigentlich Spionage „gegen Österreich“ bedeutet. Kann es wirklich im österreichischen Interesse sein, wenn ein Staat, der gerade einen Angriffskrieg in Europa führt, Informationen westlicher Demokratien und Verbündeter abfängt? Um diese dann vielleicht sogar im Ukraine-Krieg verwenden zu können? Immerhin wirkt sich dieser auch auf unser Leben aus – in Form von hoher Inflation, gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreisen.
Am Ende ist der Umgang mit russischer Spionage aber auch eine politische Frage. Wie wichtig ist Österreich das Image als „Brückenbauer“, das längst an Bedeutung verloren hat? Und wie viele Chancen hat ein Land als neutraler Verhandlungsort, wenn er gleichzeitig als Hochburg für russische Spionage bekannt ist?
Vielleicht ist es Zeit, Farbe zu bekennen und ein Bekenntnis zu westlichen Demokratien als Verbündeter abzugeben. Das hieße aber auch, die scheinheilige Außenpolitik abzulegen. Aber mit der Neutralität zu brechen – und sei es nur die „Neutralität“ gegenüber Spionage im eigenen Land –, das traut sich die österreichische Politik selten. Wie wird sie diesmal damit umgehen?