Chronisch krank. Und jetzt?

Gesundheit ist das höchste Gut, heißt es so oft. Entwickelt jemand eine chronische Krankheit, ist dieses Gut aber plötzlich weg und das Leben für immer anders. Denn eine chronische Krankheit ist – wie der Name schon sagt, eine, die den Gesundheitszustand dauerhaft verändert. Das bedeutet, einfach gesagt, dass der Körper eine ihm eigene Aufgabe nicht mehr selbst schafft und Betroffene ein Leben lang bestimmte Medikamente oder Therapien brauchen.
Die häufigsten chronischen Krankheiten sind Herz-Kreislauf-Krankheiten, Atemwegserkrankungen, Krebs sowie Diabetes. Um ein paar Beispiele zu nennen: hoher Blutdruck, hohe Cholesterinwerte, die Folgeerkrankungen nach Schlaganfällen oder Herzinfarkten, Asthma oder COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankungen). Viele dieser Krankheiten entstehen nicht nur aufgrund einer genetischen Neigung, sondern in Folge des Lebensstils. Wenig Bewegung, Rauchen, häufiger Alkoholkonsum und eine fleischlastige oder sehr zuckerhaltige Ernährung können die Wahrscheinlichkeit von chronischen Krankheiten stark erhöhen. Sonderlich genaue Statistiken über das Gesundheitsverhalten gibt es für Österreich leider nicht, die vorhandenen Daten sprechen aber nicht unbedingt für gesundes Verhalten.
Diabetes – der Versuch von Versorgung
Dementsprechend hoch ist die Krankheitslast: Zwei Drittel der Bevölkerung geben zumindest eine chronische Krankheit an, allerdings fehlen damit die Dunkelziffern. Nach wie vor gibt es keine Diagnoseerfassung durch Ärzt:innen, was bedeutet, dass keiner weiß, wie viele Menschen welche Krankheiten haben. Bei Diabetes gibt es beispielsweise Schätzungen, dass rund 800.000 Personen Diabetes haben könnten, bei rund 530.000 davon geht die Sozialversicherung auf Basis von Krankenhausaufenthalten oder Medikamenten halbwegs gesichert von einer Diabetes-Diagnose aus. Sehr viele Konjunktive für eine Frage der Gesundheitsversorgung.
Trotzdem ist Diabetes das einzige „Positivbeispiel“ bei chronischen Krankheiten. Denn immerhin gibt es für Diabetes ein Therapieprogramm, „Therapie aktiv“. Mit diesem Programm soll sichergestellt werden, dass Diabetiker:innen eine kontinuierliche Versorgung erhalten und die Krankheit den bestmöglichen Verlauf nimmt. Allerdings waren mit Sommer 2024 lediglich 126.000 Personen in diesem Programm, erschwerend kommt hinzu, dass ein Drittel dieser Patient:innen das Programm wieder abbricht. Die Folgen sind wenig überraschend Gesundheitsverschlechterungen. Diabetes kann zu Erblindung oder Nierenschäden führen, durch die Auswirkungen auf den Blutkreislauf sind Beinamputationen auch eine häufige Folge. Und bei diesen liegt Österreich im OECD-Vergleich im Spitzenfeld. Vereinfacht gesagt: Ein besseres Therapieprogramm würde viele Amputationen verhindern und dementsprechend die Lebensqualität für Patient:innen verbessern. Nicht zu vergessen, dass die Folgekosten für Diabetes sich aufgrund von Krankenständen, schlechterer Gesundheit, mangelnder Arbeitsfähigkeit und höheren Gesundheitskosten Studien zufolge auf 3 Milliarden Euro pro Jahr beziffern.
Besserer Gesundheitszustand, weniger Gesundheitskosten
Geht man chronische Krankheiten durch, summieren sich diese Gesundheitskosten rasch. Für Krankheiten in Zusammenhang mit erhöhtem Cholesterin werden 1,2 Milliarden Euro pro Jahr berechnet, psychische Krankheiten belaufen sich auf 7 Milliarden pro Jahr, chronische Schlaflosigkeit auf 2,6 Milliarden, Adipositas auf 2,4 Milliarden et cetera. Schwierig zu argumentieren in Zeiten eines dringend notwendigen Sparprogramms.
Die Lösung dafür wäre einfach. In Baden-Württemberg wurden strukturierte Programme für Diabetiker:innen eingerichtet, und acht Jahre später konnten 500 Schlaganfälle, 450 Herzinfarkte, 260 Amputationen, 389 Nierenschäden und 139 Erblindungen vermieden werden. Auch internationale Vergleichsstudien zeigen, dass strukturierte Programme den Gesundheitszustand oft verbessern beziehungsweise die Verschlechterung verzögern und damit zu mehr Lebensqualität und weniger Kosten führen. Gleichzeitig zeigen auch schon diese Studien, dass der Bedarf groß ist und es deshalb unterschiedliche Pilotprojekte für strukturierte Versorgung gibt. Einzelne Bundesländer haben diese für Schlaganfallpatient:innen oder Herzschwäche gestartet. Wie so oft führt das dazu, dass regionale Unterschiede in Österreich zu unterschiedlicher Qualität in der Versorgung führen.
Woher die Struktur für strukturierte Programme nehmen?
Eine wirklich strukturierte Versorgung bedeutet, dass Patient:innen unabhängig von ihrem Behandlungsort eine gleichwertige Versorgung für ihre Krankheit bekommen. Das bedeutet, das Gesundheitspersonal weiß immer, ob eine chronische Krankheit vorliegt, und idealerweise auch, welche Medikamente dafür genommen werden. In der Realität hapert es bei beidem an der Datenerfassung. Erschwerend kommt hinzu, dass oftmals bei bestimmten Fachärzt:innen Termine frei sein müssten. In vielen Ländern wird bei strukturierter Versorgung deshalb auch auf anderes Gesundheitspersonal gesetzt. Ein einfaches Beispiel dafür wären Diabetes Nurses, die gibt es immerhin auch schon in Österreich.
Doch in Österreich werden Gesundheitsleistungen nach erbachter Leistung bezahlt. Das bedeutet, dass immer irgendetwas Bestimmtes gemacht werden muss, gleichzeitig erhalten Ärzt:innen nur für eine bestimmte Anzahl von Besuchen im Quartal Geld. Wenn also ein Patient beispielsweise kurz nach einer Diagnose oder nach einem bestimmten Eingriff oft kommt, wird die behandelnde Ärztin nicht für alle Kontrolltermine bezahlt. Ergo sind chronische Patient:innen unbeliebt und landen oft in Krankenhausambulanzen. Weil die aber die teuerste Versorgung sind, beginnt beispielsweise die Stadt Wien eigene Ambulanzen für Diabetiker:innen einzurichten. Was zwar auch hilft, aber eben nicht dabei, die kontinuierliche Versorgung zu Hausärzt:innen zu verlagern.
Klassische Fehler: Schlechte Daten und mangelnde Reformbereitschaft
Genau diese mangelnde Struktur sieht man auch bei Therapie aktiv. Natürlich benötigt es besonders in der ersten Behandlung jemanden mit einer Fachausbildung für Diabetes. Eine Patientin, die seit zehn Jahren mit einer Diagnose lebt und regelmäßige Kontrollen benötigt, wäre bei einem Allgemeinmediziner aber genauso gut aufgehoben. Dennoch bietet nur ein Bruchteil der Ärzt:innen Therapie aktiv überhaupt an – kein Wunder also, dass nur wenige Patient:innen in dem Programm sind.
Es bräuchte also eine eigene Abrechnung für strukturierte Programme und im Idealfall eine Einbindung anderer Gesundheitsberufe. Zusätzlich müsste eben erfasst werden, wer welche Krankheiten hat, sonst kann die Stringenz der Versorgung nicht sichergestellt oder Behandlungsfehler verhindert werden. Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Krankheiten müssen teilweise Blutverdünner nehmen, gerade solche Medikamente können mit anderen Medikamenten interagieren. Die „klassischen“ Fehler des österreichischen Gesundheitssystems führen deshalb auch hier zu schlechterem Gesundheitszustand und damit Mehrkosten. Zumindest die bessere Nutzung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) mit Diagnosen und mehr Informationen über Medikamente könnte dementsprechend die Versorgung von chronischen Krankheiten verbessern. Dafür müssten aber auch Ärzt:innen wirklich Daten einspielen und eine Form der Abgeltung gefunden werden. Andernfalls bleibt es bei den Pilotprojekten und wenigen glücklichen Patient:innen, die davon profitieren können.