COP27: Die Welt verpasst ihre Klimaziele
Jedes Jahr werden die negativen Auswirkungen des Klimawandels intensiver. Jedes Jahr bringen sie mehr Elend und Schmerz für Hunderte von Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Jedes Jahr werden sie mehr und mehr zu einem Problem des Hier und Jetzt, aber auch zu einer Warnung vor noch schwerwiegenderen Folgen, die noch kommen werden. Wir befinden uns in einem Klimanotstand.
Diese drastischen Worte sind keine subjektive Einschätzung der Redaktion, sondern der Beginn des aktuellen UN-Klimaberichts. Inger Andersen, die dänische Direktorin des UN-Umweltprogramms, warnt bereits in ihrem Vorwort vor der Dringlichkeit der Klimakrise.
Es ist ein guter Platz für diese Warnungen, denn er kommt auf Seite 15 von 132 Seiten. Eine Anzahl, die nur die wenigsten in ihrer Freizeit lesen werden – immerhin gelten wissenschaftliche Themen als schwer lesbar und verständlich. Dazu kommt, dass man in der Klimapolitik leicht den Eindruck haben kann, dass bereits alles gesagt ist: Die Menschheit muss so schnell wie möglich damit aufhören, fossile Brennstoffe einzusetzen, sonst droht eine Katastrophe.
Trotzdem ist es wichtig, anhand von wissenschaftlichen Fakten zu verstehen, wo wir genau stehen. Wie schlimm sind unsere Probleme? Und wie schlimm könnten sie noch werden, wenn die internationale Politik weiterhin nichts unternimmt? Wer ist wie betroffen? Und was sind die Lösungen, um die Klimakrise zu meistern? Aus diesem Grund haben wir uns den Klimabericht des UN-Umweltprogramms durchgelesen und die wichtigsten Punkte zusammengefasst. Sein Name: „The Closing Window“, das sich schließende Fenster.
1. Die Nationalstaaten tun nicht genug, um ihre Klimaziele zu erreichen
Eine besondere Stärke des Pariser Klimaabkommens ist, dass es regelmäßige Steigerungen vorsieht. Wenn ein Staat also bei der Unterzeichnung ein gewisses Reduktionsziel mit konkreten Maßnahmen zugesagt hat, muss dieses nicht nur einhalten, sondern auch alle fünf Jahre neue Ziele vorlegen. Der Klimapakt von Glasgow, der letztes Jahr bei der COP26 angenommen wurde, forderte die Nationen der Welt auf, ihre Minderungsziele zu überdenken, um sich dem Pariser Klimaziel weiter anzunähern. 166 Parteien, die rund 91 Prozent der globalen Emissionen ausmachen, haben auch wirklich neue Ziele vorgelegt.
Trotz dieser Fortschritte, Ziele und Ankündigungen gibt es ein Problem: Die weltweiten Emissionen steigen nach wie vor. Die Wachstumsrate mag zwar sinken, aber der Klimabericht prognostiziert sogar, dass 2022 das Rekordjahr für den weltweiten CO2-Ausstoß werden könnte.
Daran ändern auch die Zusagen nichts, die bei der letzten Klimakonferenz gemacht wurden: Sie verringern den CO2-Ausstoß bis 2030 nur um 0,5 Gigatonnen. Insgesamt bräuchte es eine Reduktion von 23 Gigatonnen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Dieses weltweite Gesamtbild ist hierzulande noch akuter: Österreich ist unter den letzten fünf Staaten Europas, die es nicht einmal geschafft haben, ihre Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Die anderen sind Irland, Spanien, Portugal und Zypern. Um die verbindlichen Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen zu erreichen, müsste die Republik ihre CO2-Emissionen bis 2030 um ganze 48 Prozent reduzieren – und in nur acht Jahren aufholen, was durch jahrzehntelangen Stillstand in der Klimapolitik versäumt wurde.
2. Das 1,5-Grad-Ziel ist so gut wie tot
Auffällig ist, dass der UN-Klimabericht kaum noch davon ausgeht, dass die Pariser Klimaziele halten.
Fortschritte seit der letzten Klimakonferenz kommen vor allem durch die aktualisierten Prognosen aus Südkorea, Indonesien und Australien – wo es einen Regierungswechsel weg von einer Partei gab, die beim Klimaschutz historisch gebremst hatte. Auch der Inflation Reduction Act von US-Präsident Joe Biden wird als großer Schritt in die richtige Richtung erwähnt.
Um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, müssten die weltweiten Emissionen in nur acht Jahren um 45 Prozent reduziert werden, für 2 °C wären es „nur“ 30 Prozent – immer noch ein großer Wurf. Und in beiden Fällen wäre der Prozess damit nicht abgeschlossen, auch nach 2030 müsste unser Ausstoß weiterhin drastisch sinken.
3. Stand jetzt wird die Welt am Ende des Jahrhunderts um 2,8 °C wärmer
Zwei bis drei Grad mehr, das klingt nicht nach viel, wenn man über das Wetter im Alltag spricht. Auf das Weltklima bezogen hätte das aber katastrophale Folgen: Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet spricht in diesem Szenario von einer „weltweiten relativen Verringerung der Nahrungsverfügbarkeit von 99 Kalorien pro Person am Tag“, die zu 529.000 klimabedingten Todesfällen durch Unterernährung führen könnten. Denn das Weltklima wirkt sich auch auf die Nahrungsmittelproduktion aus – Mais etwa reagiert besonders sensibel auf Trockenheit und Hitze, wie der Klimawissenschaftler Mark Lynas in seinem Buch „6 Grad mehr“ festhält.
In diesem beschreibt er weitere Szenarien zwischen einem und sechs Grad Erwärmung. Bei „nur“ zwei Grad Erwärmung – wir erinnern uns, das ist momentan das realistischere Ziel – würde das Klima in Madrid dem heutigen Marrakesch gleichen, London wäre so heiß wie Barcelona, und Moskau könnte man eher mit der bulgarischen Hauptstadt Sofia vergleichen. Der Kilimandscharo würde komplett abschmelzen, extreme Stürme wären wesentlich häufiger, das Ökosystem im Amazonas-Regenwald würde zusammenbrechen, und 99 Prozent der riffbildenden Korallen würden verschwinden.
Diese Szenarien beziehen sich auf eine Welt mit zwei Grad mehr. Aber der UN-Klimabericht geht mit 2,8 von wesentlich mehr aus. Wenn die Nationalstaaten jetzt endlich ihren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nachkommen, sinkt dieser Wert im realistischeren Szenario nur noch auf 2,4 bis 2,6 °C Erwärmung. Es wäre also allerhöchste Zeit.
4. Nur wenige Klimasünder verursachen den größten Schaden
Mit Vorwürfen, dass „die Welt“ nicht genug für den Klimaschutz unternimmt, ist es aber nicht getan: Die sieben größten Klimasünder machen 75 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Diese sieben sind China, die USA, Indien, die EU, Indonesien, Russland und Brasilien.
Das zeigt sich auch bei den durchschnittlichen jährlichen CO2-Werten pro Kopf. Diese Kennzahl ist vor allem deswegen interessant, weil Staaten mit mehr Einwohner:innen in der Statistik verzerrt sein könnten, weil mehr Menschen insgesamt z.B. mit dem Auto fahren oder mit Gas heizen. Im weltweiten Mittel „verbraucht“ ein Mensch jedenfalls 6,3 Tonnen CO2. In der EU sind es 7,2 Tonnen, in Österreich sogar 9,8. In Indonesien und Brasilien fallen im Schnitt jeweils 7,5, in China 9,7 und in den USA satte 14 Tonnen pro Einwohner:in und Jahr an. Unter den größten Verbrauchern hat nur Indien einen wesentlich kleineren Pro-Kopf-Verbrauch: Dort verbraucht ein Mensch im Schnitt 2,3 Tonnen pro Jahr.
5. Die Lösungen dafür sind bekannt
Bis jetzt bestand diese Zusammenfassung hauptsächlich aus schlechten Nachrichten. Aber die gute ist: Wir wissen genau, wie wir diese Probleme lösen können.
Der UN-Bericht spricht von Herausforderungen in mehreren Feldern: Energieversorgung, Industrie, Transport, aber auch die Bau- und Landwirtschaft, vor allem aber unsere Nahrungsmittelproduktion sind große Baustellen der Klimapolitik. Aber auch die Finanzbranche ist z.B. gefordert, indem sie der fossilen Wirtschaft nicht weitere Geldmittel zur Verfügung stellt und Anreize setzt, um nachhaltige Lebensweisen zu fördern.
Weitere große Maßnahmen aus dem Klimabericht umfassen:
- Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe
- Ein höherer Preis für CO2
- Beseitigung von Hindernissen für den Ausbau erneuerbarer Energien
- Keine neuen Öl-Bohrungen, Kohlekraftwerke oder Gas-Pipelines
- Anpassung der Marktregeln, um mehr Erneuerbare zuzulassen
- Förderung von Kreislaufwirtschaft und CO2-neutraler Industrie
- Unterstützung von Forschung und Innovation
- Regulierung und Anreize für CO2-neutrale Fahr- und Flugzeuge
Außerdem wird festgehalten, dass auch die Bürger:innen Möglichkeiten haben: Durch das Beziehen erneuerbarer Energie, das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel, Energiesparen, nachhaltigen Konsum, aber auch Agenda-Setting und Lobbying kann jede:r Einzelne seinen Teil beitragen. Die mit Abstand meisten Maßnahmen betreffen jedoch nationale Regierungen und deren internationale Kooperation – immerhin sind diese hauptsächlich für die Einhaltung der Klimaziele verantwortlich.
6. Wie es jetzt weitergeht
Man merkt beim Lesen also: Die Lage ist ernst. Und gerade in Zeiten teurer und knapper Energie wirkt es unrealistisch, dass die Klimakonferenz ambitionierte Maßnahmen bringt. Aber angesichts der Schäden, die uns durch einen Temperaturanstieg von zwei Grad drohen, ist es umso nötiger, große Reformen umzusetzen:
Das erfordert nicht nur schrittweise Veränderungen in den einzelnen Sektoren, sondern einen weitreichenden, groß angelegten, raschen und systemischen Wandel. Das wird nicht einfach sein, angesichts des Drucks auf die politischen Entscheidungsträger auf allen Ebenen. Klima-Maßnahmen sind in allen Ländern unerlässlich, müssen aber gleichzeitig mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen erreicht werden.
UN-Klimabericht
Zusammengefasst: Obwohl die Klimakrise jeden Tag dringlicher wird, gibt es auch nach wie vor Lösungen, die auf dem Tisch liegen. Theoretisch ist das Pariser Klimaziel, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu beschränken, noch immer erreichbar. Dafür braucht es aber den politischen Willen und einen großen Wurf bei der COP27.