Das fatale Comeback der Kohle
Eigentlich führt der Krieg in der Ukraine gleich zu zwei Energiekrisen: einer für Energiepreise und einer der Energiemixe.
Weil Wladimir Putin die Gaslieferungen nach Europa kontrolliert, hat Österreich einen doppelt starken Anreiz, sich von seiner fossilen Abhängigkeit zu lösen. Einerseits will man nicht von einer Diktatur abhängig sein, die einen Angriffskrieg an den europäischen Außengrenzen führt. Andererseits muss man ohnehin den Turbo zünden, um die Klimaziele zu erreichen. Insofern könnte ironischerweise der Gaslieferant Russland am Ende der Grund dafür sein, dass die EU beim Klimaschutz ambitionierter wird.
Bevor wir wissen, ob sich das ausgeht, müssen wir allerdings mit einem anderen Problem umgehen: Bis wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen an sich lösen, scheint nämlich die Kohle ein Comeback hinzulegen.
Kohlekraftwerke werden wieder eröffnet
Bis Österreich seinen Energiebedarf ausschließlich aus sauberen Quellen decken kann, wird es nämlich noch einige Jahre dauern. Bis dahin muss die Politik die schwierige Entscheidung treffen, wie wir auch ohne russisches Gas auskommen können. Das ist nicht nur in Österreich ein Problem, sondern auch international. Und die Antwort scheint ein Comeback der Kohle zu sein.
Denn nicht nur Österreich plant die Reaktivierung stillgelegter Kohlekraftwerke. Auch Frankreich wird ein altes Kraftwerk in Betrieb nehmen, vorerst aber nur für diesen Winter. Die Niederlande hätten eigentlich geplant, dass ihre Steinkohlekraftwerke nur noch auf maximal 35 Prozent ihrer maximalen Kapazität laufen dürfen – dieses Gesetz, das erst im Jänner 2022 beschlossen wurde, wird jetzt allerdings auf Ende 2023 verschoben. Und in Deutschland ermöglicht das neue Ersatzkraftwerksgesetz, 8,2 Gigawatt an Kohlekraftwerken in einer „Versorgungsreserve“ beizubehalten. Das neue Energiegesetz enthält auch ein höheres Ziel für erneuerbare Energien von 80 Prozent bis 2030.
All diese Maßnahmen haben Folgen für das Weltklima: Ein Bericht der Internationalen Energieagentur im Juli 2022 geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage nach Kohle in diesem Jahr um 0,7 Prozent steigen wird. Das wäre mit acht Milliarden Tonnen ein globales Rekordjahr, alleine in Europa könnten die Emissionen um 30 Millionen Tonnen CO2 steigen.
Was bedeutet das in Zahlen? Der Preis für Kohle-Futures – also der antizipierte Preis für Kohle in den nächsten Monaten – ist in Europa im Vergleich zum letzten Jahr um 90 Prozent gestiegen. Auch in den USA und Asien werden Rekordwerte verzeichnet. Die Kohleindustrie macht also extreme Gewinne.
Kohle ist der schmutzigste Energieträger
Kohle und Gas sind fossile Brennstoffe, tragen also beide zum Klimawandel bei. Trotzdem ist die Kohle wesentlich schlimmer: Laut Auskunft der Energiebehörde E-Control liegen die CO2-Emissionen für Erdgas bei 440 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde, die der Kohle bei 882. Diese Form der Energiegewinnung ist also doppelt so schlimm – aufgrund der Sanktionen gegen Russland aber momentan der einzige Notfallplan.
Kohle führt auch zu deutlich mehr Todesfällen. Wie eine Analyse des Umweltwissenschaftlers James Conda (zitiert laut einem Bericht der Rechercheplattform Addendum) zeigt, führen 1.000 mit Gas erzeugte Terawattstunden zu 2.820 Todesopfern. Das klingt nach viel, ist aber wesentlich weniger als die 24.620 Todesopfer durch Steinkohle und 32.720 durch Braunkohle. Die sichersten Energieformen sind übrigens die Atomkraft (90/1.000) und die Windkraft (150/1.000).
Beliebte Verzögerungsstrategien sind, auf die angebliche Notwendigkeit fossiler Brennstoffe zu verweisen oder auf eine technologische Lösung gegen die Klimakrise zu hoffen. Diese gibt es aber bereits: Wind-, Solar- und Wasserkraft sind gute Antworten auf die Energiekrise, die bereits jetzt verfügbar sind. Dass wir sonst Kohle verbrennen, macht diese Alternativen umso dringender – weil aber auch andere Staaten diesen Trend erkennen, sind Photovoltaik-Anlagen oft schnell vergriffen oder teuer, und bei neuen Kraftwerken braucht es lange Prüfungen und Verfahren.
Raus aus den Fossilen
Es bleibt die Hoffnung, dass die geplanten Maßnahmen eben nur in der Planungsphase bleiben. Immerhin sind die Kraftwerke als Reserve geplant – sie werden also vermutlich erst wieder Kohle verbrennen, wenn Russland die Gaslieferungen noch weiter reduziert.
Das Ziel ist jedenfalls klar: Wenn wir fossile Brennstoffe verbrennen, verschlimmern wir die Folgen des Klimawandels. Die Konsequenzen sind häufigere und schlimmere Extremwetterereignisse (z.B. Dürren und Stürme), damit verbundene Ernteausfälle und Preissteigerungen, ein noch schlimmeres Artensterben und immer heißere Sommer.
Es ist also ganz unabhängig von Diktaturen an den europäischen Grenzen eine gute Idee, schnell damit aufzuhören, Kohle, Öl und Gas zu verwenden. Auf absehbare Zeit scheint es aber so, als würden die Emissionen aus fossilen Brennstoffen eher steigen als sinken. Die Frage ist, ob wir die Pariser Klimaziele trotzdem noch einhalten können – oder ob das fatale Comeback der Kohle diese Pläne zunichte macht.