Das geopolitische Argument für Mercosur
Das Freihandelsabkommen mit den lateinamerikanischen Staaten ist seit Jahren in Verhandlung. Zuletzt scheiterte es nur noch am Widerstand von Frankreich und Österreich – obwohl es viel bringen würde.
Die Vorteile sind klar: Freihandelsabkommen helfen heimischen Unternehmen, ohne teure Zölle oder andere Handelshemmnisse ins Ausland zu exportieren. Das schafft neue Kunden, mehr Absatz, mehr Umsatz – und mehr Wohlstand. Einerseits, weil neue Arbeitsplätze geschaffen werden, andererseits, weil lukrative Unternehmen diesen mehr bezahlen können.
Auf der anderen Seite stehen Befürchtungen, die sich bisher auch bei anderen Freihandelsabkommen nicht bewahrheitet haben. Seit CETA gibt es kein „Chlorhendl“ in heimischen Regalen, hohe Tierschutz-Standards sind „alive and well“, und ein Ausverkauf unserer Produkte ins Ausland ist auch unrealistisch. Bei Rindfleisch etwa liegt der Selbstversorgungsgrad in Österreich bei 147 Prozent – die heimische Versorgung ist also alles andere als in Gefahr.
Das alles sind gute Argumente, die in Österreich gerne übersehen werden. Im kurzfristigen Geschäft der Tagespolitik fürchtet man sich eher vor Nachteilen in Umfragen, statt auf volkswirtschaftliche Vorteile hinzuarbeiten. Und obwohl Freihandel uns viel bringt und wenig kostet, ist er in Österreich eher unbeliebt – wirtschaftlicher Protektionismus zieht.
Aber Mercosur ist nicht nur aus ökonomischer Sicht ein Gewinngeschäft für Österreich – sondern auch aus geopolitischer Sicht.
Mercosur als geopolitischer Faktor
In erster Linie führen Freihandelsabkommen zu mehr und einfacherem Handel miteinander. Aber das wiederum hat Folgeeffekte: Zu guten Handelspartnern braucht man gute Beziehungen. Genau das könnte das Freihandelsabkommen Mercosur mit Südamerika bewirken – die Europäische Union in der Region wesentlich aufzuwerten.
Denn um das Image und den Stellenwert der EU war es auch in Lateinamerika schon mal besser bestellt. Während früher noch etwa 30 Prozent der lateinamerikanischen Importe aus Europa kamen, sind es heute nur noch zwischen 5 und 6 Prozent. Der größte Anteil kommt mittlerweile aus China.
An interessanten Produkten mangelt es allerdings nicht. Gerade für Österreich ist Lateinamerika ein interessanter Absatzmarkt, etwa für Autoteile oder Elektronik. Aber wie das Beispiel CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, schon gezeigt hat: Auch um landwirtschaftliche Produkte reißt man sich in der Welt, etwa um österreichischen Bergkäse. Nicht umsonst war einer der größten Gegner von CETA die kanadische Milchwirtschaft – sie wusste um die starke Konkurrenz. Und im Gegenteil gefragt: Wer hat schon mal die klassische „Milch im Plastiksackerl“ aus Kanada in Österreichs Regalen gesehen?
Exporte wie diese wären für die gesamte EU vorteilhaft, scheitern aber momentan noch am geschützten Markt der lateinamerikanischen Staaten. Wer nach Lateinamerika exportieren will, zahlt hohe Zölle, die mehr Handel für österreichische Unternehmen oft unattraktiv machen. China wiederum zahlt diesen Preis – und gewinnt an Einfluss auf einem Kontinent, der schon mehrere autoritäre Experimente hinter sich hat.
Freihandel ist „Soft Power“
Daher wäre es nur sinnvoll, durch ein Freihandelsabkommen dafür zu sorgen, dass Demokratien miteinander handeln können: „Friendshoring“ – also das strategische Handeln mit Staaten, deren Werte man teilt – sorgt dafür, dass man sich darauf verlassen kann, dass gemeinsame Regeln eingehalten, gemeinsame Werte hochgehalten werden. Das Beispiel Russland hat gezeigt, dass man sich mit einseitiger Abhängigkeit von Diktaturen erpressbar macht – wenn die Demokratien der Welt miteinander handeln, stärkt das auch ihre wirtschaftspolitische Resilienz, sie bleiben unabhängiger vom billigen Geld der Autoritären.
Mit einem schnellen Abschluss des Mercosur-Abkommens könnten wir aber nicht „nur“ mehr exportieren, mehr Jobs schaffen und dadurch mehr Wohlstand aufbauen – wir hätten auch verlässlichere Partner beim Klimaschutz. Denn auch gegen die Abholzung des Regenwalds würde Mercosur Anreize setzen. Das gilt übrigens für viele Bereiche, die im Vertragswerk stehen: Wer in unseren hochwertigen Markt exportieren will, muss auch hochwertige Standards erfüllen.
Und was, wenn alles falsch ist? Wenn alle Vorteile nur Propaganda der Großkonzerne sind, die Nachteile aber real? Dann machen wir eben wieder zu – denn Mercosur erlaubt uns auch, unter Umständen wieder eigene Handelsbeschränkungen einzuführen. Das Freihandelsabkommen ist umfassend und durchdacht. Kein Wunder, immerhin reden wir seit 20 Jahren darüber.
Wenn uns nicht egal ist, welche Staaten sich in der internationalen Politik mehr Einfluss verschaffen, müssen wir an unserem eigenen arbeiten. Das funktioniert am besten mit europäischer Zusammenarbeit: Freihandelsabkommen, die Zugang zu mehr als 400 Millionen Menschen schaffen, sind interessanter als bilaterale Abkommen mit einer kleinen Alpenrepublik. Dafür brauchen wir die EU – und sollten uns nicht weiter gegen sinnvolle Handelsbeziehungen sperren.