Das Problem mit den ÖH-Wahlen
Nach drei Landtagswahlen im ersten Halbjahr 2023 könnte man fast vergessen, dass in diesem Jahr noch einmal gewählt wird. Aber zwischen 9. und 11. Mai finden Wahlen statt, die vor allem die Jugend betreffen: die ÖH-Wahlen.
Die Österreichische Hochschüler:innenschaft, kurz ÖH, wird alle zwei Jahre gewählt und kümmert sich (theoretisch) um die Anliegen der Studierenden. Die Wahlen dazu heißen eben „Wahlen“, und nicht nur „Wahl“, weil mehrere Ebenen gleichzeitig gewählt werden: die Fakultäts- und Universitätsvertretungen sowie die Bundes-ÖH als Interessenvertretung für alle Studierenden in Österreich.
Ihr einziges großes Problem: Kaum jemand geht zu ÖH-Wahlen.
Eine Wahl unter Ausschluss der Öffentlichkeit
2021 gaben nur noch 15,73 Prozent der Studierenden ihre Stimme ab. Gut, es war auch ein Corona-Jahr, das durch Remote Learning und Lockdown-Stimmung geprägt war – aber schon 2019 war die Wahlbeteiligung mit 25 Prozent nicht optimal, um die ÖH mit großer Legitimation auszustatten.
Eine Erklärung dafür ist, dass die Wahlen quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten werden. Viele Medien widmen sich dem Thema nur stiefmütterlich, vor ÖH-Wahlen kriegen auch so manche Spitzenkandidat:innen nur wenige Minuten Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Wahlzyklus wird traditionell nur von FM4 und dem Standard besonders aufmerksam beobachtet, viele andere Medienunternehmen widmen den einzelnen Listen nur jeweils einen Absatz in einem Überblicksartikel. Die traditionelle Elefantenrunde, die (je nach aktueller Bundes-ÖH) auch ab und zu „Elefant_innenrunde“ genannt wird, lockt Studierende vor allem wegen Moderator Armin Wolf, der alle zwei Jahre die gleichen Fragen stellt und z.B. die beiden kommunistischen Listen mit einem Witz über die Volksfront von Judäa und die judäische Volksfront reizt.
Außerhalb dieser wenigen Möglichkeiten finden ÖH-Wahlen medial kaum statt. Die Studierenden könnte es sogar interessieren – mitbekommen würden sie trotzdem wenig bis gar nichts. Das führt dazu, dass der Wahlkampf sich hauptsächlich auf zwei Möglichkeiten beschränkt: den persönlichen Kontakt an den Hochschulen und soziale Medien.
Spritzer statt Inhalte
Wer in die Interessenvertretung der Studierenden einziehen will, verbringt also zwangsläufig viel Zeit vor Hochschulgebäuden, wo die meisten wohl eher knapp zu ihren Lehrveranstaltungen eilen. Die „Laufkundschaft“ hat keine Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, worum es bei den ÖH-Wahlen überhaupt geht, nur wenige werden sich realistisch die Zeit nehmen, die vielen Listen zu vergleichen. Dabei ginge es um viel: um die Frage, wie die Hochschulen angemessen finanziert werden können, wie man mit Hybrid-Lehre umgehen soll und was mit den gut gefüllten Fördertöpfen der ÖH passiert. (Diese finanziert sich, wie andere Interessenvertretungen, durch Beiträge aus der Pflichtmitgliedschaft.)
In der Praxis trifft man sich also dort, wo sich junge Leute eben treffen: am Spritzerstand. Viele kandidierende Listen haben eigene Stände, an denen Alkohol ausgeschenkt und mit Flyern geworben wird – alleine die Tatsache, dass der Ort, an dem sich Studierende am Campus treffen, von einer Partei „gesponsert“ ist, bringt schon positive Assoziation. Wie viele wirklich mit den Kandidat:innen in Kontakt kommen und sich zur ÖH-Wahl informieren, ist fraglich. Aber beim Saufen nicht mitzumachen, wäre ein Wettbewerbsnachteil.
Bleibt Social Media. Vor allem auf Instagram und TikTok sind die Jugendparteien stark vertreten und versuchen mit dem kreativen Einsatz von Trends auf die ÖH-Wahlen aufmerksam zu machen. Die Botschaft beschränkt sich dort aber oft auf das Wesentliche: Zwischen 9. und 11. Mai wird gewählt, du solltest hingehen, und hier noch eine einzige Kernbotschaft. Memes mit Pedro Pascal, virale Audios und Tänze sollen dafür sorgen, dass die Studierenden zumindest ein bisschen etwas mitbekommen.
Immer gleiche Themenlage
Diese Kernbotschaften haben sich in den letzten zehn Jahren auch kaum verändert. In ÖH-Wahlen geht es in der Regel um die klassische Frage, ob das „allgemeinpolitische Mandat“ bleiben oder abgeschafft werden soll – darunter versteht man die Ansicht, dass die Interessenvertretung sich auch in der Bundes-, Europa-, ja Weltpolitik zu Wort melden soll. Die linken Parteien finden das gut, Parteien der Mitte weniger. Die einzige Rechtspartei auf Hochschulebene ist übrigens der Ring Freiheitlicher Studenten, er kam 2021 auf 2,65 Prozent und konnte sein Ergebnis damit stark steigern.
Was ist das Problem mit dem allgemeinpolitischen Mandat? Viele vermuten, dass die ÖH genau dadurch als „sinnlos“ wahrgenommen wird. In der Vergangenheit hat sich nicht nur die Bundes-ÖH, sondern auch so manche Universitätsvertretung (z.B. an der Universität Wien) mit Presseaussendungen zum Krieg in Syrien zum Gesprächsthema gemacht. Ob Assad wirklich weiß, mit wem er sich da anlegt? Ein anderes vorhersehbares Thema ist die Einführung von Studienbeiträgen, die nach dem Studium abbezahlt werden sollen.
Übrigens: Alle im Parlament vertretenen Parteien haben auch in der ÖH ihr Äquivalent, viele andere existieren aber nur auf Uni-Ebene – so gibt es gleich zwei kommunistische Listen, die „Fachschaftslisten“ und auch satirische Listen wie „No Ma’am“ (entnommen aus der Serie „Eine schrecklich nette Familie“), deren einzige Forderung lautet, die ÖH-Gelder für Freibier einzusetzen. Zwischendurch wird die Frage laut, ob die stimmenstarke Aktionsgemeinschaft zur ÖVP gehört. Die Antwort: offiziell nicht, aber sie bekommt ihre Plakate gezahlt, und AG-Funktionär:innen wechseln regelmäßig danach in die Volkspartei. Die Spitzenkandidatin der letzten ÖH-Wahlen, Sabine Hanger, ist etwa auch bei der Jungen ÖVP engagiert.
Aber auch Fragen der Identitätspolitik kommen immer wieder in den Wahlkampf – 2021 wurde die grüne Liste GRAS etwa dafür bekannt, dass Männer bei ihnen jederzeit den Raum verlassen müssten, sobald das eine nichtmännliche Person forderte, da so ein „Safe Space“ geschaffen werde. Dass es um den Umgang mit Themen wie Rassismus und Sexismus geht, ist wenig überraschend, da diese Themen Studierende auch wirklich interessieren dürften. De facto beschränkt sich diese Diskussion aber oft auf die Frage, welche Workshops und Organisationen von der Bundes-ÖH finanziert werden, um Extremismus zu bekämpfen.
Es bräuchte eine starke ÖH
Die Aktionsgemeinschaft ist übrigens nicht die einzige ÖH-Liste, deren Personal man später in der Bundes- und Landespolitik findet. Sigrid Maurer, die Klubobfrau der Grünen im Nationalrat, startete ihre politische Karriere etwa in der Hochschulpolitik. Aber auch andere bekannte Namen aus der Politik spielten später auf der großen politischen Bühne: Michael Häupl, Othmar Karas, Yannick Shetty, Harald Mahrer, Matthias Strolz, Maria Vassilakou, Ulli Sima, Claudia Plakolm, Helmut Brandstätter, Josef Cap. Für viele ist die Interessenvertretung also der Start der politischen Karriere.
Die mangelnde Öffentlichkeit und die Inhaltslosigkeit der Wahlkämpfe machen also eines klar: Die ÖH-Wahlen werden wohl auch dieses Jahr keine Positivrekorde bei der Wahlbeteiligung verzeichnen. Dabei wäre das Gegenteil eigentlich wichtig: Interessenvertretungen wie die Arbeiter- oder Wirtschaftskammer sind regelmäßig Ansprechpartner der Politik – warum sollte das nicht auch die ÖH sein?
Bei den ÖH-Wahlen geht es nicht nur darum, in welche inhaltliche Richtung sich die Vertretung aller Studierenden bewegt, sondern auch um ein starkes Mandat für genau diese Vertretung. Wer auch immer die Wahl gewinnt und am Ende miteinander koaliert: Mit einer Wahlbeteiligung von 15 Prozent kann niemand damit rechnen, in den Ministerien mit großem Respekt empfangen zu werden. Im besten Fall kommt eine starke ÖH mit inhaltlichen Ansagen und hoher Legitimation heraus – aber dafür braucht es Studierende, die wählen gehen. Am 11. Mai wissen wir mehr.