Das Problem mit den Zivildienern
Zivildiener sind aus dem österreichischen Gesundheitswesen kaum wegzudenken. In Krankenhäusern, in der Alten- und Krankenbetreuung oder in der Gesundheitsvorsorge, überall arbeiten Zivildiener mit. In einem Bereich sind sie aber de facto unersetzbar: im Rettungswesen. Das allerdings untergräbt das Rettungssystem.
Viele Menschen kennen jemanden, der seinen Zivildienst im Rettungswesen oder im Krankentransport abgeleistet hat. Damit kennen sie auch die Geschichten von 12-Stunden-Diensten, von nervenbelastenden Einsätzen, von Zeitdruck und zu kurzen Mittagspausen.
Obwohl es für Zivildiener 16 Tätigkeitsfelder gibt, leisten 40 Prozent ihren Dienst bei der Rettung ab, wo diese Geschichten geschrieben werden. Gleichzeitig wird immer wieder gesagt, dass das Rettungssystem ohne Zivildiener in Gefahr schwebt. Zumindest lassen es Medienberichte, beispielsweise aus dem Burgenland oder Oberösterreich, so wirken.
Wer ist die Rettung, und wenn ja, wie viele?
Offiziell dürfen Zivildiener keine tatsächlichen Arbeitsplätze füllen, also sozusagen vorhandenes Personal ersetzen. Im Zivildienstgesetz heißt es:
„Bei der Zuweisung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dadurch weder bestehende Arbeitsplätze gefährdet werden noch Arbeitsuchenden das Finden geeigneter Arbeitsplätze erschwert wird.“
Das Rettungswesen ist allerdings so aufgebaut, dass fraglich ist, inwiefern es sich tatsächlich um Arbeitsplätze handelt. Immerhin gibt es im Rettungswesen drei verschiedene Formen von Tätigkeiten: hauptberufliche Sanitäter, Ehrenamtliche und eben Zivildiener. Wie viele das genau sind, weiß aber niemand.
Denn die Rettung wird fast überall von Freiwilligenorganisationen im Auftrag von Gemeinden betrieben. In den meisten Fällen ist diese das Rote Kreuz – aber selbst innerhalb der Organisation haben die Landesberichte, die Aufschluss über den Personalstand geben, unterschiedliche Formate. Da das Rote Kreuz neben dem klassischen Rettungsdienst auch Blutspendedienste, Sozialeinrichtungen etc. betreibt, ist nicht ganz eindeutig, wie sich die Mitarbeiter:innen auf die verschiedenen Tätigkeitsbereiche verteilen.
Kurz gesagt: Wir wissen nicht, wie viele Menschen in Österreich bei der Rettung arbeiten. Diese Datengrundlage wäre aber wichtig, um zu evaluieren, wie abhängig das System von Zivildienern ist.
Die Rettung setzt auf „Zivis“
Die grundsätzliche Teilung zwischen den drei Anstellungsverhältnissen soll theoretisch das Rettungswesen billiger machen. Hauptberufliche Mitarbeiter:innen sind teuer, ehrenamtliche fördern die Zivilgesellschaft, und Zivildiener werden gewissermaßen vom Staat zur Arbeit verpflichtet.
Aber genau das führt eben zu vielen Missständen. Für Zivildiener gibt es nicht allzu viele Möglichkeiten, Arbeitsbedingungen zu kritisieren oder auf Mittagspausen zu bestehen, und die Grundversorgung reicht oft nicht für die Miete. Offenbar wurde in den vergangenen Jahr(zehnt)en aber sehr stark auf Zivildiener gesetzt – anders ist immerhin nicht zu erklären, warum Rettungsorganisationen ohne Zivildiener zusammenbrechen würden.
Die Anforderungen des Zivildienstgesetzes sind damit möglicherweise trotzdem erfüllt, immerhin gibt es ja keine tatsächlichen Arbeitsplätze, für die Zivildiener einspringen – ohne die Zivildiener funktioniert es aber auch nicht. Und genau deshalb sorgt der demografische Wandel jetzt dafür, dass das System nicht mehr funktioniert.
Zu wenig Ausbildung, zu viele Ansprüche
Die Anzahl der Geburten hat in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen, und zwar kontinuierlich. Da auch immer weniger junge Männer die Tauglichkeit bescheinigt bekommen, nimmt die Zahl der Zivildiener ab und die meisten Bundesländer können ihren Bedarf nicht decken. Das zeigen zumindest die Zahlen der zuständigen Staatssekretärin Claudia Plakolm in einer Anfragebeantwortung. So gab es beispielsweise in Kärnten 2021 253 Zivildiener, gebraucht wurden aber 80 mehr. In Tirol dafür dürfte der Zivildienst bei der Rettung noch gut funktionieren, dort wurden sogar 96 Prozent der nötigen Stellen mit Zivildienern gefüllt.
Nachdem es das Personal aber trotzdem braucht, müssen die Plätze anders gefüllt werden. Das geht aufgrund der inhaltlichen Ausgestaltung des Sanitätswesens aber kaum. Immerhin kann man innerhalb von zwei Monaten die Grundausbildung zum/zur Rettungssanitäter:in abschließen. Zwei Monate sind allerdings keine lange Zeit, um direkt anschließend in einen Beruf einzusteigen. Erst recht nicht, wenn berücksichtigt wird, dass es sich um eine soziale Arbeit handelt, die Menschen schnell an die Grenzen ihrer Ressourcen bringen kann.
Immerhin ist man als Sanitäter:in oft die erste Person vor Ort, wenn jemand stirbt, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hat. Keine leichte Situation, wenn man sich vorstellt, mit 18 Jahren damit konfrontiert zu sein und möglicherweise auch die einzige Person zu sein, das Angehörige informieren muss. Oder die erste Person vor Ort bei einer Geburt zu sein und ohne Vorbereitung eine erstmalig Gebärende zu begleiten. Gleichzeitig zeigen genau solche Beispiele, dass es sich um einen Fehler im System handelt. Denn eigentlich darf es nicht passieren, dass Zivildiener als Alleinverantwortliche in solchen Situationen sein können.
„Zivibomber“ – ein Systemfehler
In den meisten Bundesländern gibt es Vorgaben, wie die Besetzung eines Rettungswagens aussehen soll. Für Transporte gibt es Rettungswägen (RTWs), diese werden genutzt, wenn beispielsweise jemand mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung ins Krankenhaus gebracht wird oder immobile Patienten einen Transport benötigen. Auf der zweiten Ebene gibt es Notfallwägen (NTWs), die beispielsweise nach einem Unfall auftauchen sollten. Diese Notfallwägen müssen daher theoretisch immer eine:n Notfallsanitäter:in im Auto haben – in vielen Bundesländern kann diese Vorgabe aber aus Personalmangel nicht eingehalten werden.
Wenn Ehrenamtliche nicht einspringen können oder hauptberufliche Sanitäter:innen krank werden, kann es deshalb vorkommen, dass Zivildiener einspringen müssen, umgangssprachlich wird dann manchmal von „Zivibombern“ gesprochen. Genau dann werden eben junge Männer dazu gezwungen, in Extremsituationen die Verantwortung für Menschenleben zu übernehmen.
Nicht dürfen und trotzdem machen müssen
Doch dafür sollte der Zivildienst nicht da sein. Entstanden ist er aus der Diskussion heraus, wie Pazifisten den Wehrdienst abseits des Heeres ableisten können, die Auswahl von Rettungs- und Krankentransportwesen als Tätigkeitsfeld lässt sich aus alten Parlamentsprotokollen nicht mehr genau ableiten.
Interessant ist, dass es schon im ersten Jahr Beschwerden gab, weil bei der Abgeltung Strom- und Gaskosten nicht berücksichtigt wurden und Zivildiener daher zu wenig für ihre Lebenshaltungskosten erhielten – also eine Diskussion, die sich jetzt wiederholt. Das Ausmaß hat sich allerdings massiv verändert. Immerhin gab es im ersten Jahr des Zivildienstes 407 Zivildiener, mittlerweile stehen wir bei über 5.000 Zivildienern alleine im Rettungswesen. Dass hier eine Abhängigkeit des Systems entstanden ist, ist nicht nur eine politische Vermutung, sondern eine arithmetische Tatsache.
Wie immer im Gesundheitswesen läuft aber etwas im System schief, wenn Abhängigkeiten zu groß sind. Und genau das ist der Fall. Die Anzahl der Zivildiener sinkt mit der Geburtenentwicklung, gleichzeitig werden die Anforderungen an das Rettungswesen aber höher: Ohne Zivildiener könnten nur noch zwei Drittel der im Rettungsdienst geleisteten Stunden erbracht werden, Wartezeiten auf Einsatzkräfte würden sich damit massiv erhöhen. Gleichzeitig gibt es aber die gesetzliche Verpflichtung, das Rettungswesen zu betreiben – wer keine Hilfe bekommt, könnte den Staat verklagen.
Eine Reform des Rettungswesens und eine Änderung des Berufsbilds, damit der Beruf des Sanitäters/der Sanitäterin attraktiver wird, ist damit unvermeidbar. Mittlerweile nehmen die Meldungen über die Missstände und den Personalmangel zu, und das Rettungswesen beginnt politische Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Reformbedarf wird offensichtlich: Zivildiener können das Problem nicht lösen und sollten auch nicht in diese Position gebracht werden.