Das Rote Kreuz: Eine gefährliche Abhängigkeit
In mehreren Bundesländern sind Rettung und Rotes Kreuz synonym und wurden auch schon immer so gesehen. Aber was passiert, wenn staatliche Aufgaben bei privaten Monopolen landen und nicht mehr erfüllt werden können?
„Aus Liebe zum Menschen.“ Mit diesem Motto macht das Rote Kreuz nicht nur seit 2008 Werbung, sondern betreibt auch eine gleichnamige Stiftung.
Eine Stiftung, für die es wohl ganz gut läuft; immerhin ist das Rote Kreuz laut Fundraising Austria seit Jahren der größte Spendenempfänger Österreichs. Allerdings berücksichtigt das nur die offiziellen Spenden von Privatpersonen. Alleine durch die Abwicklung von öffentlichen Aufträgen hat das Rote Kreuz noch in einigen Bereichen ein Monopol oder zumindest eine marktbeherrschende Position in Österreich. Blutspenden, Rettungswesen, Essen auf Rädern, auch in der Pandemie übernahm das Rote Kreuz zuerst das Ruder und spielte eine wichtige Rolle im Krisenmanagement. Immer gleich ist aber, dass das Rote Kreuz eine wichtige Rolle bei der Erfüllung von staatlichen Aufgaben spielt und es kaum Möglichkeiten gibt, die zugehörigen Finanzströme, Personalzahlen oder Statistiken zu überprüfen.
Wenn es jahrzehntelang so gehandhabt wird und die Abhängigkeit so groß ist, dass es kaum Handlungsspielraum gibt, um das System zu ändern, wird es aber kritisch. Denn im Rettungssystem treten immer mehr Probleme zutage. Und aufgrund der Intransparenz und der vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten weiß keiner, wie etwas im Rettungswesen geändert werden kann.
Es gibt keine zusammenfassenden Statistiken, wie viele Leute mitarbeiten, wie viele Einsätze es gibt und wie viel das Rettungswesen kostet. Weshalb Menschen die Rettung rufen, wird auch nicht ordentlich ausgewertet. Was dafür jeder sagt, ist: „Wenn wir was ändern, wird es teurer.“ Denn einer der häufigsten Lösungsvorschläge läuft auf eine Professionalisierung der Sanitäter:innen hinaus. Längere Ausbildungszeiten bedeuten aber weniger Zivildiener und weniger Ehrenamtliche. Das bedeutet wiederum mehr hauptberufliche Sanitäter, und die müssen bezahlt werden – darum geht jeder von einer Preissteigerung aus.
Das Rote Kreuz – ein billigeres Taxi?
Die einzige Stelle, die hier tatsächlich etwas Licht ins Dunkel bringen könnte, ist das Rote Kreuz selbst. Denn in acht von neun Bundesländern spielt es die größte Rolle im Rettungssystem. (Auch in Wien übernimmt das Rote Kreuz Teile der Krankentransporte und stellt an einer Einsatzstelle auch Notfalltransportwägen zur Verfügung, z.B. für Unfälle.)
Dadurch hat das Rote Kreuz in allen Bundesländern Einblicke, welche Summe die damaligen Gebietskrankenkassen als Honorar für einen Einsatz vereinbart haben. Einen Einblick, den die heutige ÖGK nicht geben kann – nicht alle Verträge seien auffindbar, und Stakeholder im Gesundheitswesen bezweifeln stark, dass diese Verträge bundesweit vereinheitlicht werden können.
Durch die große Verbreitung hat auch wohl nur das Rote Kreuz selbst eine Idee, wie viel die Gemeinden für den Rettungsdienst zahlen. Die Landesleistungen könnten sich ja theoretisch noch herausfinden lassen. Allerdings sagt das Rote Kreuz, dass es sich aus unterschiedlichen Landesorganisationen zusammensetzt, die verschiedenen Zahlungen und Abrechnungen können gar nicht über alle Bundesländer hinweg verglichen werden. Kein Wunder, immerhin subventioniert sich das Rote Kreuz praktisch selbst quer. Ein Krankentransport kostet kaum etwas, in Wien wurde einmal die Beispielsumme von 13 Euro genannt.
Da bekommt jeder Taxifahrer mehr.
– Zitat eines Rot-Kreuz-Mitarbeiters
Je nach Wegstrecke ist das absolut richtig – immerhin braucht ein Taxi nur einen Fahrer, ein Rettungswagen sollte bei einem Krankentransport immer mit zwei Personen besetzt sein. So gesehen ist ein Rettungswagen natürlich immer das teurere Transportmittel, und dadurch hält sich oft die These, dass Krankentransporte den Rettungsdienst erhalten. Nicht ohne Grund: Auch quer über verschiedene Einsatzorganisationen gibt es dazu großen Konsens, wie bei einer Podiumsdiskussion im Parlament schon im Februar 2020 gesagt wurde:
„In allen Nachbarländern bekommst du für einen Rettungseinsatz 600 Euro. In Österreich sind es 30, außer der Patient stirbt. Dann bekommst du gar nichts.“
Die Zeit, der Sprit und das Material müssen aber trotzdem bezahlt werden. Auch wenn es sozusagen keine Versicherungsnummer mehr gibt, die als Kostenstelle eingetragen werden kann.
Genau das führt aber zu einer massiven Schieflage zwischen Realität und Theorie. Denn Medien zeichnen oft ein Bild von der Rettung als Erster Hilfe bei einem Unfall oder als einsatzbereite Helfer:innen, die mitten in der Nacht auf einer Landstraße eine plötzliche Geburt begleiten. Tatsächlich machen Notfälle, die einen Arzt erfordern, laut Rotem Kreuz aber maximal 10 Prozent aller Einsätze aus. Ohne den Berufsstand von Sanitäter:innen untergraben zu wollen: Damit bleiben Transporte, mehr Transporte, Herzinfarkte (die mit ärztlicher Begleitung ins Krankenhaus gebracht werden) und Schlaganfälle (die ohne ärztliche Begleitung ins Krankenhaus gebracht werden).
Nun führen diese Einsätze durch ihre Summe zwar zu Einnahmen. Die Zunahme an Fahrten führt aber zu einer erhöhten Belastung der Sanitäter:innen. Denn selbst wenn nicht jeder Einsatz ein Herzinfarkt ist: Die steigende Zahl reduziert Stehzeiten, streicht Mittagspausen und muss absolviert werden. Das macht den Rot-Kreuz-Dienst für Ehrenamtliche anstrengender und unattraktiver. Im einzelnen Fall kann man den Menschen kaum helfen, muss sich jede Sekunde auf neue Einsätze einstellen und ist permanent auf Achse und gestresst.
Quersubvention durch das Ehrenamt
Aus Liebe zum Menschen also, das ist der Anreiz. Allerdings nicht nur für Sanitäter:innen, sondern auch für das Rote Kreuz selbst. Denn inoffiziell macht man dort mit dem Rettungswesen seit Jahren Verluste.
Wenn teure Rettungseinsätze quersubventioniert werden müssen, braucht es eben viele Transporte, um einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Auch hier gibt es zeitliche Auflagen, man benötigt ausreichend Personal. Lange hat man hier auf billige Arbeitskräfte gesetzt – Ehrenamtliche und Zivildiener sind immerhin weitaus billiger als Hauptberufliche. Das funktioniert allerdings nur, solange die Zahl der Zivildiener steigt. Mittlerweile scheint die Suche nach billigen Arbeitskräften mehr zu werden.
Das Rote Kreuz ist aber nicht irgendein Unternehmen, sondern eine Institution, die für viele Teile der Bevölkerung zu den Grundfesten des Staates gehört. Indirekt ist auch genau das der Grund, warum das Rote Kreuz nicht einfach bei der Versorgung einsparen kann: Denn gesetzlich sind Gemeinden und Länder verpflichtet, das Sanitäts- und Rettungswesen zur Verfügung zu stellen. Da (meistens) das Rote Kreuz mit der Erbringung dieser Versorgung beauftragt ist, ist es also auch verpflichtet, die gesetzlichen Mindeststandards zu liefern. Das ist wirtschaftlich aber teilweise schwierig und hat deshalb Auswirkungen auf die Ausstattung und die Personalmittel, wie man in Tirol gesehen hat.
Das Beispiel Tirol
In Tirol zeigte sich, welche Probleme bei der Vergabe von öffentlichen Aufgaben entstehen können. Auf einer theoretischen Ebene gibt es nach wie vor Diskussionen, inwiefern das Rettungswesen ausgeschrieben werden muss oder direkt beauftragt werden kann, und Tirol war ein Musterbeispiel für diese Debatte. Nachdem das Rote Kreuz als Quasi-Monopol die Preise festlegte, wollte das Land Tirol die Kosten reduzieren und entschied sich 2009 für eine Ausschreibung des Rettungswesens – es wurde also EU-weit jemand gesucht, der für das Land möglichst günstig das Rettungswesen durchführen konnte.
Grundsätzlich legen nämlich die Landesregierungen in ihren Gesetzen fest, welche Beiträge Gemeinden und Land für das Rettungswesen zahlen müssen. Gut möglich, dass diese Beiträge in Absprache mit dem Roten Kreuz und seinen Kostenprognosen festgelegt wurden. Möglicherweise fehlte etwas im Landesbudget, oder die Gemeinden beschwerten sich über knappe Kassen. Jedenfalls wurde ausgeschrieben – und damit sollten auch gleich die unterschiedlichen Bezirksorganisationen des Roten Kreuz zusammengefasst werden.
Nach einigem Hin und Her und Diskussionen über Rechtmäßigkeiten im Vergabeprozess bot das Rote Kreuz in einer Bietergemeinschaft mit dem Samariterbund Tirol, der Johanniter Unfallhilfe, dem Malteser Hospitaldienst und dem Österreichischen Rettungsdienst zehn Millionen Euro weniger als ein dänischer Rettungsdienst, der nur auf hauptberufliche Sanitäter:innen setzen wollte. Weil die Bietergemeinschaft rund um das Rote Kreuz so viel weniger geboten hatte, musste in den nachfolgenden Jahren in allen Bezirksstellen ein harter Sparkurs durchgebracht werden. Oft wirkt sich das im Rettungswesen auf die Zahl der hauptberuflichen Mitarbeiter:innen, die Ausrüstungsqualität oder auch die Qualität von Uniformen aus.
Erst 2016 war der Tiroler Rettungsdienst schuldenfrei – begünstigt wurde das durch Spenden, den damals günstigen Spritpreis und auch durch den hohen Anteil an Ehrenamtlichen. Den genauen Einfluss der Ehrenamtlichen kann man aber nur schwer abschätzen, weil das Rote Kreuz mehrere verschiedene Dienstleistungen anbietet (z.B. auch Blutspenden) und zu Hauptamtlichen im Rettungswesen keine genaue Auskunft geben kann.
Wer zahlt, wenn alles teurer wird?
Aber die Rahmenbedingungen sind nicht immer so günstig. Im Sommer 2022 sprach beispielsweise das Rote Kreuz Salzburg von einer Dreiviertelmillion, die aufgrund der Preiserhöhungen für zusätzliche Spritkosten erwartet werden. De facto kann das Rote Kreuz hier aber nichts machen. Die Rettungsorganisationen versuchen zwar für eine Befreiung der Mineralölsteuer zu lobbyieren und sammeln wieder Spenden, aber sie sind an ihre Verträge mit den einzelnen Gemeinden oder Bundesländern gebunden und haben deshalb fixe Budgets. Zusätzliche Einnahmen können also nur über mehr Einsätze generiert werden.
Bei denen wird das Personal in den meisten Bundesländern aber weder mitspielen wollen noch können, wenn man sich die Berichterstattung über das Rettungswesen ansieht. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Suche nach Freiwilligen von diversen Rot-Kreuz-Organisationen, wie etwa in Tirol, Horn oder Gmunden. Die große Frage ist: Wenn das Rote Kreuz von Gemeinden und Bundesländern bezahlt wird, um das Rettungswesen sicherzustellen und das nicht mehr kann: Was passiert mit dem Rettungswesen?
Bis dato wird immer gesagt, dass das Rettungswesen innerhalb des Roten Kreuzes quersubventioniert wird. Durch die Einnahmen von Blutbanken, durch die Kosten für Pflegekräfte, durch Essen auf Rädern, durch Einnahmen aus der Jugendarbeit oder Integrationsarbeit, die Katastrophenhilfe. Aber ob man sich darauf verlassen kann, weiß man nicht genau.
Denn wenn es eben um Finanzielles geht, ist das Rote Kreuz sehr schweigsam, und wie man in Anfragebeantwortungen sieht, kann oder will man auch im Ministerium nicht immer alles offenlegen, wie man am Beispiel der Blutspenden sieht. Wem das helfen soll, weiß allerdings keiner. Unter Sanitätern macht sich ein Wunsch nach mehr Professionalisierung breit, besonders seit ein Gerichtsurteil festgehalten hat, dass es für Sanitäter:innen keinen Berufsschutz gibt. Das Ministerium will zwar mit Arbeitsgruppen beginnen, doch die große Frage ist immer: Wie steht das Rote Kreuz dazu?
Immerhin ist das Rote Kreuz der größte Ausbildner. Sollte die Ausbildung woanders stattfinden sollen oder teurer werden, wirkt sich das auch bei der Kostenstruktur des Roten Kreuzes aus. Können die Versicherungsträger ihre Tarife nicht ändern – beziehungsweise im Interesse des Roten Kreuzes idealerweise erhöhen – stellen sich mehrere Fragen: Wie lange kann eine Leistung zum immer gleichen Preis erfüllt werden? Und ist es Patient:innen gegenüber fair, dass gleiche Leistungen bei einer vereinheitlichten Kasse zwischen den Bundesländern unterschiedlich bezahlt werden? Laut Auskunft mehrerer Interessenvertreter:innen scheint das Rote Kreuz hier auf der Bremse zu stehen, großartige Einblicke in potenzielle finanzielle Ursachen für diese Haltung gibt es aber nicht.
Politische Veränderungen gegen ein Monopol haben sich in der Praxis bisher oft als schwierig erwiesen. Nur: Was passiert, wenn nichts passiert? Dann warten Patient:innen auf die Rettung, und im schlimmsten Fall ist die Versorgungssicherheit im Notfall mangelhaft. Gemeinden und Länder könnten theoretisch dafür haften müssen. Dass die politischen Probleme im Rettungswesen angegangen werden, ist also auch im Interesse der Organisation selbst: Denn spätestens diese Entwicklung würde wohl auf das Rote Kreuz übertragen werden.