Das transatlantische Dilemma
Die US-Regierung will ihren Pfad zur Klimaneutralität beschleunigen. Die europäische Wirtschaft könnte dadurch zum Kollateralschaden werden.
Lange galt die EU als Musterschüler im Klimaschutz, allein auf weiter Flur. Als erste Großmacht hat sie sich schon letztes Jahr auf einen verbindlichen Plan zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet, 30 Prozent des Wiederaufbauplans „NextGenerationEU“ im EU-Budget sind für die Bekämpfung des Klimawandels vorgesehen. Trotzdem wird die EU alleine das Klima eher nicht retten können.
Jetzt gibt es aber gute Nachrichten, denn Joe Biden erfüllt zumindest in der Klimapolitik sein Versprechen: „America is back.“ Der Inflation Reduction Act (IRA), den die Demokraten vor den Midterm Elections beschlossen haben, sieht neben vielen anderen Themen – z.B. niedrigere Preise für verschreibungspflichtige Medikamente und einen Abbau der Staatsverschuldung – vor, grüne Energieproduktion im eigenen Land zu fördern und Verfahren zu beschleunigen. So sollen die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden, damit gleichen sich die Vereinigten Staaten dem europäischen Zwischenziel an.
„Die beiden größten und fortschrittlichsten Volkswirtschaften der Welt bewegen sich nun in dieselbe Richtung“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen unlängst dazu – immerhin waren die USA vor wenigen Jahren noch ein Land, dessen Führung die Evidenz für den menschengemachten Klimawandel ignorierte. Und klimapolitisch ist das ein besonders großer Grund zur Freude, weil daran 13,4 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes hängen. Aber:
„Es besteht die Gefahr, dass der IRA zu unlauterem Wettbewerb führt, Märkte abschottet und genau die kritischen Lieferketten fragmentiert, die bereits durch COVID-19 getestet wurden.“
Ursula von der Leyen
Genau hier könnte der IRA zu ungewollten Konsequenzen führen. Denn wer in den USA ein Elektroauto kauft, zahlt weniger Steuern darauf, wenn es im eigenen Land hergestellt wurde. Und auch die Batteriehersteller erhalten eine Steuervergünstigung, wenn sie in den Vereinigten Staaten produzieren. Das schafft klare Anreize in den USA und lockt Investitionen in grüne Technologien an, die es schon lange gebraucht hätte. Aber für Europa bedeutet das, dass sich Autohersteller zweimal überlegen werden, wo sie produzieren und verkaufen.
Europas Energiewende als Kollateralschaden
Und an dieser Frage hängt viel. Denn dadurch gibt es einen Anreiz für Unternehmen und Privatpersonen, ihre Investitionen von Europa in die USA zu verlagern. Europäische Batterie- und Solarunternehmen könnten jetzt ihre Minen oder Anlagen in Amerika statt in Europa bauen, um von den Subventionen zu profitieren – was die grüne Transformation der Union erheblich verzögern könnte.
Diese bräuchte es aber gerade jetzt. Denn anders als die USA sind viele EU-Staaten stark von Russland abhängig, wenn es um Energie geht. Die Alternative zu einem ambitionierten Ausbau von Wind-, Wasser- und Solarkraft – manche EU-Staaten wie Polen und Frankreich zählen auch die Atomkraft dazu – sind russisches Öl und Gas oder ein Wiederaufbau der schmutzigsten aller Technologien, der Kohlekraft.
Dass Europa mit teuren fossilen Brennstoffen Putins Angriffskrieg finanziert, ist auch nicht im Interesse der USA. Auch wenn sich die EU nicht alleine auf Uncle Sam verlassen sollte, ist sie nach wie vor einer der wichtigsten Partner der Vereinigten Staaten. Und das soll auch so bleiben – denn die Alternative zu einer starken Zusammenarbeit zwischen den beiden Supermächten ist, dass sich einzelne Staaten Europas von China abhängig machen. Mit diesem Kollateralschaden würde sich die Biden-Administration wohl selbst in den Fuß schießen.
Buy Allied statt Buy American
Ein Ansatz, der gerade auf beiden Seiten des großen Teichs diskutiert wird, ist die Ausweitung der IRA-Subventionen auf Unternehmen, die zu bestimmten demokratischen Ländern gehören oder dort ansässig sind. Aus „Buy American“ würde dann „Buy Allied“ – und Elektroautos könnten in Europa und den USA günstiger werden, sofern sie aus dem gemeinsamen Bereich liberaler Demokratien kommen.
Wie wahrscheinlich das ist? Eher wenig. Denn eine Ausweitung der Subventionen auf Europa könnte zu anderen Problemen führen, z.B. mit Japan, Südkorea oder Australien. Und eine generelle Subvention für die westliche Welt würde dann wieder Bidens zentrales Wahlversprechen verletzen: die grüne Transformation mit gut bezahlten Arbeitsplätzen zu verbinden. Vermutlich wird Europa also im Alleingang die Rechnung bezahlen – und sich eine Lösung überlegen müssen.
Die transatlantische Beziehung steht also vor einem Dilemma. Entweder gerät die europäische Wirtschaft unter die Räder, oder es droht ein protektionistischer Wettstreit. Sowohl in den USA als auch in Europa stehen Subventionen für Halbleiter an, was das Risiko erhöht, dass die Verbündeten in einen kostspieligen Subventionskrieg geraten. Das ist fürs Klima allemal besser, als nichts zu tun – aber mit einer gemeinsamen Lösung wäre allen besser geholfen.