Der Kurz-Prozess
Seit gestern, 9:30 Uhr muss sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz wegen einer falschen Zeugenaussage im Ibiza-U-Ausschuss vor dem Wiener Landesgericht für Strafsachen verantworten. Ein Strafantrag im Umfang von 108 Seiten, mehrere Verhandlungstage, über 20 Zeuginnen und Zeugen – mit einem Urteil wird so schnell nicht gerechnet, die Verhandlungstermine werden sich wohl bis weit in den November ziehen. Aber wie kam es überhaupt zur Kurz-Anklage, was wird dem ehemaligen Bundeskanzler konkret vorgeworfen und wie verlief der erste Prozesstag?
„Keine Wahrnehmung“ im Ibiza-U-Ausschuss
Nach mehr als zwei Jahren Ermittlungen der WKStA steht die Anklage gegen Sebastian Kurz. Konkret geht es darum, dass dieser bei seiner Einvernahme im Ibiza-U-Ausschuss im Juni 2020 gleich mehrmals die Unwahrheit gesagt haben soll. Kurz verneinte einerseits die Frage von NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter, ob er mit Thomas Schmid über dessen Bewerbung für die ÖBAG gesprochen hatte. Außerdem meinte er auf die Frage von NEOS-Abgeordneter Stephanie Krisper, ob er Wahrnehmungen zur Besetzung des ÖBAG-Aufsichtsrates habe, nur: „Grundsätzlich treffen die Minister, die zuständig sind, ihre Entscheidungen.“
Ende März 2021 nahm die Aussage eine unerwartete Wendung: Die allseits bekannten Chats auf dem Handy von Thomas Schmid – Stichwort „Kriegst eh alles was du willst“ und „Ich liebe meinen Kanzler“ verdeutlichten den Verdacht, dass der ehemalige Bundeskanzler doch stark in die Bestellung von Schmid eingebunden war. Die Folge dieser Chats? Krisper zeigte Kurz wegen des Verdachts der Falschaussage vor dem U-Ausschuss an, die WKStA nahm ihre Ermittlungen auf.
In einem 108 Seiten langen Strafantrag bringt die WKStA nun mehrere Vorwürfe vor – und das nicht nur gegen Sebastian Kurz, sondern auch gegen seinen ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli sowie Bettina Glatz-Kremsner, die frühere Chefin der Casinos Austria. Laut dem Strafantrag hat der Ex-Kanzler durch seine Antworten den Straftatbestand des § 288 StGB erfüllt: Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates.
Wann ist eine Lüge strafbar?
Um hier eine strafbare Handlung argumentieren zu können, reicht es nicht aus, einfach nur die Unwahrheit zu sagen. Die Lüge muss vorsätzlich sein – das bedeutet nicht, dass Sebastian Kurz absichtlich gelogen haben muss, sondern dass er es zumindest „ernstlich für möglich gehalten“ und sich „damit abgefunden“ haben muss, die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss falsch zu informieren.
Die WKStA legt in ihrem Strafantrag einen Fokus auf die Argumentation genau dieses Vorsatzes und meint, dass ein besonders starkes Motiv für eine vorsätzliche Falschaussage vorliege. Denn Motiv für die Aussagen im U-Ausschuss war nach der WKStA „ausschließlich, politische Nachteile für sich persönlich und die neue ÖVP abzuwenden“. Während Sebastian Kurz in der Öffentlichkeit stets von einem „neuen Stil“ der ÖVP sprach, wäre durch eine wahrheitsgemäße Aussage ans Licht gekommen, wie viel politischen Einfluss Kurz auf Postenbesetzungen genommen hat. Genau deshalb sagte Kurz nicht die Wahrheit: „Die Falschaussage zielte ausschließlich darauf ab, sich der politischen Verantwortlichkeit zu entziehen und die öffentliche Wahrnehmung seiner Politik nicht zu beschädigen.“
Schauplatz Straflandesgericht: Was passiert seit dem 18. Oktober?
Die WKStA hat eine Zeug:innenliste vorgelegt, die einige Polit-Promis aufweist. Neben den Ex-ÖVP-Finanzministern Hartwig Löger und Gernot Blümel sind beispielsweise auch Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie Kurz-Berater Stefan Steiner geladen. Insgesamt will die WKStA über 20 Personen in den Zeugenstand heben – alleine deshalb werden wohl mehrere Verhandlungstage benötigt werden.
Mit Spannung wird natürlich besonders eine Zeugenaussage erwartet: Thomas Schmid, der versucht, Kronzeuge zu werden, belastete Kurz bereits besonders schwer – das wird er auch im Prozess selbst tun, und einen Fokus auf die Einbindung von Kurz in die ÖBAG-Bestellung setzen. Schmids Chats waren letztendlich der Auslöser für das Ermittlungsverfahren und den Rücktritt von Kanzler Kurz. Diese sehr umfangreichen Aussagen werden auch in den Ermittlungen der WKStA von hoher Bedeutung sein.
Ein Schwerpunkt der Verteidigung von Ex-Kanzler Kurz wird somit auch sein, Schmids Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Diese Strategie wurde bereits im Ermittlungsverfahren versucht, als ein von Kurz geheim mitgeschnittenes Telefonat mit Schmid veröffentlicht wurde. Kurz Anwalt, Otto Dietrich, macht das bereits im Eröffnungsplädoyer des heutigen Verhandlungstags klar, wenn er sagt: Der, der sich wirklich für Schmid eingesetzt habe, „war Schmid selber“ – immerhin habe er sich seine Ausschreibung selbst geschrieben.
Abseits von Schmid wird Dietrich am ersten Verhandlungstag nicht müde, die WKStA zu kritisieren, den U-Ausschuss als Tribunal zu beschreiben und zu betonen, dass sich die Vorwürfe gegen Sebastian Kurz „in Luft auflösen“ würden – und beantragt Freispruch für seinen Mandanten.
Weg vom Kavaliersdelikt: Die Signalwirkung einer Verurteilung
Bis zu drei Jahre Haft drohen Sebastian Kurz bei einer Verurteilung. Er selbst ist davon überzeugt, dass sich die Vorwürfe vor Gericht „als haltlos herausstellen“ werden, wie er auf Twitter postete. Die WKStA führt – ungewohnt deutlich – bereits im Strafantrag aus, dass eine Diversion „mangels Verantwortungsübernahme und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten nicht in Betracht“ kommen würde.
Letzteres verdeutlicht, dass klar verdeutlicht werden soll, dass eine Falschaussage eben kein Kavaliersdelikt ist, sondern verfolgt und verurteilt wird – vor allem wenn sie dadurch grundlegende Kontrollrechte des Parlamentarismus behindert. Eine diversionelle Erledigung hätte insbesondere bei Politikern einen üblen Beigeschmack: Andere Politiker:innen könnten so künftig nicht effektiv von derartigen Straftaten abgehalten werden.
Zuletzt besteht für Kurz noch die Möglichkeit eines Aussagenotstands: Man wird wegen falscher Angaben in einem U-Ausschuss dann nicht bestraft, wenn man sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage einer strafrechtlichen Verfolgung oder öffentlicher Schande ausgesetzt hätte. Die WKStA sieht die Voraussetzungen dafür bei Sebastian Kurz nicht gegeben: Hätte er ausgesagt, in die Bestellung von Schmid zum ÖBAG-Vorstand eingebunden gewesen zu sein, wäre gegen ihn nicht ermittelt worden. Kurz’ Anwalt, Otto Dietrich, sieht einen Aussagenotstand wohl für nicht unmöglich: Er stellt die Frage, ob der U-Ausschuss nicht an sich ein Strafverfahren darstellt, da die Untersuchungsthemen voller strafrechtlich relevanter Begriffe wären.
Der heute startende Prozess ist also nur ein erster Vorgeschmack auf eine wohl sehr intensive Verfahrenszeit. Am Anfang wurde es erwartungsgemäß gleich mal spannend, als Kurz’ Anwalt einen anderen Richter beantragte – mit der Begründung, dass der zuständige Richter Radasztics befangen wäre. Er bezieht sich dabei auf eine Verbindung zwischen dem Richter und Peter Pilz in der Causa Eurofighter. Der Antrag wurde abgewiesen, der Richter argumentierte dies damit, dass kein Vertrauensverhältnis bestehen würde, das eine Befangenheit zur Folge hätte.
Es gilt also abzuwarten. Wie das Strafverfahren ausgeht, kann niemand mit Sicherheit sagen. Klar ist aber, dass eine Verurteilung von Sebastian Kurz eine deutliche Signalwirkung für künftige Falschaussagen hätte. Insbesondere Politiker:innen sind dazu angehalten, die Wahrheit zu sagen – und das, auch wenn es politisch unangenehm ist. Gegen den Ex-Kanzler laufen zudem noch weitere Ermittlungsverfahren im Rahmen der „Inseraten-Affäre“: Hier wird wegen mutmaßlicher Untreue und Bestechlichkeit ein weiteres Verfahren auf ihn warten.