Der lange Weg zur Informationsfreiheit
Während in Österreich das Amtsgeheimnis gilt, machen andere Staaten vor, wie Transparenz funktionieren kann.
Im Endeffekt hat es eine Festplatte gebraucht, damit sich in Österreich etwas ändern kann.
Die Chatprotokolle aus dem Handy des früheren ÖBAG-Chefs Thomas Schmid haben nicht nur das Vertrauen in die Politik erschüttert – sie haben auch eine Debatte ausgelöst, wie man Posten- und andere Formen der Korruption verhindern kann.
Eine Maßnahme, die dagegen helfen könnte, liegt seit bald zwei Jahren auf dem Tisch: das Informationsfreiheitsgesetz. Ein solches könnte nicht nur Freunderlwirtschaft erschweren, sondern auch das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Das wäre zumindest naheliegend: Wenn alle Bürger:innen Einsicht in staatliche Vorgänge haben, wird es auch schwieriger, Steuergeld für die eigenen Freund:innen zu verwenden.
Dürfen wir das wissen, bitte?
Das ist in Österreich aber besonders schwer, weil viele Auskünfte unter das sogenannte Amtsgeheimnis fallen. Damit ist dieser etwas sperrige Gesetzestext gemeint, der es der öffentlichen Hand erlaubt, zu schweigen:
„Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist (Amtsverschwiegenheit).“
Dinge, die unter das Amtsgeheimnis fallen, sind vielfältig: So dürfen wir z.B. nicht wissen, wer die Ministerien berät, wofür diese Beratungsaufträge sind und wie viel sie kosten. Genauso wenig wissen wir, woher der „Bundestrojaner“ kommt. Aber auch Dinge abseits der „großen“ Bundespolitik fallen unter das Amtsgeheimnis: Umwidmungspläne von Grundstücken sind genauso intransparent wie die Antwort darauf, wie viel Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Das Gesetz ist so breit definiert, dass so ziemlich alles mit der richtigen Begründung geheim gehalten werden kann – bis es jemandem wirklich wichtig genug ist, monatelang den Rechtsweg zu beschreiten.
Weil so vieles unter das Amtsgeheimnis fällt, ist es in der Praxis nicht nur für die Bürger:innen, sondern sogar für Medien schwer, Informationen vom Staat zu bekommen. So brauchte es z.B. eine Serie von 27 parlamentarischen Anfragen, um herauszufinden, wie viel Geld die Kammern aus ihren Pflichtbeiträgen bekommen.
Wie Schweden Transparenz vormacht
Wie das anders gehen könnte, zeigt Schweden. Anders als bei uns wird dort davon ausgegangen, dass alle Vorgänge von Behörden, staatsnahen Firmen oder Organisationen eben nicht von Natur aus geheim, sondern öffentlich sind. Das geht auf das „Öffentlichkeitsprinzip“ zurück: Es gilt seit 1766 und ist quasi das genaue Gegenteil des Amtsgeheimnisses.
„Zur Förderung eines freien Meinungsaustauschs und einer allseitigen Aufklärung hat jeder schwedische Bürger das Recht, an öffentlichen Dokumenten teilzuhaben.“
Verfassungsbestimmung in Schweden
Der Unterschied zu Österreich zeigt sich schon an der Definition: In Schweden wird der Begriff „öffentliches Dokument“ sehr weit gefasst. Wer sich vom Staat unfair behandelt fühlt, kann einfach nachschauen: Denn in Schweden können gesamte Ermittlungsakte genauso eingesehen werden wie Briefe, E-Mails, Sprachaufnahmen oder Gesprächsnotizen, weil all das „öffentliche Dokumente“ sind.
Dieses Recht auf Transparenz genießt man in Schweden nicht nur gegenüber staatlichen Behörden, es gilt auch für Universitäten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Kirche. Auch der schwedische Rechnungshof war 2016 wegen Vorwürfen der Freunderlwirtschaft in den Medien – durch Unterlagen, die Journalist:innen direkt vom Rechnungshof bekamen, weil sie ein Recht darauf hatten.
Österreichs Weg ist nicht „normal“
Was vielleicht nach einem rein theoretischen Recht klingt – wer würde sich hierzulande als Privatperson durch Ermittlungsakte wühlen –, wird in Schweden durchaus angenommen: Mehr als 100.000 Anfragen werden in Schweden pro Jahr an die Polizeibehörde gestellt. Noch dazu ist es einfach, mit diesen Informationen umzugehen: Man darf sich die Dinge, auf die man vom Staat Auskunft begehrt, auch auf eigene Kosten kopieren.
Eine Praxis, von der man in Österreich nur träumen kann. Wie mühsam es sein kann, Informationen von einer öffentlichen Stelle zu bekommen, können Journalist:innen am besten erzählen – z.B. schreibt Markus Hametner auf informationsfreiheit.at über seine Erfahrung, als er mehr über Einsparungsvorschläge der Stadt Wien erfahren wollte. Ähnlich intransparente Beispiele gibt es auch, wenn es um die Rechtfertigung eines Corona-Lockdowns oder die Auszahlung von Corona-Hilfen an parteinahe Vereine geht. Und eine Auswertung der Rechercheplattform Addendum ergab, dass sich die Hälfte der Gemeinden nicht an das Auskunftspflichtgesetz hält.
Wer sich jetzt beim Lesen fragt, ob das ein schwedisches kulturelles Phänomen ist, eine ulkige Lokalanekdote, liegt daneben. Es mag für Österreicher:innen ungewohnt sein, aber in Sachen Transparenz ist Österreich der Ausreißer, nicht Schweden. Berühmt ist z.B. auch der „Freedom of Information Act“ aus den USA. Ein Gesetz, das die Beweislast umdreht: Nicht die Bürger:innen müssen erklären, warum sie etwas wissen wollen – die Behörden müssen erklären, was dagegenspricht.
Langsame Zugeständnisse
Man mag einwenden, dass im Bereich Transparenz schon viel weitergegangen ist. Immerhin ist seit 1987 auch die Auskunftspflicht für Behörden gesetzlich festgeschrieben – aber nur, wenn die gesetzliche Verschwiegenheit nicht dagegenspricht –, und seit 2016 sind auch Ministerratsprotokolle öffentlich und online einsehbar. All das ist richtig. Aber nur eine Errungenschaft, wenn man ausblendet, dass Österreich in Sachen gläserner Staat quasi bei null anfängt.
Und auch die Rechenschaftsberichte, mit denen Parteien sich der Kontrolle durch den Rechnungshof mittlerweile aussetzen müssen, sind ein relativ neues Phänomen: Diese gibt es erst durch das Parteiengesetz aus dem Jahr 2012. Die neuen Verschärfungen der türkis-grünen Bundesregierung geben dem Rechnungshof zusätzlich die Möglichkeit, Belege zu prüfen, und lassen ihn auch bei „begründetem Verdacht“ prüfen.
Auch die Parteienfinanzierung wird strenger, aber die Regelung für „parteinahe Vereine“ ist eng definiert. Diese sind laut Gesetz „eine von der politischen Partei getrennte Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, die diese Partei oder eine andere nahestehende Organisation dieser Partei unterstützt“. Vereine, die Parteien nicht offiziell unterstützen, aber sich z.B. mit Parteien ein Büro und Personal teilen, fallen nicht unter diese Definition – Umgehungskonstruktionen sind also nach wie vor möglich.
Woran die Transparenz scheitert
Woher Parteien ihr Geld bekommen, wie viel sie wofür ausgeben, was das Ministerium mit Steuergeld tut – all das sind Dinge, die Bürger:innen selbst überprüfen könnten, wenn Österreich den schwedischen Weg wählen würde. Nicht nur aus Gründen der Korruptionsbekämpfung, sondern auch als vertrauensstärkende Maßnahmen nach den Vorfällen der vergangenen Jahre wäre das ein richtiger Schritt.
Stattdessen fürchten sich aber viele vor überbordernder Bürokratie. Denn gerade in der Lokalpolitik wird Politik eher als ehrenamtlicher Job betrieben – anders als in Ministerien gibt es keine großen Kabinette und keinen Apparat mit juristischem Wissen, der Bürgermeister:innen in Sachen Informationsfreiheit unterstützt.
„Gibst du zu viel her, straft dich der Datenschutz. Gibst du zu wenig her, straft dich das Informationsfreiheitsgesetz.“
Alfred Riedl, Präsident des Gemeindebundes
Diese Bedenken sind schon lange Gegenstand einer Debatte. Die Begutachtungsfrist für das geplante Informationsfreiheitsgesetz ist bereits im April 2021 abgelaufen, Medienberichten zufolge scheitert das Gesetz am Widerstand der ÖVP. Der letzte Vorschlag, um den Gemeindevertreter:innen entgegenzukommen: Je mehr proaktiv veröffentlicht wird, desto weniger muss beantwortet werden. Es wäre immer noch ein Schritt in die richtige Richtung. Aber alleine die Details, die in Österreich kontrovers diskutiert werden, zeigen, dass es bis zum wirklich transparenten Staat noch ein weiter Weg ist.