Die 5 größten Herausforderungen für Österreichs Medien
Ob es um den Aufstieg sozialer Medien, medienökonomische Themen oder um Vorwürfe politischer Einflussnahme geht – medienpolitisch ist in Österreich einiges los. Ein Überblick über die größten Herausforderungen für die österreichische Medienlandschaft.
1. Eine schwierige Marktstruktur
Der österreichische Medienmarkt wird von wenigen großen Playern dominiert. Die Kronen Zeitung ist mit 23 % Marktanteil unangefochten an der Spitze der Tageszeitungen – das sind rund 1,8 Mio. Leser:innen. Mit Heute und Österreich sind drei der fünf reichweitenstärksten Medien Boulevard-Zeitungen. Eine weitere Besonderheit: In Wien werden die beiden letztgenannten Zeitungen gratis verteilt.
Dazu kommt noch die Marktmacht des ORF. Als gebührenfinanzierte Rundfunkanstalt ist er außer Konkurrenz, was die finanziellen Mittel angeht. Das kann man einerseits mit „Public Value“ rechtfertigen, führt aber andererseits zu einer gewissen Wettbewerbsverzerrung.
Mit der ProSiebenSat.1PULS4-Gruppe und ServusTV gibt es zwar auch im Fernseh-Bereich Konkurrenz, aber beide Bereiche der klassischen Medien leiden unter starker Dominanz großer Player. Das sorgt zusätzlich zum ohnehin hohen finanziellen Druck für hohen Konkurrenzdruck für etablierte Medien und macht es schwierig, auf dem bereits sehr umkämpften Markt mit einem neuen Medienprojekt zu starten.
2. Wettbewerb mit Tech-Plattformen
Als wäre der große Konkurrenzdruck noch nicht schlimm genug, müssen sich Medien heute auch noch mit Social-Media-Unternehmen um Werbegelder streiten. Plattformen wie Google, TikTok oder Meta – das ist der Mutterkonzern von Facebook und Instagram – bieten hohe Reichweiten und starke Targeting-Möglichkeiten zu einem vergleichsweise sehr günstigen Preis. Das führt nicht nur dazu, dass sich der:die ein oder andere Chefredakteur:in auf Twitter die gute alte Zeit von Print zurück wünscht – sondern auch dazu, dass die Werbe- und Kampagnenbudgets großer Unternehmen und Agenturen auch in diese digitalen Kanäle fließen. So bleibt ein kleinerer Teil des Werbekuchens für die traditionelle Medienlandschaft.
Das sind aber nicht die einzigen neuen Kanäle, die Medienunternehmen Konkurrenz machen. Auch Medien, die von Parteien finanziert werden – wie auch Materie – konkurrieren mit ihnen um Aufmerksamkeit. Viele dieser Medien konkurrieren zumindest nicht am Werbemarkt, und wenn, dann eher aus anderen Gründen als finanzieller Not. Trotzdem ist das für etablierte Medien ein Störfaktor, da es auch um Klicks und Online-Zahlen geht, die z. B. Banner-Werbung auf ihren Seiten rechtfertigt. (We are sorry, liebe Journalist:innen.)
3. Politischer Einfluss
Politische Parteien setzen aber nicht nur auf Parteimedien, sondern nutzen auch gerne die Macht der traditionellen Medien. Dazu schaltet man in Österreich Inserate. Das ist in der Regel nichts Verwerfliches, wird aber im Licht aktueller Korruptions-Vorwürfe gegen den früheren ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Umfeld noch fragwürdiger gesehen als je zuvor. Das Finanzministerium soll mit Steuergeldern Studien der Meinungsforscherin Sabine Beinschab finanziert haben, die in der Mediengruppe „Österreich“ veröffentlicht wurden – und sehr wohlwollende Ergebnisse gegenüber der ÖVP ergaben, teilweise mit absurden Fragestellungen.
Wo viele Inserate geschalten werden, gibt es auch den Verdacht der Inseratenkorruption. Nicht nur die Politik, auch große Player der heimischen Wirtschaft können sich mit großen Inseratenbudgets Medien „anfüttern“. Das heißt, der eigentliche Werbewert eines Inserates liegt nicht nur in der Reichweite bei den Leser:innen der Zeitung, sondern eventuell auch darin, positive Berichterstattung zu fördern – oder negative zu unterlassen. Das Problem ist nur: Man kann mit freiem Auge selten den Unterschied feststellen. Und wenn es wohlwollende Berichterstattung gibt, ist ein Zusammenhang damit schwer zu beweisen, da es sich durchaus um eine unabhängige redaktionelle Entscheidung handeln könnte.
Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt darin, wer die Werbung zahlt. Die Partei oder Politiker:innen selbst, aus dem parteieigenen Budget? Oder die Parteifunktionäre in ihrer öffentlichen Funktion, z. B. als Minister:innen oder Bürgermeister:innen? Und geworben wird viel: 2021 schaltete die öffentliche Hand Werbung im Wert von 47 Mio. Euro.
Aber das ist nicht alles. In manchen Medien wird auch ein personeller politischer Einfluss vermutet – etwa durch Eigentümerstrukturen oder persönliche Verbindungen. Vieles davon schwankt zwischen Mutmaßung und schlechter Nachrede, die meisten dieser Vorwürfe sind nicht beweisbar. Sicher ist der politische Einfluss aber beim ORF: Die Parteien üben nicht nur über den Stiftungsrat Einfluss aus, sondern reden auch bei wichtigen Personalbesetzungen mit. Das wird auch von ORF-Journalist:innen regelmäßig öffentlich kritisiert – eine Änderung ist aber nicht in Sicht.
4. Sinkendes Vertrauen
Vorwürfe, dass Medien für positive Berichterstattung mit Inseraten belohnt würden, wirken sich wenig überraschend nicht positiv auf das Medienvertrauen aus. Laut dem Reuters Digital News Report glauben nur 23 % der Österreicher:innen, dass Medien frei von politischem Einfluss sind, 26 % trauen ihnen Freiheit von ökonomischer Einflussnahme zu.https://datawrapper.dwcdn.net/OtTEZ/2/
Diesen Verlust an Glaubwürdigkeit verschulden Medien nicht immer selbst. Oft wird das Fehlverhalten einiger Medien – z. B. Verstöße gegen den Ehrenkodex des Presserats (oder andere, neu geschaffene Richtlinien), falsche oder unvollständige Berichterstattung oder echte politische Einflussnahme – auch jenen unterstellt, die damit nichts zu tun haben. Eine Möglichkeit, dieses Vertrauen zurückzugewinnen, ist Transparenz, vor allem Quellen-Transparenz. Das wird allerdings immer schwerer, wenn mehr und mehr Content hinter der Paywall verschwindet, wo kaum neue User erreicht werden. Und für eine große Qualitätsoffensive inklusive Kampagne fehlt oft das Geld, eben weil das Vertrauen in die Medienlandschaft sinkt. Ein Teufelskreis.
5. Die Digitalisierung verschlafen
Ein Trend, der sich unabhängig von allen politischen Entwicklungen abzeichnet, ist die Digitalisierung: 2021 informierten sich die Österreicher:innen zum ersten Mal mehr über soziale Medien (47 %) als über Print-Produkte (42 %). Nimmt man Online-Medien dazu, informieren sich drei von vier hauptsächlich digital. Und das in einem Land, dessen Medienunternehmen traditionell stark auf Papier setzen.
Viele Medien in Österreich haben den Strukturwandel zur digitalen Öffentlichkeit schlicht und einfach verschlafen. Das sagt sich leicht, weil es nur wenige gibt, die bisher nachhaltig gute digitale Geschäftsmodelle entwickelt haben. Und vielleicht liegt es auch an der Größe des österreichischen Marktes, dass einfach nicht genug Geld für die bestehende Medienpluralität da ist. Aber einige versuchen trotzdem, diesen Rückstand aufzuholen – z. B. durch vernünftige Bezahl-Modelle, in denen man „Premium-Content“ anbietet, den es nicht in jedem anderen Medium gibt. Andere setzen verstärkt auf Werbemodelle. Und wiederum andere scheinen ihren Online-Auftritt nach wie vor als den verlängerten Arm des Print-Produkts zu sehen.
Was also tun?
Österreich ist also ein kleiner, umkämpfter Medienmarkt mit vielen strukturellen Problemen. Das heißt aber nicht, dass es keine Lösungsansätze gibt. Im Gegenteil – in den meisten Fällen gibt es Reformvorschläge, die auf dem Tisch liegen.
Eine Möglichkeit wäre eine Neuaufstellung der Medienförderung. Statt wie bisher hauptsächlich bestehende Reichweiten zu fördern, könnte mehr auf Qualität abgezielt werden. Aber wie misst man Qualität? Man könnte hier z. B. auf die Selbstregulierung durch Mitgliedschaft im Presserat oder auf die Verpflichtung zu einer anderen Art von Richtlinie Rücksicht nehmen und sie zur Bedingung machen – bei Verstößen wird gestrichen. Eine Medienförderung neu könnte aber auch Diversität im Newsroom, den Ausbau des Online-Geschäfts für junge Zielgruppen oder die (kostenfreie) Ausbildung von Journalist:innen zur Bedingung machen.
Damit einhergehend sollte auch dringend die „informelle Förderung“ durch Inserate auf neue Beine gestellt werden. Dass der Staat die Öffentlichkeit auch über klassische Medienkanäle informieren will, soll nach wie vor möglich sein – über eine Obergrenze und eine nachvollziehbare Berechnungsgrundlage der Kampagnen-Budgets könnte man hier aber nicht nur Geld sparen, sondern transparenter werben, um wirklich für den Wert der Reichweite zu zahlen. Das würde auch Inseratenkorruption wesentlich erschweren.
Vielen Herausforderungen müssen sich die Medien aber auch selbst stellen. Ein moderner Online-Auftritt und eine Social-Media-Präsenz gehören im Jahr 2022 zu den Basics – das wäre enorm wichtig, um die jungen Leser:innen zu sichern und langfristig an Medien zu binden. Wer damit jetzt noch Aufholbedarf hat, braucht auf keine medienpolitische Rettung zu warten, sondern muss sich selbst aus dem Loch ziehen.