Die EU will stärker gegen Greenwashing vorgehen
Welches Auto ist nachhaltiger – ein Tesla oder ein Jeep?
Und welche Firma ist besser für diese Welt – Nestlé oder Coca-Cola?
Die meisten Personen werden auf die erste Frage korrekt antworten können, aber Frage zwei? Keiner weiß es.
Der Impact, den Firmen auf unsere Welt haben, ist komplex. Abholzung, Emissionen, Umweltverschmutzung, Kinderarbeit, Ausbeutung von Arbeitnehmer:innen? Schwierig zu messen, unmöglich gegeneinander aufzuwiegen. Gewinne, Cashflow, Rücklagen und Eigenkapital lassen sich schließlich viel leichter messen – und werfen in den meisten Fällen keine moralischen Fragen auf, die dem Geschäft schaden könnten.
Grüne Verpackung, nichts dahinter
Für Investor:innen mit Gewissen ist der Aktienmarkt darum auch kein leichtes Pflaster. Konkret hat man die Wahl, sich durch Nachhaltigkeitsberichte von Großkonzernen zu wühlen, die gerne die spannendsten Fragen aussparen, oder in Grün verpackte Aktienfonds zu investieren. Dass dieses Versprechen nicht immer der Realität entspricht, hat Stiftung Warentest Ende 2021 recherchiert. 128 „nachhaltige“ Fonds wurden darauf geprüft, ob sie Investments in fossile Brennstoffe, Atomkraft, Umweltzerstörung, kontroverse und konventionelle Waffen, Korruption und in Branchen, die Menschen- und Arbeitsrechte verletzen, ausschließen. Sechs Fonds bestanden den Test.
Greenwashing ist am Finanzmarkt so einfach, weil es keine verpflichtenden Regeln zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung gibt; keine Standards, die alle Beteiligten anwenden müssen; keine Liste mit unangenehmen Fragen, die jeder Betrieb öffentlich beantworten muss.
Gute Nachrichten für Investor:innen mit Gewissen
Ab 2024 wird sich das ändern: Die EU bereitet eine stille Revolution der Nachhaltigkeitsberichtserstattung in der Wirtschaft vor, die zurzeit noch niemanden zu interessieren scheint. Die Corporate Sustainability Reporting Directive – kurz CSRD – wurde Anfang November im EU-Parlament beschlossen, und sie hat Großes vor.
Ziel dieser Richtlinie ist es, den Status von nichtfinanziellen und finanziellen Aspekten der Unternehmenstätigkeit anzugleichen. Unternehmen sollen sich in ihren Nachhaltigkeitsberichten damit auseinandersetzen, was ihre Tätigkeit für Mensch und Umwelt bedeutet und wie der Klimawandel das eigene Geschäft beeinträchtigt. Im Bericht müssen sie darlegen, wie sie dazu beitragen werden, die Klimaziele der Europäischen Union zu erreichen. Investor:innen und Kund:innen erhalten vergleichbare, extern geprüfte Informationen, die sie zur Kauf- bzw. Investitionsentscheidung heranziehen können.
Die CSRD ersetzt die Non-Financial Reporting Directive (NFRD), die 2014 den Grundstein für nicht-finanzielle Berichtserstattung legte. Die NFRD verpflichtet Großunternehmen ab 500 Mitarbeiter:innen neben ihrer finanziellen Berichterstattung auch zum Nachhaltigkeitsreporting. Durch diese Zahl sind nur rund 11.000 Unternehmen von der Regulierung erfasst – und die Qualität der Berichte ist wechselhaft. Zwar gibt es Richtlinien – so soll die Berichterstattung konsistent und kohärent und auf die Interessenträger ausgerichtet sein und Angaben zum Geschäftsmodell, Maßnahmen und ihrer Umsetzung enthalten – diese sind allerdings nicht verpflichtend, und auch eine externe Kontrolle der Berichte ist nicht nötig.
Greenwashing wird der Kampf angesagt
Mit der CSRD will die EU all diese Kinderkrankheiten der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu Problemen der Vergangenheit machen. In der Zukunft müssen Großunternehmen über 250 Mitarbeiter:innen und alle börsennotierten Firmen unabhängig von ihrer Größe über die sozialen und ökologischen Aspekte ihrer Tätigkeit informieren. Statt 11.000 werden dadurch in Zukunft 50.000 Unternehmen in der EU Einblick in ihre Nachhaltigkeitsbemühungen geben müssen.
Der Bericht muss anhand der EU Sustainability Reporting Standards (ESRS) erstellt werden und so formatiert sein, dass die Ergebnisse maschinell in eine EU-Datenbank eingelesen werden können. Auch eine externe Prüfung des Berichts ist verpflichtend. Die neuen Regeln gelten ab 2024 für Unternehmen, die unter der NFRD bereits berichtspflichtig waren, für andere Großunternehmen über 250 Mitarbeiter:innen ab 2025 und für börsennotierte KMUs ab 2026.
Unberührt von der Regelung sind KMUs, die nicht kapitalmarktorientiert sind. Die ESRS-Nachhaltigkeitsstandards wären für diese Gruppe zu umfassend, eine Nachhaltigkeitsberichtserstattung, wie sie Großunternehmen vornehmen müssen, zu umständlich. Es soll allerdings auch für diese Gruppe in der Zukunft eine Möglichkeit geben, anhand von einfach verständlichen Kriterien zu ihren Nachhaltigkeitsbemühungen zu berichten: Die Entwicklung von vereinfachten, freiwilligen Standards für Unternehmen, die von der CSRD nicht erfasst sind, ist in Planung.
Neue Regeln für die „Informationsflut“
Wie die Datenschutzgrundverordnung 2018 hat die CSRD das Potenzial, ordentliche Wellen zu schlagen. Nur scheint das außer den Beratungsfirmen, die Unternehmen beim Aufsetzen der Berichterstattung helfen und die Berichte kontrollieren werden, noch niemand so recht im Blick zu haben. In Österreich werden Schätzungen zufolge 1.260 Unternehmen von der CSRD betroffen sein – ein bedeutend größerer Kreis als die 89 Unternehmen, die unter der NFRD bereits berichtspflichtig waren, z.B. die VOEST, KTM oder die OMV.
Widerstand aus der Wirtschaft ist wahrscheinlich. Schließlich ist die Regelung mit Mehraufwand verbunden, und die verpflichtenden Standards offenbaren eventuell Nachhaltigkeitsaspekte, die Unternehmen lieber nicht thematisieren würden. Der Finanzvorstand von BMW hat bereits gemeldet, dass sich der „Mehrwert dieser Informationsflut für Investoren und die Öffentlichkeit“ nicht erschließe.
Was die Daten in ihrer Rohform betrifft, mag er Recht haben. Aber hier ist wieder Vertrauen in den Erfindungsreichtum der Wirtschaft gefragt – es wird sicherlich Organisationen geben, die sich der Datenaufbereitung und -visualisierung widmen wollen. Und die Informationen so aufbereiten können, dass wir Investieren mit gutem Gewissen einen Schritt näher kommen.