Die FPÖ ist die Öxit-Partei – und ja, es gibt Beweise
Offiziell gibt sich die FPÖ als eine Partei, die Europa reformieren will. Gleichzeitig zündelt sie aber immer wieder mit dem Öxit. Was hinter dieser Doppelstrategie steckt.
EU reformieren, reduzieren oder gar raus? Was die FPÖ europapolitisch wirklich will, dürfte nicht nur vielen Wählerinnen und Wählern unklar sein. Denn unter diesem Motto veranstaltete die Partei am 15. Februar selbst eine Veranstaltung. Gemeinsam mit dem deutschen AfD-Abgeordneten Maximilian Krah diskutiert der blaue EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky die Titelfrage des Events, eingeleitet wird dabei vom Partei-Generalsekretär Christian Hafenecker.
Und dieser gibt auch gleich die Linie vor, die man so oft im FPÖ-Wahlkampf findet: Wenn man die EU nicht reformieren könne, wolle man austreten.
„Und wenn all das nicht möglich ist, und wenn die Europäische Union zu einem Geist wird, den man nicht mehr los wird, dann muss es und darf es natürlich keine Denkverbote geben, wie man in Zukunft damit umgeht. Und dann muss man in jedem demokratischen Land natürlich einen Diskurs darüber führen können […], ob es wichtig ist, in diesem Verein noch mit dabei zu sein.“
Christian Hafenecker, FPÖ-Generalsekretär
Wirkt überraschend? Nicht wirklich – immerhin hat die FPÖ eine lange Tradition, wenn es darum geht, mit dem EU-Austritt zu zündeln. Seit mittlerweile mehr als 15 Jahren drohen die Blauen mit diesem Szenario, und auch die wirtschaftliche Katastrophe durch den Brexit kann sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Eine Spurensuche über die vielen Ankündigungen und Halbwahrheiten der Partei, die droht, bei den EU-Wahlen stärkste Partei zu werden.
Der Wenn-dann-Austritt
„Diese zentralistische Europäische Union […] ist gescheitert, und ich sage daher ganz bewusst: Raus aus dieser zentralistischen und bevormundenden EU, hinein in ein föderales Europa.“
Heinz-Christian Strache, ehemaliger FPÖ-Chef
Schon am 16. Mai 2009 etwa wird der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache damit zitiert, dass man als „Ultima Ratio“ auch über einen Öxit nachdenken müsse. Fünf Jahre später, im Jahr 2014, zitiert der Kurier Strache mit folgender Aussage: „Ja, selbstverständlich, bin ich dafür, die Österreicher über einen EU-Austritt zu befragen.“ Was beide Aussagen gemeinsam haben? Sie entstanden in EU-Wahlkämpfen – die FPÖ baut also eine Drohkulisse auf.
Schon 2014 war Harald Vilimsky EU-Spitzenkandidat der FPÖ. Die geplante Doppelspitze mit Andreas Mölzer scheiterte, da dieser die EU als „Negerkonglomerat“ bezeichnet hatte. In der ZIB2 kündigte er schon damals an: Wenn der Frust der Bevölkerung mit der Europäischen Union immer größer werde, müsse man auch die Frage nach dem Austritt stellen. Die gleiche Union, die uns von Zöllen und Handelshemmnissen befreit, Kosten spart, Arbeitsplätze und Wohlstand schafft, bezeichnete Vilimsky als „Fehler“:
„Es war ein fataler Fehler, Teil dieser EU zu werden. Es wurde versprochen, dass der harte Schilling bleibt, heute haben wir den krisengebeutelten Euro. […] Wir kommen nur dann einen Schritt nach vorne, wenn wir wieder einen zurückgehen.“
Harald Vilimsky im Interview mit der VN, 2014
Was alle Aussagen der FPÖ zum EU-Austritt gemeinsam haben: Sie sind immer an eine Bedingung geknüpft. Wenn sich die EU nicht reformiert, wenn sich die EU nicht weiterentwickelt, wenn die EU nicht spart, wenn die EU Österreich keine Sonderkonditionen anbietet … wenn, wenn, wenn, dann würden die Blauen das Volk befragen. Oder auch wenn die Bevölkerung unzufriedener wird: ein Trend, den die FPÖ mit ihrer mittlerweile jahrzehntelangen Propaganda gegen die EU heftig anfeuert.
Auch 2019 wurde die Forderung wieder laut, als Vilimsky – erneut im ZIB2-Studio – darauf angesprochen wurde. Die Ausrede damals: Das habe der FPÖ-Pressedienst so formuliert, aber es sei keine echte Aussage von ihm gewesen. Dass dieser Pressedienst Aussagen der eigenen Parteileute von 2009 bis 2018 verwendet, ist nur verständlich. Genau wie die Tatsache, dass die FPÖ regelmäßig zurückrudert, wenn sie auf berechtigte Kritikpunkte angesprochen wird. Das ist die Stärke des Wenn-dann-Öxits: Die Forderung zählt nur, wenn sie vom Publikum Applaus bekommt.
Brexit: Die FPÖ feiert den britischen Wohlstandsverlust
Später dann die Zerreißprobe für die EU-Position der FPÖ: der Brexit. Für Harald Vilimsky ein Grund zur Freude. Nach dem erfolgreichen Brexit-Referendum gratuliert er dem Vereinigten Königreich zur „wiedererlangten Souveränität“ und kündigt an, dass ohne „tiefgreifende Reformen“ das Ende der Europäischen Union eingeleitet sei. Die politische Debatte dazu beobachtete Vilimsky genau: nicht nur mit Tweets, in denen er sich über die EU-Skepsis der britischen Bevölkerung freute, sondern auch mit insinuierten Verschwörungstheorien. Er kritisierte etwa das Engagement von George Soros – in Verschwörungstheoretiker-Kreisen gilt Soros als eine Art Personifizierung des „jüdischen Großkapitals“. Der Austritt zog sich bis ins Jahr 2020, aber Strache kündigte 2017 an: „Die Briten werden besser dastehen wie die Schweiz heute.“
Eine Prognose, die falscher nicht sein könnte. Das zeigte sich nicht nur an leeren Regalen und hohen Lebensmittelpreisen in Großbritannien nach dem Austritt, sondern auch an der wirtschaftlichen Lage bis heute: Laut einer aktuellen Studie kosten die Folgen des Brexit das Land mehr als 162 Milliarden Euro im Jahr. Eine frühere Schätzung spricht von 470 Pfund pro Jahr, die der Brexit an Mehrbelastung pro Person bedeutet, das wären nach heutigem Wechselkurs rund 550 Euro. Aus der Ankündigung, die Gelder, die sonst in die EU fließen, für das Gesundheitssystem einzusetzen, wurde nichts, genauso wenig wie aus den neuen Handelsabkommen. Was dem früheren Empire droht, könnte Österreich mit einem Öxit doppelt und dreifach drohen – immerhin ist die heimische Wirtschaft vergleichsweise klein und exportabhängig.
„Reform“ als Deckmantel für „Raus“
Nicht nur angesichts des Brexit ist ein EU-Austritt Österreichs also eine kontroverse Forderung – von der sich die FPÖ gegenüber Wirtschaftstreibenden auch immer wieder distanzieren muss. Zumindest rhetorisch hat sich Harald Vilimsky darauf vorbereitet, genau das zu tun. Er bezieht sich auf das „Weißbuch zur Zukunft Europas“, das 2017 unter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker veröffentlicht wurde. Darin werden fünf Szenarien für die Weiterentwicklung der Europäischen Union festgehalten:
- Weiter wie bisher
- Schwerpunkt Binnenmarkt
- Wer mehr will, tut mehr
- Weniger, aber effizienter
- Viel mehr gemeinsames Handeln
Wer Vilimsky auf das Zündeln seiner Partei mit dem Öxit anspricht, landet unweigerlich bei diesem Weißbuch. Er sei lediglich für das Szenario 4, das von der Kommission formuliert wurde. Klingt nach einem, der nach europäischen Regeln spielt. Aber erstens beziehen sich diese Szenarien auf das Jahr 2025 – also ein halbes Jahr nach der EU-Wahl. Der Zug ist also abgefahren, Europa hat sich für „Weiter wie bisher“ entschieden, obwohl es in vielen Bereichen mehr Europa brauchen würde. Und zweitens passt das Szenario 4 so gar nicht zu dem, was Vilimsky auf dem Landesparteitag der FPÖ Wien im April gesagt hat:
„Man stelle sich einen roten Knopf vor, um Österreich aus dem EU-Irrsinn herauszuholen. […] Ich würde keine Millisekunde zögern, auf diesen Knopf zu drücken.“
Harald Vilimsky, FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl
Mit so einer Rhetorik zeigt Vilimsky, was auch Kickl regelmäßig in seinen Reden beweist: Die FPÖ ist eine anti-europäische Partei. Sie fordert kein sicheres Europa – etwa durch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik – sondern eine „Festung Österreich“. Und eigentlich ist Vilimsky nur konsequent, wenn er den EU-Austritt fordert: Immerhin steht im „Handbuch freiheitlicher Politik“, einer Art Grundsatzprogramm der FPÖ, unter Punkt 10.4: „Der Austritt ist kein Tabu.“ Das Großbritannien-Szenario soll sich also auch bei uns wiederholen – die FPÖ versteckt es nur clever.
Was die FPÖ mit „Reformen“ meint
Denn die FPÖ kann auch anders. Nämlich dann, wenn sie weiß, dass Medien zuhören. Gerade in Fernsehinterviews gibt sich Vilimsky beinahe moderat, verweist auf das Weißbuch der Europäischen Kommission und nennt nur das Ziel, die „internationalen Nationalen“ zu vereinen, um Reformen durchzubringen. Dabei müssten sich die vereinigten Rechtsparteien Europas nur auf ein Kernziel einigen: „Gegen die Arabisierung und Afrikanisierung Europas“.
Eine Vision, die auf absehbare Zeit eher unrealistisch ist. Denn Rechtsparteien wie die PiS in Polen und die Fratelli d’Italia wollen mit der FPÖ nichts zu tun haben: Sie sind klar pro-ukrainisch und für eine starke Partnerschaft mit den USA. Auch von EU-Austrittsfantasien halten sie nichts, weil man in beiden Ländern weiß, dass man wirtschaftlich unglaublich von der Union profitiert. Und auch sonst gibt es Beef in der europäischen Rechten: Seit die AfD das FPÖ-Wording „Remigration“ übernommen hat, herrscht Funkstelle mit Marine Le Pen, die nächste französische Präsidentin werden will. Die internationalen Nationalen sind vieles, aber nicht geeint.
Vilimskys Vision einer starken europäischen Rechtspartei, die als single issue die Frage der Einwanderung nimmt, ist also unrealistisch, und das weiß er auch. Trotzdem spricht die FPÖ immer dann, wenn es in Richtung „offiziell“ geht, vom Willen, die Europäische Union „umfassend zu reformieren“. Bis auf das Thema Migration und die Forderung, die Größe des EU-Parlaments zu reduzieren, gibt es dazu aber kein konkretes Programm. Anti-EU-Sentiment reicht – und unterfüttert das gelegentliche Zündeln mit dem Öxit, wie eben auf dem Parteitag in Wien.
Der Austritt ist kein Tabu – ganz im Gegenteil
Dass diese Strategie zumindest kommunikativ aufgeht, zeigt auch die Markt- und Meinungsforschung. Obwohl Vilimsky und Co. regelmäßig zurückrudern und sich auf ihr angebliches Reform-Narrativ berufen, gibt eine Mehrheit der Menschen an, dass die FPÖ für einen Öxit stehe. Das zeigen Daten des European Council on Foreign Relations, der in 16 Staaten untersucht hat, wie die extremsten Fraktionen der Mitgliedstaaten zum Austritt stehen. Und siehe da: Sowohl Wählerinnen und Wähler der FPÖ als auch jene anderer Parteien geben an, die Motivation für den Austritt deutlich zu sehen.
Es ist keine Überraschung, dass das so gesehen wird: Je privater der Rahmen ist, desto deutlicher zündelt die FPÖ gegen die Europäische Union. „Machen wir es wie der Orbán“, sagt Herbert Kickl, und meint den Viktor Orbán, der die Europäische Union im besten Fall lähmt und im schlimmsten Fall erpresst. „Ich würde nicht zögern, diesen Knopf zu drücken“, sagt Harald Vilimsky und meint den Knopf, der im Vereinigten Königreich noch heute für einen Arbeitskräftemangel in fast allen Bereichen sorgt. Sie wissen genau, was sie wollen – immerhin steht es auch in ihrem Grundsatzprogramm.
Im Vorfeld der EU-Wahl sollte man sich also nicht täuschen lassen, wenn die FPÖ von „Reformen“ spricht. Die einzige Reform, die sie will, ist eine schwächere Europäische Union. Ein Europa, in dem die Nationalstaaten wieder die Macht an sich reißen, in der weniger zusammengearbeitet wird. In der wir die Probleme, die wir nur gemeinsam lösen können, nicht mehr angehen können. Das rächt sich in der Wirtschaftspolitik, in der Sicherheitspolitik – und im Falle eines Öxit auch bei Grundfreiheiten, die wir längst als selbstverständlich ansehen.
Das Vereinigte Königreich hat gezeigt: Kein einziger Vorteil, der durch den EU-Austritt prophezeit wurde, ist wirklich eingetreten. Stattdessen bedeutet er einen deutlichen Verlust an Gewicht und Ansehen in der Welt, eine selbst verursachte Wirtschaftskrise und politische und soziale Probleme, die man lang für gelöst gehalten hatte. Wer das Beste für Österreich will, kann das nicht wollen – sondern echte Reformen, die Europa besser machen. Die FPÖ sagt das allerdings nur zur Show. Bis sie dann wirklich für den Öxit sorgt.