Digitalisierung: Zwischen modern und planlos
„Digitalisierung“ ist ein Trend, dem sich Politik und Gesellschaft nicht entziehen können. Der Staat beweist bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten aber nicht immer großes Geschick. Ein Überblick über konkrete und unkonkrete Maßnahmen.
„Digitalisierung“ ist ein gutes Wort für die Politik. Es klingt jung, modern, innovativ: Wer es benutzt, ist am Puls der Zeit. Den Älteren signalisiert es, im neuen Zeitalter angekommen zu sein – darum wird auch immer betont, auch analoge Wege offenzuhalten. Den Jüngeren soll es zeigen, dass man die Welt von heute verstanden hat. Aber was bedeutet Digitalisierung eigentlich konkret?
Die Antwort variiert je nachdem, wo man nachschaut. Und auf der politischen Agenda sind das viele Stellen: Das Finanzministerium hat eine Digitalisierungsstrategie, es gibt einen eigenen Staatssekretär für das Thema, und im Regierungsprogramm kommt die Digitalisierung als Schlagwort 79-mal vor. Wie ernst gemeint, wie ausdefiniert die Vorschläge in diesem Bereich sind, schwankt aber stark.
Viele der Punkte sind z.B. sehr konkret und auch wünschenswert. Unter dem „Ausbau der Digitalisierung“, der ohne Kontext noch leicht eine Phrase sein könnte, wird im Justiz-Kapitel z.B. ausformuliert, dass die Aktenführung digitalisiert werden soll – wer Akteneinsicht in ein Verfahren hat, soll sie also auch orts- und zeitunabhängig digital nutzen können. Das „verpflichtende digitale Verfahrensmanagement für die gesamte Gerichtsbarkeit“ wurde zwar bis Ende 2022 versprochen und noch nicht umgesetzt – aber man kann der Bundesregierung zumindest den Punkt geben, dass die Idee konkret und positiv war.
Digitalisierung im Bildungsbereich
Im Bildungsbereich dagegen werden unter dem Punkt „Österreichs Bildung digitalisieren“ hauptsächlich Endgeräte für alle Schüler:innen angekündigt. Dazu kommt eine „Bildungscloud“ – von der man lange nichts mehr gehört hat – und die Verankerung von „digitalen Kompetenzen“ sowohl bei Schüler:innen als auch in der Ausbildung der Lehrkräfte.
Das klingt gut, bringt aber auch einige Probleme bei der Einführung. Angenommen, man bringt den Lehrer:innen von morgen im Lehramtsstudium bei, wie man jungen Menschen digitale Kompetenzen lehrt: Was machen wir mit den älteren, die diese Ausbildung nicht mehr hatten, und mit Laptops, Tablets und Smartphones überfordert sind? Wie verändert sich das Klassenzimmer, wenn sich die Jungen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, ihre neuen Geräte von einer Lehrkraft erklären lassen, die kurz vor der Pension steht?
Eine Cloud, wie sie im Regierungsprogramm angedacht wird, wäre eine gute Lösung: Ein zentraler Anbieter, von dem sich die digital-affinen Schüler- und Lehrer:innen alle möglichen Inhalte holen können. Bislang wurde dieser Teil aber nicht umgesetzt. Und die bloße Existenz digitaler Endgeräte im Klassenzimmer alleine ist noch keine Digitalisierung.
Planlos bei digitalen Förderungen
Ein anderes Beispiel ist die „Unterstützung der kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Regionen im Wettbewerb, z.B. durch gemeinsame Projekte der Digitalisierung“. Hilfe bei der Digitalisierung klingt gut – bis man bemerkt, dass sich hinter dieser vagen Formulierung das Kaufhaus Österreich versteckt. Zur Erinnerung: Das Projekt, das als heimische Konkurrenz zu Amazon angekündigt wurde, war ein Verzeichnis heimischer Unternehmen, in dem man vieles konnte – nur nicht einkaufen. Es wurde nach einem Shitstorm abgedreht.
Auch das zeigt, wie schwierig Digitalisierung ist. Der politische Wille dazu ist offensichtlich da, aber die Problemanalyse noch nicht. Wer hat nach einer öffentlich finanzierten Website gefragt, auf der man Unternehmen suchen kann? Welches Unternehmen profitiert davon, wenn der Staat sein Online-Marketing übernimmt, das in der Regel mit geringen Startkosten für eine Internetpräsenz auch selbst übernommen werden kann?
Ein ähnliches Beispiel, das nicht ganz durchgedacht wurde, ist die angekündigte „Digitalisierungsoffensive im Medienbereich“. Auch das klingt gut, immerhin kämpfen gerade Zeitungen stark mit der Digitalisierung. Die Lösung wurde auch bereits umgesetzt: eine Digitalförderung, die reine Digitalmedien nicht als förderwillig sieht. So werden jene Medienunternehmen gefördert, die die Digitalisierung verschlafen haben – wer von Anfang an auf sie gesetzt hat, geht leer aus. Als hätte man nicht mitgedacht, was „Digitalförderung“ heißen soll.
Was steckt hinter dem Buzzword?
Und dieser Eindruck zieht sich durch viele Bereiche, in denen groß von „Digitalisierung“ gesprochen wird. Oft wirkt es, als würde der Begriff nur fallen, um zu signalisieren, dass man das Thema auf dem Schirm hat, etwa im Punkt „Digitalisierung: Vorteile nutzen, Datenschutz sicherstellen“. Was sich konkret dadurch verändert, ist unklar – aber mitten unter vielen anderen Vorhaben fällt gar nicht auf, wie vage diese Ankündigung bleibt.
Damit politische Lösungen in Zukunft klarer werden, bräuchte es ein Gesamtziel, was eine Bundesregierung unter „Digitalisierung“ zu verstehen hat. Zum Beispiel, dass alles, was mit dem Staat zu tun hat – Behördenwege, Steuerangelegenheiten und Justizverfahren – einfach und kostenlos digital zur Verfügung steht. Spart Papier, Zeit und Personalaufwand, eine absolut sinnvolle Zielsetzung, die man zwar nicht so, aber so ähnlich in der Digitalisierungsstrategie auf der Website des Finanzministeriums findet:
Um das Leben und Wirtschaften in Österreich zu entbürokratisieren, wird die öffentliche Verwaltung zügig modernisiert und digitalisiert. Im Mittelpunkt steht dabei – neben dem Ausbau der Breitband- und 5G-Versorgung – vor allem die Benutzerfreundlichkeit von digitalen Anwendungen. Die österreichische Bundesregierung forciert mit der „Digitalen Offensive“ den wettbewerbsorientierten und technologieneutralen Ausbau von flächendeckenden Breitbrand-Hochleistungsinfrastrukturen auf Basis der Zielsetzungen der „Breitbandstrategie 2030“. Bereits vorhandene Behördendaten nutzen, Prozesse straffen und Mobilität fördern sind nur einige Prinzipien, an denen sich künftiges Verwaltungshandeln orientieren wird.
Das klingt sinnvoll, aber viele der planloseren Digitalisierungsschritte gehen weit darüber hinaus. Man könnte also auch definieren, was Digitalisierung nicht sein soll: beispielsweise, Unternehmen und Institutionen den Prozess des Online-Marketings abzunehmen.
Der Staat kann vieles, aber bei der Umsetzung digitaler Projekte sind Private in der Regel besser. Wenn man der Meinung ist, dass man Unternehmen, die im analogen Zeitalter eingeschlafen sind, unbedingt die Transformation bezahlen muss, könnte man an gezielte Förderungen denken: Wer die erste eigene Website braucht, bekommt 50 Prozent der Rechnung ersetzt. Aber auch da sollte man die Grundsatzfrage stellen, ob das überhaupt eine öffentliche Aufgabe sein soll.
Die ausständige Digitalisierungsstrategie
Nicht nur das Regierungsprogramm, sondern auch konkrete politische Projekte zeigen also, dass die Digitalisierung als Thema angekommen ist, aber teilweise noch recht planlos umgesetzt wird. Mit der Vereinfachung elektronischer Amtswege und dem digitalen Führerschein werden erste richtige Schritte gesetzt, aber viele andere Punkte müssen noch mit Leben erfüllt werden. Denn Tablets in Klassenzimmern machen das Bildungssystem noch nicht „digital“. Und alle Bereiche der Gesellschaft steuerfinanziert ins Internet zu bringen, ist noch kein konkreter Plan.