Ein Resümee des europäischen Engagements in Mali
Die europäischen Staaten ziehen sich aus Mali zurück. Die Verweigerung von Überfluggenehmigungen, das Verschieben von Wahlen und die enge Zusammenarbeit der malischen Militärjunta mit russischen Söldnern der „Gruppe Wagner“ sind nur einige der Gründe für das Ende des europäischen Engagements in dem westafrikanischen Staat, in dem bis vor kurzem über 5.000 Soldatinnen und Soldaten aus über 20 europäischen Nationen stationiert waren.
Trotz der Präsenz ausländischer Truppen hat sich die Sicherheitslage kaum verbessert. Lediglich die Ballungszentren wurden von den Extremisten und Rebellen befreit. Die zogen sich aufgrund der französischen Militärintervention in den Norden bzw. über die Grenze in den Niger und nach Burkina Faso zurück. Dadurch wurden auch diese beiden Länder nachhaltig destabilisiert.
Warum Mali für Europa so wichtig ist
Das hat auch für das tausende Kilometer entfernt liegende Europa Konsequenzen. Einerseits wird dadurch die humanitäre Krise in der Sahelzone weiter verschärft. Das führt zu immer größer werdenden Fluchtbewegungen in Richtung Europa. Während derzeit viele Menschen aus dem Nahen Osten und Afghanistan nach Europa flüchten, werden es in den kommenden Jahrzehnten vor allem Flüchtlinge aus der Sahelzone sein, die aufgrund von Dürren, Hungersnöten und Konflikten nach Europa wollen.
Andererseits ist besonders Mali in den letzten Jahren zu einem immer wichtigeren Zentrum des globalen Terrorismus geworden. Vor allem der Islamische Staat und Al-Qaida in Zusammenarbeit mit der in Mali agierenden Terrorgruppe Ansar Dine haben in dem Land Fuß gefasst. Das führt dazu, dass auch Anrainerstaaten immer öfter Opfer von islamistischen Anschlägen werden und teilweise sogar ganze Regionen unter die Kontrolle der gut organisierten Extremisten fallen.
Warum sollte sich Europa also für ein nordafrikanisches Land interessieren, von dem wir sonst wenig hören? Kurz gesagt: Mali, das einst als eine Vorzeigenation für den gelungenen Wandel hin zu einem demokratischen Staat galt, versinkt mehr und mehr im Chaos. Seit das Militär im März 2012 den damaligen malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré gestürzt hat, kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. Und das sollte auch Europa beunruhigen, da das die von Krisen gebeutelte Sahelzone weiter destabilisieren wird.
Die Konsequenzen werden auch fernab des Krisenherds im Norden und Osten Malis zu spüren sein. Die Bevölkerung wird sich bis zum Jahr 2050 von 20 auf 60 Millionen verdreifachen, die des Nachbarstaats Niger sogar von 25 auf 100 Millionen vervierfachen. Dieses Bevölkerungswachstum birgt neben wirtschaftlichen Chancen auch erhebliches Konfliktpotenzial. Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen nehmen aufgrund des Klimawandels ab. Zusätzlich fällt durch diverse Dürren die Ernte in einigen Teilen des Landes komplett aus. Diese Faktoren in Kombination mit ethnischen Spannungen führen bereits jetzt zu regionalen Fluchtbewegungen.
Instabilität und Terrorismus
Als im Frühjahr 2012 das malische Militär den amtierenden Präsidenten stürzt, steht es bereits schlecht um die malische Demokratie. Die Wahlbeteiligung ist niedrig, sie liegt zwischen 20 und 40 Prozent. Vetternwirtschaft und Korruption sind nach wie vor weit verbreitet, und es gelingt der Regierung nicht, effektiv die Armut zu bekämpfen.
Nachdem Muammar al-Gaddafi in Libyen die Macht verliert, kehren viele der von ihm als Söldner engagierten Tuareg zurück in deren Heimat im Norden Malis. Diese gut ausgerüsteten und ausgebildeten Kämpfer lehnen sich gegen die Zentralregierung in Bamako auf, um im Norden Malis einen unabhängigen Staat zu gründen. Die Tuareg-Rebellen nennen sich MNLA – auf Deutsch übersetzt „Nationale Bewegung für die Befreiung Azawads“. Azawad ist der nördliche Teil des Staates Mali und umfasst die Städte Gao, Timbuktu und Kidal.
Gemeinsam mit der islamischen Terrorgruppe Ansar Dine gelingt es ihnen bis zum 6. April 2012, den gesamten Azawad zu beherrschen. Nachdem sich die MNLA jedoch weigert, auf Druck der islamistischen Gruppierungen die Scharia auszurufen, wird sie von ebenjenen Gruppierungen aus den großen Städten Gao, Kidal und Timbuktu vertrieben – den Städten im Norden des Landes, in denen über 90 Prozent der Menschen leben. Zu diesen bis heute aktiven Rebellen zählen unter anderem Al-Qaida gemeinsam mit Ansar Dine und dem IS.
Erfolglose westliche Intervention
Aus Angst, die Islamisten könnten auch die Hauptstadt Bamako angreifen und einnehmen – und da die malische Armee nicht imstande war, eine Gegenoffensive zur Rückeroberung der Städte durchzuführen – bittet Mali die ehemalige Kolonialmacht Frankreich um Hilfe. Im Dezember beschließt der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der ein Zurückdrängen und Ausschalten der islamistischen Gruppierungen gefordert wird. Am 11. Jänner 2013 beginnen die französischen Streitkräfte gemeinsam mit Truppen aus dem Tschad und der malischen Armee eine Gegenoffensive, „Operation Serval“. Es gelingt ihnen innerhalb kürzester Zeit, alle großen Städte zu befreien und diese wieder unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen. Einige westliche Staaten und auch Russland unterstützen die Intervention logistisch.
Im Sommer 2013 startete die UN eine Mission zur nachhaltigen Stabilisierung Malis, zeitweise sind über 15.000 Soldaten dort stationiert. Über 20 europäische Staaten nehmen teil, das größte Kontingent stellt die deutsche Bundeswehr mit über 1.000 stationierten Soldat:innen. Frankreich stationiert währenddessen im Rahmen der Militärintervention über 3.500 Streitkräfte in Mali und 1.100 weitere in den Nachbarländern.
2014 wird aus der „Operation Serval“ die „Operation Barkhane“. Das Ziel: Die Terrorgruppen grenzüberschreitend in Mali und den Nachbarstaaten neutralisieren. Trotz einiger Erfolge, z.B. der Tötung eines IS-Anführers, gelingt es den Franzosen aber nicht, die Region in Zusammenarbeit mit der UNO nachhaltig zu befrieden. Es kommt weiterhin zu Selbstmordanschlägen, vor allem auf UN-Truppen. 209 Blauhelme werden ihr Leben lassen – es ist die derzeit gefährlichste UN-Mission.
Nach zwei weiteren Putschen durch das Militär – der erste im August 2020, der zweite im Mai 2021 – werden die Rufe, die einen Abzug der Truppen fordern, in Europa immer lauter. Nachdem die Militärjunta die Wahlen verschiebt und die russische Söldnertruppe „Gruppe Wagner“ ins Land holt, verschlechtern sich die Beziehungen zu den europäischen Partnern immer weiter. Das gipfelt darin, dass die malische Übergangsregierung der Bundeswehr Überflugsgenehmigungen verwehrt. Der Deutsche Bundestag stimmt mehrheitlich gegen eine Verlängerung des deutschen Engagements in Mali, auch Emmanuel Macron erklärte die französische Militäroperation für beendet. Im August 2022 beschließt Frankreich den Abzug der Truppen. Ein wesentlicher Faktor war dabei: Russland versucht durch Propaganda im gesamten westafrikanischen Raum, aktiv Stimmung gegen Frankreich und dessen Streitkräfte zu machen.
Eine schwache Bilanz
Mali ist typisch für die Entwicklungen in Westafrika. Der ursprüngliche Optimismus nach dem Erlangen der Unabhängigkeit ist der Frustration über jahrzehntelange Korruption, Vetternwirtschaft und das Ausbleiben des erhofften wirtschaftlichen Aufschwungs gewichen. Stattdessen wurde das Land zu einer Brutstätte für Extremismus – die staatlichen Institutionen funktionieren keineswegs, und auch in den Nachbarstaaten rumort es. All das führt zu weiteren Fluchtbewegungen in Richtung Europa.
Nach zehn Jahren europäischem Engagement gibt es also nur wenig vorzuweisen. Das Minimalziel – nämlich das Zurückdrängen der Dschihadisten und die Befreiung der Städte – war bereits einen Monat nach der französischen Intervention erreicht, die Islamisten profitierten jedoch von den ebenfalls schwachen Regierungen der Nachbarstaaten und konnten sich ohne große Verluste über die Grenzen nach Burkina Faso und in den Niger zurückziehen. Das Militär Malis ist außer bei zwei weiteren gelungenen Putschversuchen so gut wie nicht in Erscheinung getreten, und das Land versinkt angesichts der drei rivalisierenden Gruppen – der Zentralregierung, unterstützt durch russische Söldner, die Tuareg und den IS sowie Al-Qaida – immer mehr im Chaos.
Durch das brutale Vorgehen der „Gruppe Wagner“ erhalten die islamistischen Terrorgruppen weiteren Zulauf. Leidtragende sind vor allem die Zivilist:innen, die zusätzlich zur schlechten Versorgungslage und der steigenden Armut Angst vor Gräueltaten haben müssen. Auch angrenzende Staaten, allen voran Niger und Burkina Faso, laufen Gefahr, in diese Spirale der Gewalt hineingerissen zu werden.
Was Europa jetzt tun sollte
Um Fluchtbewegungen zu verhindern und den Zulauf der Terrorgruppen zu stoppen, müssten diese gezielt bekämpft werden. Dazu kommt aber auch die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und Sicherheitskräften, die es brauchen wird – allein durch besorgte Pressestatements wird sich in Mali wenig ändern.
Auch im Kampf gegen den Klimawandel und der damit verbundenen fortschreitenden Verwüstung ist Mali essenziell. Projekte wie das Wiederaufforsten eines Gebiets vom Senegal bis nach Eritrea, aber auch der Ausbau und die Erschließung landwirtschaftlicher Flächen könnten die Lebensgrundlage für kommende Generationen sein. Außerdem besitzt Mali bedeutende Vorkommen an Öl und Gas, die Europa bei der Reduktion der Abhängigkeit von Russland helfen und die Staatskasse des armen Landes mit dringend benötigten Devisen füllen könnten.
Es ist an der Zeit, nicht nur von der Bekämpfung der Fluchtursachen zu reden – sondern diesem Versprechen effektiv nachzukommen. Europa muss jetzt handeln und sein Engagement in der Region verstärken, statt diese zu verlassen.