Einfach alle abschieben? Ein Plädoyer für Sachlichkeit und rechtsstaatlichen Umgang mit Gewalteskalationen
In Wien kam es zuletzt zu einer Reihe von gewaltsamen Auseinandersetzungen, die für große Aufmerksamkeit sorgten. An diesen Vorfällen waren laut Polizei- und Medienberichten hauptsächlich Personen aus Syrien und Tschetschenien beteiligt. Die emotionale Reaktion ist verständlich – manche fordern als Erstes: „Wer war’s, was war? Egal: einfach alle abschieben!“, ohne beispielsweise den Aufenthaltsstatus der involvierten Personen zu kennen.
Nüchterner betrachtet braucht es zwei Dinge: systemische Verbesserungen im Sinne von Prävention – damit sich Probleme nicht wiederholen –, und eine Prüfung des Einzelfalls entsprechend dem Rahmen, den unser Rechtsstaat vorgibt. Bei Letzterer ist also in Erfahrung zu bringen, welchen Aufenthaltsstatus die involvierten Personen haben und ob sie diesen verwirkt haben.
Gelten Menschenrechte absolut?
Unser Rechtsstaat ermöglicht die Aberkennung eines Schutzstatus, aber mit einer Abwägung, die den zivilisatorischen Fortschritt unserer Gesellschaft seit dem Mittelalter widerspiegelt. Denn was war damals der Umgang mit Straftäter:innen? Man warf Menschen nach der Begehung einer Straftat in düstere Verliese, es gab Todesstrafe und Folter. Unser modernes Strafrecht verfolgt hingegen den Resozialisierungsgedanken: Die Strafe ist die Haft und nicht deren Inhumanität oder unmenschliche Behandlung. Die Haft ist zu verbüßen, aber unter der Prämisse, dass der Mensch ein Wesen ist, das sich bessern kann.
Was passiert aber nun, wenn der Schutzstatus aberkannt wird? Die Person wird in das Fluchtland zurückgeschickt – und dadurch der Gefahr von Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Zusätzlich zu der gesetzlich vorgesehenen Strafe für das begangene Delikt. Nicht jedes Delikt kann so eine Maßnahme rechtfertigen. Hier sieht unser Rechtsstaat daher eine Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen des Staats und der betroffenen Person vor. Für Letztere gilt an sich dieser Schutz, der aber bei schweren Straftaten verwirkt wird.
Auf verfassungsrechtlicher Ebene ist das Non-Refoulement-Gebot verankert. Dieser Schutz ergibt sich aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): dem Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Dieser Artikel soll den Schutz der physischen und psychischen Integrität der Menschen vor absichtlichen Misshandlungen durch staatliche Organe sicherstellen. Daraus fließen auch positive Schutzpflichten eines Staats, der jeden Mensch vor einer solchen Behandlung vonseiten eines anderen Staats oder Privatpersonen schützen muss. Es darf also auch niemand in eine Situation abgeschoben werden, in der er oder sie Gefahr läuft, schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein. Dieses Recht gilt absolut – es darf keine Ausnahmen von diesem Non-Refoulement-Gebot geben.
Ebenfalls absolut gilt Artikel 2 EMRK, das Recht auf Leben: Davon umfasst ist jedes geborene, menschliche Wesen, unabhängig von seinem sozialen oder wirtschaftlichen Wert. Auch hier sind die Mitgliedstaaten der EMRK, also auch Österreich, verpflichtet, aktiv zum Schutz des Lebens beizutragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Rechtsprechung bestätigt, dass vor einer Rückkehr vom ausweisenden Staat geprüft werden muss, ob für die betroffene Person die Gefahr besteht, dass diese bei Rückkehr der Lebensgefahr, aufgrund eines asylrelevanten Merkmals, ausgesetzt wird. Nicht verboten ist es jedoch, eine Person in ihr Heimatland rückzuführen, wenn dieser dort lediglich eine strengere Strafe als in Österreich droht.
In §§ 6 und 7 des österreichischen Asylgesetzes ist bereits verankert, dass eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens ein Asylausschlussgrund ist und der Schutzstatus in diesem Fall abzuerkennen ist. Schwere Straftaten, die den Schutz durch Artikel 2 und 3 EMRK aufheben, sind Tötungsdelikte, wie Mord oder Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, aber auch Vergewaltigung, bewaffneter Raub, Kindesmisshandlung, Brandstiftung und Drogenhandel.
Unwissenheit im Innenministerium
Jedenfalls gehören nach derartigen Verurteilungen Aberkennungen geprüft. Ob die Behörden dies effizient tun, ist nicht klar. Eine Anfragebeantwortung hat ergeben, dass das Innenministerium nicht sagen kann, wie viele der Personen, deren Schutzstatus aberkannt wurde und deren Abschiebung rechtlich möglich ist, auch tatsächlich außer Land gebracht wurden.
Abgesehen davon, dass die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, hat die Politik endlich systemisch zu handeln und muss an den großen Hebeln ziehen: Gewalt von Jugendlichen ist einerseits ein Integrationsthema. Es ist wichtig, die Prinzipien unserer Gesellschaft zu stärken und Menschen, die sich nicht integrieren oder unsere Werte nicht respektieren, klare Grenzen aufzuzeigen. Wer Integrationsangebote ausschlägt oder unsere Werte verschmäht, muss mit Konsequenzen rechnen.
Es besteht aber auch sicherheitspolitischer Handlungsbedarf: mehr Polizeipräsenz, verpflichtende Neustart-Programme für straffällige Jugendliche unter 14 und die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs wären nötige Maßnahmen.
So schützen wir unsere Demokratie, unsere Freiheit und den sozialen Frieden effektiv.