Energiepolitik in Deutschland: Ein Nachbar auf Irrwegen
Seit dem endgültigen Atomausstieg 2023 beschreitet Deutschland energiepolitisch einen europäischen Sonderweg. Wo andere Staaten an Kernkraft festhalten oder diese sogar ausbauen, setzten sich die Grünen – mit Unterstützung der Sozialdemokraten – gegen die Liberalen durch. Eine Entscheidung, die teuer werden kann.
„Die Kernkraft ist zu Ende. Sie wird in Deutschland nicht mehr eingesetzt. […] Das Thema Kernkraft ist in Deutschland ein totes Pferd.“
Am 2. September 2023 verkündete Olaf Scholz mit diesen Worten den „Atomausstieg“ der Deutschen. Da der Bundeskanzler in Deutschland im Zweifelsfall über Richtlinienkompetenz verfügt, dürfte das Thema Atomkraft zumindest für diese Legislaturperiode endgültig vom Tisch sein.
Aber wie kam Deutschland überhaupt dazu, sich 2023 und bei einem weiterhin angespannten Energiemarkt von der Kernenergie zu verabschieden?
Als 2011 das Kernkraftwerk in Fukushima nach einem Seebeben mit darauf folgendem Tsunami zerstört wurde, beschloss das Kabinett unter Führung der damaligen Bundeskanzlerin Merkel und unter Regierungsbeteiligung der FDP (die in der nachfolgenden Bundestagswahl an der 5-Prozent-Hürde scheiterte), alle Kernkraftwerke zu überprüfen und die ältesten abzuschalten. Bis 2022 wollte man alle bestehenden Kernkraftwerke stilllegen.
Diese Entscheidung mutete damals bereits überhastet an. Besonders, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich in Fukushima nicht um einen klassischen Reaktorunfall wie 1986 in Tschernobyl handelt, der eine Kombination von technischen Mängeln und menschlichen Fehlern war. Fukushima war in erster Linie eine Naturkatastrophe: Japan hat das geografische Pech, gleich auf vier verschiedenen tektonischen Platten zu liegen, was die See- und Erdbebenwahrscheinlichkeit natürlich stark erhöht.
Nichtsdestotrotz hat die damalige Bundesregierung eine folgenschwere Entscheidung getroffen, deren Konsequenzen Deutschland ab diesem Jahr tragen muss. Ein Blick auf die Zahlen lässt die Frage zu, wie diese Entscheidung überhaupt jemals getroffen werden konnte:
Ein Überblick über die Todesfälle und CO2-Emissionen, die aus einer Terawattstunde Energieproduktion hervorgehen
Grünes Dogma versus Realpolitik
Prinzipien und Grundsätze sind zwar auch für Parteien wichtig. Dennoch sollte man von politischen Entscheidungsträgern erwarten dürfen, dass sie sich dem Zeitgeschehen und neuen Gegebenheiten anpassen und darauf entsprechend reagieren. Wie es nicht geht, hat die deutsche Ampel-Koalition – bestehend aus SPD, Grünen und FDP – mit ihrer Energiepolitik gezeigt. Energie ist seit dem Angriffskrieg Putins in der Ukraine ein teures Gut in Deutschland, hat man doch lange Zeit zu einem großen Teil auf russisches Gas gesetzt. In einer solchen Ausnahmesituation verlässlich und wetterunabhängig Strom aus heimischen Atomkraftwerken zu beziehen, wäre eine rationale Entscheidung gewesen.
Der FDP kann man hier kaum einen Vorwurf machen, hat sie sich doch mehrfach für einen Weiterbetrieb der verbliebenen drei Atommeiler ausgesprochen. Anscheinend war das aber insbesondere mit den Grünen nicht zu machen. Ideologie über Vernunft also, auch in Zeiten horrender Energiepreise. Es wäre realpolitisch wohl selbst für die Grünen ein Leichtes gewesen zu sagen, man müsse an der Atomkraft so lange festhalten, bis sich die Energiepreise wieder normalisiert haben.
Aber auch mit Blick auf die Pariser Klimaziele hat man sich keinen Gefallen getan: Mit der Entscheidung des endgültigen Atomausstiegs rückt das 2-Grad-Ziel noch weiter in die Ferne. Denn Atomkraft ist in der Erzeugung doch eine nahezu emissionsfreie Technologie und ermöglicht es, weniger auf fossile Brennstoffe zu setzen. Im World Nuclear Performance Report 2023 sprechen die Zahlen der Emissionen, die Deutschland dank Atomenergie vermieden hat, eine eindeutige Sprache.
Ein Blick über den deutschen Tellerrand
Schaut man auf andere Länder, erscheint Deutschlands Sonderweg noch bizarrer: Japan, das sowohl geografisch als auch historisch triftigere Gründe für einen Atomausstieg hätte, hat im Dezember 2022 eine Policy auf den Weg gebracht, die es erlaubt, so viele Reaktoren wie möglich wieder ans Netz zu holen, nachdem 2011 einige stillgelegt wurden. Zudem können jene, die nicht wieder in Betrieb genommen werden dürfen, durch moderne Reaktoren ersetzt werden. Derzeit befinden sich zwei davon im Bau.
Und in Europa? In Finnland, wo sogar die Grünen Atomkraft befürworten, wurde die Lebensdauer von zwei Reaktoren bis 2050 verlängert. Frankreich, derzeit im Besitz von 56 Reaktoren, hat erst im März 2023 die Konstruktion von sechs neuen Reaktoren durchs Parlament gebracht. In Belgien hat Putins Invasion in der Ukraine dazu geführt, dass man den geplanten Atomausstieg 2025 neu bewertete, mit dem Ergebnis, dass man dort mindestens bis 2035 auf Kernenergie setzen wird. Und in der Schweiz dürfen zwar keine neue Reaktoren gebaut werden, aber die bestehenden vier dürfen so lange in Betrieb bleiben, wie sie als sicher eingestuft werden.
Ein Blick ins europäische Umland zeigt also, dass Deutschland mit dem Abschalten funktionierender Reaktoren einen Sonderweg geht und mittlerweile nicht mehr Stromexporteur, sondern -importeur ist. Befürworter der Kernenergie haben aber weiterhin Grund zur Hoffnung.
Kernfusion als große Chance
Trotz der Niederlage beim Weiterbetrieb der deutschen Atommeiler erweist sich die FDP weiterhin als Partei der Wissenschaft und Technologieoffenheit. Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung stellt über die kommenden fünf Jahre über eine Milliarde Euro für Fusionsforschung bereit. Das ist begrüßenswert, schließlich könnte die Kernfusion, also der Prozess, durch den unsere Sonne ihre Energie erzeugt, die dortigen Energieprobleme langfristig und sauber lösen. Das internationale Megaprojekt ITER in Frankreich könnte hier ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein. ITER wird nach Fertigstellung der größte Fusionsreaktor der Welt sein und soll rund 20 Milliarden Euro kosten. Die ersten Tests sollen dort 2025 starten, die erste Fusion mit gesamter Energie ist für 2035 geplant.
Neben der Kernfusion tritt auch die Kernspaltung nicht auf der Stelle. Es ist heute beispielsweise möglich, wesentlich kleinere und sicherere Reaktoren zu bauen, und das Recycling von Brennstäben kann eine attraktive Methode sein, sich des Endlager-Problems anzunehmen. In der Zukunft könnte es außerdem möglich sein, die radioaktive Strahlung mittels Transmutation zu verringern. Zwar ist die Endlagerung des Spaltmaterials weiterhin ein Thema, das man sehr ernst nehmen sollte, doch auch hier hilft ein Blick auf die nüchternen Zahlen.
Im Schnitt beträgt der hochradioaktive Abfall für den Strombedarf einer Person ca. 5 Gramm – pro Jahr. Das ist um ein Vielfaches weniger, als ein Kohlekraftwerk an Asche und CO2 produziert. Dass Deutschland also die saubere Kernkraft opfert, um weiter auf Kohle und Gas zu setzen, ist verwunderlich. Daher ist es umso wichtiger, wenn sich die Liberalen dort weiterhin offen für neue Technologien zeigen und dazu beitragen, dass Kernfusion zur Realität wird.