Entbürokratisierung: Hilfe zur Selbsthilfe braucht ein wenig Druck
Bürokratie ist als politisches Feindbild sehr beliebt. Häufig als Monster oder Fessel dargestellt, wird ihr regelmäßig der Kampf angesagt. Es bleibt aber meist bei unkonkreten Ansagen. Wenn die Bürokratie so ein schlimmes Monster ist, woran liegt es, dass es letztlich immer entwischt? Die Antwort ist relativ einfach: Bürokratie hat viele Formen – von veralteten Gesetzen über kleinliche Regelungen bis zu langsamen Verfahren oder in neun verschiedenen Bauordnungen, die Unternehmen und Bürger:innen das Leben unnötig erschweren. Die schlechte Nachricht ist also, dass es nicht die eine Maßnahme gibt, die überbordende Bürokratie schlagartig komplett abschafft – also die eine magische Lösung, die eine perfekte Balance schafft, mit der alle zufrieden sind. Entbürokratisierung ist keine einzelne Maßnahme, sondern auch eine Grundeinstellung: ein Bekenntnis zu einem Staat, der sich stets modernisiert und laufend auf den Prüfstand stellt.
Andere Länder zeigen, wie es geht
Die gute Nachricht ist, dass es internationale Vorbilder gibt, an denen man sich orientieren kann. Länder wie Deutschland haben gezeigt, dass gesetzlich festgeschriebene Bürokratiebremsen zu einer deutlichen Vereinfachung von Gesetzestexten und damit zu einer Entlastung führen können. Seit dem 1. Jänner 2015 begrenzt die Bürokratiebremse dauerhaft die Belastungen für die Wirtschaft. Die „One in, one out“-Regel, die für alle Regelungsvorhaben der Bundesregierung gilt, verpflichtet jedes Bundesministerium, neue Belastungen durch den Abbau bestehender Bürokratiekosten auszugleichen. Jedes Gesetz wird also auf die Bürokratiekosten geprüft und nur dann angenommen, wenn zumindest eine entsprechende Entlastung damit einhergeht. Ausgenommen sind EU-Vorgaben, internationale Verträge, Rechtsprechung und zeitlich begrenzte Maßnahmen. In der Legislaturperiode von Dezember 2020 bis Dezember 2023 sank der Erfüllungsaufwand (Zeitaufwand und Kosten, welche den Bürger:innen, Unternehmen und der Verwaltung in Deutschland durch die Befolgung von Gesetzen entstehen) der Wirtschaft um 700 Millionen Euro. Die Bürokratiebremse, sie wirkt.
Von wiederholten Versprechen und totem Recht
Die Bürokratiebremse ist aber in Österreich auch nicht unbekannt. Obwohl sie in den letzten zwei Regierungsprogrammen (ÖVP/FPÖ und ÖVP/Grüne) enthalten war, wurde sie nicht umgesetzt. Und nicht nur das, Entbürokratisierung wurde sogar aktiv abgewehrt: Der damalige Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP) prahlte im Ausschuss für Forschung, Innovation und Digitalisierung im November 2023 damit, auf EU-Ebene eine Harmonisierung der neun Bauordnungen in Österreich verhindert zu haben. Es ging konkret um die Verhandlungen zur Gigabit-Infrastruktur-Verordnung. Ein Blick in Artikel 7 reicht aus: Der österreichische Staatssekretär hat sich durchgesetzt, die Mitgliedstaaten müssen sich nur mehr „nach Kräften“ um einheitliche Vorgaben bemühen – ein Armutszeugnis.
Diese Haltung blockiert nicht nur neue Reformen, sondern ignoriert auch bestehende Initiativen früherer Regierungen. Ein Beispiel ist das Standortentwicklungsgesetz, das seit dem 1. Jänner 2019 in Kraft ist. Ursprünglich von der ÖVP/FPÖ-Bundesregierung eingeführt, sollte es die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts durch Deregulierung, Entbürokratisierung und Verfahrensbeschleunigung stärken. Doch Expert:innen warnten früh, dass es sowohl gegen die Verfassung als auch gegen EU-Recht verstoßen könnte, insbesondere die darin verankerte geplante Verfahrensverkürzung. Diese Bedenken haben sich bestätigt: Das Gesetz wird nicht angewendet, da niemand das Risiko eingehen will, sich auf ein potenziell ungültiges Gesetz zu berufen. Zudem hat der gesetzlich eingerichtete Beirat, der jährlich Berichte und Empfehlungen zur Deregulierung vorlegen sollte, bislang keine nennenswerte Aktivität gezeigt – weder in der pandemiebedingten Wirtschaftskrise noch angesichts der steigenden Energiepreise. Diese Untätigkeit ist symptomatisch für den Reformstillstand in Österreich.
Beispiele für Entbürokratisierungspotenziale?
Zahlreiche Berichte von internationalen Institutionen, vom Rechnungshof sowie von Wirtschaftsinstituten zeigen immer wieder auf, wo Entbürokratisierung, also auch Modernisierungsschritte, nötig wären. Veraltete Gesetze, wie die völlig verstaubte Gewerbeordnung, gehören entrümpelt. Klassische Reisebüros müssen beispielsweise teure Kurse und Prüfungen bei der WKO absolvieren, während Online-Anbieter aus Deutschland das natürlich nicht müssen. Auch bei Taxiunternehmen ist die Situation ähnlich: Die Wirtschaftskammer sollte für mehr unternehmerische Freiheit sorgen, statt an veralteten Prüfungsanforderungen festzuhalten. In Wien muss ein Taxler die Adresse des Hotel Sacher auswendig kennen, obwohl er auch ohne Google Maps locker hinfindet.
Noch wichtiger wäre eine Reform des Steuersystems in Österreich, das im internationalen Vergleich unglaublich kompliziert ist, was insbesondere die Lohnverrechnung für Unternehmen unnötig teuer macht. Es ist aber auch alarmierend, dass Österreich 2022 laut Eurostat die zweitschlechtesten Gründungszahlen in Europa nach Griechenland aufweist. Während eine Unternehmensgründung in Neuseeland nur einen Tag und in Frankreich drei Tage dauert, müssen Gründer in Österreich etwa drei Wochen warten. Diese Verzögerungen hemmen Innovation und Unternehmertum. Es braucht daher dringend eine Reform zur Beschleunigung der Gründungsprozesse. Es geht aber auch um kleinere Schrauben: Im Wahlprogramm der ÖVP wurden beispielsweise widersprüchliche Regelungen bei hygienischen und arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen an Fleischereien angeführt. Die Liste ließe sich noch sehr lang fortsetzen.
Mut zu Reformen – Mut zur Bürokratiebremse!
Andere Staaten beweisen, dass Entbürokratisierung nicht nur ein Schlagwort sein muss. Entlastung durch moderne Gesetze und eine digitale Verwaltung ist möglich. Entbürokratisierung ist Einstellungssache, und internationale Beispiele zeigen auf, dass eine gesetzlich angeordnete Entbürokratisierungskur – in Form einer Bürokratiebremse – dabei hilft, die Regierung an dieses gemeinsame Ziel zu erinnern und Entlastung abzuliefern. Es braucht also in erster Linie natürlich Mut für Reformen. Um sicherzugehen, dass der Reformdruck aufrecht bleibt, brauchen wir auch eine Bürokratiebremse – also den Mut einzugestehen, dass wir uns gut genug kennen, um auf eine Bürokratiebremse nicht verzichten zu können.