Entstehungsmythos: Willkommen im COFAG-Wunderland!
„O weh, o weh! Ich werde zu spät kommen!“, sagt ein weißer Hase mit Taschenuhr und läuft davon. So ähnlich klingt die Nacherzählung der Bundesregierung zur Entstehung der COFAG – der COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH –, über die viele Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen ausgeschüttet wurden. Was im weltbekannten Kinderbuch „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll noch herzig klingt, war im Falle der COFAG in vielerlei Hinsicht problematisch.
Zweifellos war die beispiellose Krise, in die die COVID-Pandemie alle Regierungen weltweit gestürzt hat, keine leichte Aufgabe, und natürlich galt es auch zeitnah Lösungen zu präsentieren. Beide Elemente – eine unerwartete, schwierige Herausforderung sowie Zeitdruck – sind Kernelemente von Krisenmanagement und entbinden handelnde Personen nicht davon, sich an wesentliche Grundsätze staatlicher Verwaltung zu halten.
Stehsätze zur Rechtfertigung trotz Rechnungshofkritik
„Es musste schnell gehen“, lautet das Regierungswording, wenn es um die Gründung der COFAG geht – es kommt ganz ohne Blick auf die Taschenuhr aus. Mantraartig wurde es vor den Berichten des Rechnungshofs als Rechtfertigung vorgebracht – und trotz all der negativen Berichte zur COFAG wird diese Rechtfertigung von Vertretern der Regierungsparteien noch immer wiederholt, um alle Vorwürfe pauschal abzuschmettern. Das Argument des Zeitdrucks ist angesichts der festgehaltenen Verfehlungen nicht stichhaltig. Rascher Handlungsbedarf sollte nicht gleichbedeutend mit Narrenfreiheit sein, vor allem nicht, wenn wir uns vor Augen führen, dass hier ein Staat agierte. Geschäfte wurden lange geschlossen und sehr viel Steuergeld ausgezahlt.
Dies bringt auch der Rechnungshof zum Ausdruck, der zwar versteht, dass die Bundesregierung in Anbetracht der Notlage rasche Entscheidungen treffen musste, um die Wirtschaftsstruktur nachhaltig zu schützen. Allerdings kritisiert er, dass das Kabinett des Finanzministers die Vorbereitung und Umsetzung der COVID-19-Hilfen ohne ausreichende Einbeziehung des Fachwissens und der Erfahrung aus dem Ministerium koordinierte. Dies führte dazu, dass eine neue Förderinstitution entstand, ohne dass die Entscheidungsprozesse und Alternativen im Finanzministerium angemessen dokumentiert wurden. Der Rechnungshof betont, dass gerade in Krisenzeiten die Recht- und Ordnungsmäßigkeit transparent nachgewiesen werden muss. Die hauseigene Expertise wurde also anscheinend mitten in der Krise nicht genutzt und stattdessen über externe Berater teuer zugekauft.
Die Geschichte des rücksichtsvollen Finanzministers und der kleinen neuen Behörde für alle
Die Nicht-Einbindung der eigenen Expert:innen im BMF lässt das zweite Argument für die Gründung der COFAG unglaubwürdig erscheinen. Die Finanzverwaltung hätte laut eigener Einschätzung die Antragsflut nicht stemmen können, wird zur Verteidigung der COFAG stets behauptet. Wenn belegt ist, dass auf die eigenen Mitarbeiter:innen nicht gehört wurde, wurde die Gründung der COFAG wahrscheinlich auch nicht aus Rücksicht auf diese beschlossen. Absolut unglaubwürdig wird es dann noch, wenn man darauf schaut, wie die Arbeitsweise der COFAG tatsächlich war. Obwohl Finanzminister Blümel noch im März 2021 in einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage festhält, dass vonseiten der Finanzverwaltung keine Mitarbeiter:innen für die Abwicklung von Anträgen eingesetzt werden, wissen wir nun, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Eingelangte Anträge wurden zunächst einer automatisierten Risikoanalyse unterzogen. Wenn begründete Zweifel am Ergebnis bestanden, konnte die COFAG Ergänzungsgutachten anfordern, die dann doch durch das zuständige Finanzamt erstellt wurden. Der Bearbeitungsaufwand für die Ergänzungsgutachten wurde vom BMF allein für das Jahr 2021 auf 80.000 Prüftage geschätzt. Im ersten Halbjahr 2022 waren 320 sogenannte Vollbeschäftigtenäquivalente damit beschäftigt. Die Finanzämter waren also sehr wohl eingebunden.
Entscheiden durfte letztlich und wohl auch praktischerweise dann die COFAG – und zwar ganz frei. Ohne jegliches Problembewusstsein wird vonseiten Finanzminister Brunner zugegeben, dass die COFAG an die Gutachten der Finanzämter nicht gebunden war. Die Vermutung lag schon bei Beginn der Krise nahe, dass die Finanzämter, die über alle relevanten Steuertasten verfügen, am ehesten für die Abwicklung der Hilfen geeignet gewesen wären. Nun wissen wir, dass diese letztlich also doch einen großen Teil der Last tragen mussten.
Die COFAG hatte Ende Juni 2021 übrigens nur 16 Mitarbeiter:innen. Ganz schön wenig für die Abwicklung von Wirtschaftshilfen für einen großen Teil der österreichischen Wirtschaft. Kein Wunder, dass über Monate Schlagzeilen über Unternehmen in den Zeitungen zu finden waren, die die langsame Bearbeitung ihrer Anträge beklagten. Erst mit der Zeit wuchs die Belegschaft auf 24 Vollzeitäquivalente im Jahr 2022 an, wobei noch auf Fremdpersonal zur Antragsbearbeitung im Ausmaß von rund 56 Vollzeitäquivalenten zurückgegriffen werden musste. Es ist eben nicht besonders schlüssig, bei Zeitdruck neue Strukturen aufzusetzen, nicht zuletzt deshalb, weil man dafür mit einigem Aufwand Personal suchen muss.
COFAG yourself – kein Rechtsanspruch, keine Rechtssicherheit, keine Transparenz
Wenn die Alternativlosigkeit der COFAG nun also verneint wird, dann sollten doch wenigstens andere Vorteile dieses teure Abenteuer rechtfertigen. Leider ist dem nicht so. Geschäfte wurden mit staatlichem Zwang geschlossen gehalten, und dann mussten Unternehmer:innen in Österreich sich mit einer privaten GmbH um eine Entschädigung streiten. Ohne jeglichen Rechtsanspruch waren diese von der Gunst der COFAG abhängig. Als Zeit ein wichtiger Faktor war, konnten im undurchsichtigen COFAG-Wunderland jene schneller ihr Geld bekommen, die dort etwas galten. Viele andere mussten lange warten oder warten noch immer. Die neue – unterbesetzte – Förderabwicklungsstelle kam mit der Flut an Anträgen lange nicht klar. Zu den zeitlichen Verzögerungen kamen sich ständig ändernde Richtlinien – und damit war sie völlig verschwunden, die Rechtssicherheit. Kein Wunder, dass laut Auskunft des BMF vom November 2022 über 33.100 Beschwerden zu Auszahlungshöhe und -dauer einlangten.
Viel erfahren konnte man auch nicht. Hinter einem privatwirtschaftlichen Mantel verborgen, war das COFAG-Wunderland vor Blicken und Anliegen von Bürger:innen und Oppositionsparteien sicher. Die angebliche Transparenz des COFAG-Beirats soll hier mal außen vor bleiben – ob dort auch über den verrückten Hutmacher gesprochen wurde, wissen wir nicht, denn alles ist geheim.
Symbolbild, produziert mit Adobe Firefly
Allerlei Kuriositäten im COFAG-Wunderland
Nun sind wir dem weißen Kaninchen schon ein langes Stück gefolgt, und dennoch sind uns bisher keine Vorteile für Steuerzahler:innen oder Unternehmer:innen aufgefallen. Der Rechnungshof, der tief ins COFAG-Wunderland hineinschauen durfte, konnte in abenteuerlichen Berichten von allerlei Kuriositäten erzählen. Der Geschäftsführer der COFAG, Bernhard Perner, bekam beispielsweise im Jahr 2020 ein doppeltes Gehalt. Er bekam 175.000 Euro von der COFAG und gleichzeitig 280.000 Euro von der ABBAG, der Mutter der COFAG. Er war nämlich praktischerweise gleich bei beiden Geschäftsführer. Die Zeichnung von Auszahlungen in Höhe von rund 15 Milliarden Euro ist im diesem Wunderland nur ein Nebenjob. Im Jahr 2021 erhöhte sich sein Jahresbezug bei der COFAG sogar um 44,6 Prozent, während er für den ABBAG-Job um 65,4 Prozent weniger bekam. Ja, Wunderland Arithmetik. Perner, der ehemalige ÖBAG-Kollege von Thomas Schmid, verabschiedete sich dann im Oktober 2022 als Geschäftsführer der COFAG und zahlte – dem Anschein nach eher widerwillig – 80.000 Euro zurück.
Bekanntlich ist guter Rat teuer – im COFAG-Wunderland ist jeder Rat teuer, und beraten wurde dort viel. Allein bis Ende Juni 2021 wurden externe Leistungen in Höhe von 20,85 Millionen Euro in Anspruch genommen. Von den Rechtsberatungskosten (4,09 Millionen Euro) entfielen 63 Prozent auf Leistungen einer Anwaltskanzlei. Für rund 2,5 Millionen Euro wurde also Expertise in den Bereichen Gesellschaftsrecht und Beihilfenrecht aus einer Hand zugekauft und auch für die Vorarbeiten für Richtlinien genutzt. Angesichts der Folgen der widersprüchlichen Richtlinien und der drohenden Rückzahlungen wegen der fehlerhaften Interpretation von EU-Beihilfenrecht eigentlich ganz schön teuer. Auch bei den Protokollschreibern wurde übrigens nicht gespart. Woanders werden Sekretär:innen herangezogen. Für die Protokolle von Aufsichtsratssitzungen der COFAG wurde die Topbesetzung gewählt. Der Partner der erwähnten Rechtsanwaltskanzlei musste her, was von April 2020 bis Anfang September 2020 125.000 Euro kostete.
Schluss mit lustig: COFAG-Abwicklung ohne Aufklärung und Entschuldigung?
Bei all den aufgekommenen Geschichten rund um die COFAG erstaunt es nicht, dass der Finanzminister sich des Problems entledigen will. Ende Juni 2023 kündigte Bundesminister Brunner an, die ABBAG mit einem Konzept zur Abwicklung der COFAG beauftragt zu haben. Mit all der nachträglichen Transparenz macht das Wunderland wohl keinen Spaß mehr – und so manch einer mutmaßt, dass die drohende Aufhebung der COFAG durch den Verfassungsgerichtshof noch einen weiteren guten Grund geliefert hat. Über Fehler liest man lieber in der Vergangenheitsform.
Was fehlt, ist jede Form von Unrechtsbewusstsein. „Die COFAG hat sich bewährt, ja, aber sie hat nun ihre Aufgabe erfüllt“, sagt der Finanzminister noch immer. All die hier dargelegten Verrücktheiten verdienen mehr Aufklärung und ab irgendeinem Punkt auch eine ehrliche Entschuldigung. Schlechtes Krisenmanagement bedeutet nämlich nicht nur, dass viel mehr Steuergeld ausgegeben wurde als nötig – es wurden Existenzen vernichtet und monatelange Angstzustände geschaffen. Das COFAG-Wunderland hatte viele Opfer!
Im Disney-Klassiker aus dem Jahr 1951 klingt der Hase mit der Taschenuhr übrigens noch ein wenig gestresster als in der Buchvorlage. Es muss wohl jeder für sich entscheiden, welches Zitat besser zur Entstehungsgeschichte der COFAG passt. Es eignet sich jedenfalls auch perfekt als Schlusssatz hier: „O seht, o seht, ich komme viel zu spät! Grüß Gott, auf bald, auf Wiedersehen! Muss gehen, muss gehen, muss gehen!“