Made in Europe: Von der Abhängigkeit zur Autonomie in der Chip-Herstellung
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Chipmangels. Der EU Chips Act hält dagegen und will die Produktion nach Europa holen. Darin liegt die geopolitische Chance zur Stärkung der strategischen Autonomie.
Die globale „Chip-Krise“ während der Corona-Pandemie war das medienwirksame Potpourri einer toxischen Mischung von erhöhter Nachfrage durch Homeoffice-Equipment und massiv gestörten Lieferketten durch wochenlange Lockdowns. Sie hat die Abhängigkeit Europas von ausländischen, außereuropäischen Chipherstellern deutlich und das Thema einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. So bekannt, dass auch die Politik reagiert.
Neues Erdöl
Auch wenn die Pandemie-bedingte Knappheit nun schon lang vorüber ist, dreht sich das Thema weiter. Nicht zuletzt weil Chips das Herz unserer Konsumgesellschaft im 21. Jahrhundert sind – man findet sie nicht nur in Toastern, Fernbedienungen und Haartrocknern –, sie sind auch einer der Hauptbestandteile moderner Verteidigungs- und Waffensysteme. Ohne Chips können die vermeintlich einfachsten Dinge nicht mehr gebaut werden.
Angesichts der aktuellen Bedrohungslage, die uns noch Jahre begleiten wird, ist es zwingend notwendig, die Autonomie Europas in diesem Produktionssektor strategisch zu stärken. Das bedeutet zwangsläufig, die Produktion nach Europa zurückzuholen und im selben Schritt auch die Lieferketten resilient auszugestalten. Denn ein Konflikt um die Insel Taiwan könnte rasch wieder zu einer Knappheit von Chips und wenn auch nicht zu einem Zusammenbruch, dann zu einem heftigen Knick unserer Wirtschaft führen.
Wie abhängig sind wir wirklich?
Um die Frage der Abhängigkeit auch nur ansatzweise beantworten zu können, muss man einige wenige technische Details verstehen. Die moderne Halbleiterproduktion erfolgt hauptsächlich über das Photolithographie-Verfahren. Die Produktion erfolgt dezentralisiert vom Chip-Designer bei Lohnfertigern, den sogenannten Foundries. Das spart Kosten und erhöht die Effizienz. Foundries (z.B. TSMC in Taiwan oder GFI in den USA) kaufen Photolithographie-Systeme (z.B. von ASML) und bauen dann Chips nach Bauplänen von Auftraggebern (z.B. Apple oder Nvidia).
ASML, das derzeit wertvollste Unternehmen Europas, mit Sitz in den Niederlanden, besitzt die Technologie für den Bau der modernsten Photolithographie-Systeme und hat einen Marktanteil von 80 bis 90 Prozent. Sie sind damit Quasi-Monopolist und absoluter Technologieführer. Ohne diese europäische Technologie ist die Chip-Produktion weltweit nicht möglich – zumindest in der heutigen Form und Qualität.
TSMC in Taiwan ist derzeit mit etwa 60 Prozent Marktanteil der größte Chiphersteller der Welt und hat deshalb am meisten Erfahrung sowie bestens geschultes Personal in seinen Foundries. Aus diesen Gründen ist die Produktion dort so effizient und damit so günstig – und darum sind wir in einer Abhängigkeit.
Nächster Schritt zur „Soft Power“
Vor diesem Hintergrund investiert die EU massiv in die heimisch-europäische Chipproduktion.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit ihrem „Chips Act“ die Absicht, ein hochmodernes Chip-Ökosystem in Europa zu schaffen. Der Chips Act sieht Investitionen von 43 Milliarden Euro in die Chip-Produktion innerhalb von Europa vor. Das Ziel der EU ist, bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Chip-Produktion zu haben, das ist eine Verdoppelung zum heutigen Anteil.
Dazu muss die Produktion, die bisher vor allem außerhalb Europas, aber mit europäischer Technologie (Quasi-Monopol von Photolithographie-Systemen) stattfindet, nach Europa geholt werden. Aufgrund der Unabhängigkeit von natürlich vorkommenden Ressourcen sind Foundries standortunabhängig und so auch in ressourcenarmen und wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen Europas möglich, z.B. Bosnien, Rumänien oder Bulgarien.
Die Stärkung der Chipproduktion bietet für Europa große gesellschaftliche, wirtschaftliche und geopolitische Chancen. Es können viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden, die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz der europäischen Industrie wird gestärkt und die strategische Autonomie der EU erhöht. Europa wird sich weiter emanzipieren können und kann zu einem globalen Player werden, der nicht mit der Verfügbarkeit von Chips politisch erpressbar ist.