Exotische Regierungsformen
Die Frage, welche Parteien die kommende Regierung bilden, wird Österreich noch eine Weile beschäftigen. Der Bundespräsident hat Karl Nehammer mit dem Auftrag zur Regierungsbildung betraut – den es laut Bundesverfassung gar nicht gibt. Es gäbe abseits der bekannten – und vielleicht ausgetretenen – Pfade einer „großen“ Koalition aber auch andere Regierungskonstellationen.
Die Empirie zeigt: Österreich ist ein Land von Zweierkoalitionen. Im Bund regiert meistens die ÖVP, in Wien regiert immer die SPÖ, Überraschungen sind äußerst selten. In vielen Staaten ist das anders. Man ist dort offener für unkonventionelle Regierungsformen, die hier undenkbar erscheinen. Da die FPÖ als stimmenstärkste Partei aber nur schwer eine Mehrheit zustande bringen wird, ÖVP und SPÖ gemeinsam nur eine haarscharfe Mehrheit besitzen und sich deren beider Parteichefs zudem ideologisch einigermaßen fern sind, sollte man zumindest die weiteren Optionen durchdenken, bevor man zurück zur lähmenden „Großen Koalition“ oder Ibiza 2.0 kommt.
Konzentrationsregierung
Alle gegen die FPÖ? Man würde es als Brandmauer gegen rechts framen können, es wäre aber alles andere als eine kluge Idee, wenn sich ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne zu einer Konzentrationsregierung zusammentun würden. Das hat zweierlei Gründe. Einerseits wäre es lähmend für die Republik, wenn jedes Vorhaben zwischen vier Parteien koordiniert werden müsste, die derart verschiedene politische Ausrichtungen haben. Es wären Kompromisse von Kompromissen, die am Ende nicht viel Reform bedeuten würden. Zudem würde eine Viererkoalition wohl rasch Fliehkräfte entwickeln, die man nicht mehr einfangen könnte – Neuwahlen wären nur eine Frage der Zeit. Zweitens würde es der FPÖ bei der anschließenden Wahl nur in die Karten spielen, wenn man ihr die nicht zu unterschätzende Rolle der Opposition alleine überlassen würde. Für manche mag eine Konzentrationsregierung ein interessantes Gedankenspiel sein; es sollte jedoch dabei bleiben und nie die Welt der Realpolitik erblicken.
Minderheitsregierung
In manchen Staaten gang und gäbe, in Österreich so gut wie unmöglich – das wäre eine Minderheitsregierung ohne Mehrheit im Parlament. Für jedes Vorhaben müssten sich die Regierungsfraktionen also Mehrheiten suchen, weil sie sonst von der Opposition überstimmt werden würden. Der Vorteil einer Minderheitsregierung: lebendiger Parlamentarismus. Die Oppositionsparteien hätten die Möglichkeit, sich Veränderungen ans eigene Revers heften zu können, schließlich wurden diese erst mit ihrer Zustimmung möglich. Das bedeutet in der Regel auch, dass man frühzeitig eingebunden wird und Vorschläge einbringen kann – ein echtes Werben und Verhandeln um die Sache eben. Dinge wären somit weniger monolithisch.
Dass das geht, beweist Dänemark. Nur vier Regierungen seit 1945 hatten eine Mehrheit im Folketing, allerdings begünstigt durch die dänische Verfassung. Ob es in Österreich dazu kommt, ist mehr als fraglich – auch abseits inhaltlicher Gräben zwischen Volkspartei und Sozialdemokraten. Für eine Minderheitsregierung fehlt die politische Tradition – ob die Öffentlichkeit dies billigen würde, ist ebenfalls unklar. Der große Nachteil für die Regierungsfraktionen sind mühsame Verhandlungen um jedes noch so kleine Gesetzesvorhaben. Schließlich gibt man den Oppositionsparteien, ginge man eine Minderheitsregierung ein, den stärkstmöglichen Hebel mit: Ohne die Zustimmung der Opposition wird kein Gesetz die Schwelle des Nationalrats passieren.
Wankelmütige Mehrheitsregierung
Eine Möglichkeit, die sich durch die besonders knappe Mehrheit von Schwarz und Rot und deren Unwilligkeit, mit der FPÖ zu koalieren, ebenfalls auftun würde, wäre eine Konstellation aus ÖVP und SPÖ als Regierungsfraktionen – wie auch vom Bundespräsidenten artikuliert. Da diese „große“ Koalition lediglich 92 von 183 Sitzen im Parlament hätte, könnte sie ihre Mehrheit bei Abwesenheiten von Abgeordneten schnell verlieren. Das hätte zur Folge, dass sich ÖVP und SPÖ, wie bei einer Minderheitsregierung, Mehrheiten über die Opposition absichern müssten. Es wäre also eine Mehrheitsregierung, die realpolitisch situativ wie eine Minderheitsregierung agieren müsste, um Gesetze wirklich durch die Fachausschüsse und das Plenum bringen zu können. Diese Praktik gab es auch in der vergangenen Legislaturperiode immer dann, wenn eine Zweidrittelmehrheit benötigt wurde. Auch hier mussten Schwarz und Grün die Opposition einbeziehen, um Gesetze im Verfassungsrang zu ändern oder zu beschließen.
Geduld ist gefragt
Egal welche Mehrheiten (oder Minderheiten) am Ende zustande kommen: Es wird noch einige Zeit dauern, bis die kommende Bundesregierung ihre Geschäfte beginnt. Dass Anfang nächsten Jahres eine – für österreichische Verhältnisse – exotische Regierungsform das Licht der Welt erblickt, ist zwar nicht wahrscheinlich, aber möglich. Von den drei genannten Optionen wäre eine Konzentrationsregierung wohl der größte Bremsfallschirm für die Republik, wohingegen eine Minderheitsregierung etwas wäre, woran sich sowohl Bevölkerung als auch Regierungsparteien erst einmal gewöhnen müssten. Das gilt allerdings auch für eine Dreikoalition, die die hauchdünne Mehrheit von Schwarz und Rot stabilisieren würde.