FAQ: Was spricht gegen russisches Gas?
Die Debatte um russisches Gas in Österreich reißt nicht ab: Obwohl sich rhetorisch fast alle einig sind, dass die Abhängigkeit von der Gazprom keine gute Entwicklung ist, scheitert es an der Reduktion. Materie hat die wichtigsten Fragen und Antworten gesammelt.
Warum diskutieren wir überhaupt über russisches Gas?
Weil das Gas, das wir aus Moskau beziehen, die Haupteinnahmequelle des russischen Staats ist, um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Das heißt, dass die Entscheidung, womit wir unsere Wohnungen und Häuser heizen, direkte geopolitische Konsequenzen hat. Gleichzeitig sind wir vom Wohlwollen eines Diktators abhängig, was Österreich erpressbar macht.
Kann uns der Krieg in der Ukraine nicht egal sein?
Nein. Denn Putins Russland hat deutlich gemacht, dass es „legitime Gebietsansprüche“ jederzeit erfinden kann, um weiter Krieg zu führen. Die baltischen Staaten und Polen, die in ihrer jüngeren Geschichte bereits Erfahrung mit russischer „Befreiung“ gemacht haben, verstehen das und rüsten entsprechend auf.
Ist das Argument gegen russisches Gas also nur ein moralisches?
Nein, nicht nur. Selbst wenn man der Meinung sein sollte, dass der Krieg in der Ukraine uns nichts angeht, bleibt ein politisches Risiko: Durch seine hohe Abhängigkeit von Russland ist Österreich von Putin erpressbar. Hätte Putin ein Problem mit einer österreichischen souveränen Entscheidung, könnte er etwa sofort die Gasversorgung beenden. Diese Erpressbarkeit ist ein Sicherheitsrisiko – und eine selbstverschuldete Baustelle der heimischen Außenpolitik.
War das nicht absehbar?
Ja, war es. Und trotzdem hat eine überparteiliche Allianz aus Politikerinnen und Politikern von ÖVP, SPÖ und FPÖ weiter auf russisches Gas gesetzt. Im selben Jahr, als Wladimir Putin die Krim besetzte, wurde er in Österreich freundlich von der Wirtschaftskammer und dem damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer empfangen und witzelte über die „gute Diktatur“ des WKO-Chefs Christoph Leitl. Andere Staaten wie Polen oder Finnland haben das Risiko schon damals erkannt – Österreich wählte den anderen Weg, sich jetzt erst recht abhängig zu machen.
Wieso sind wir denn immer noch abhängig?
Die Republik Österreich hat 2018 einen langfristigen Gasliefervertrag mit dem russischen Gazprom-Konzern abgeschlossen – entgegen der Warnung von Expertinnen und Experten. Unter großem medialem Rummel rühmte sich die damalige Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ, dass diese Verlängerung bis 2040 einen Beitrag zur „Versorgungssicherheit“ leisten würde. Und das, obwohl nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 schon längst klar war, dass Putins Russland 1) kein verlässlicher Partner ist und 2) Gas oft als Waffe einsetzt, zum Beispiel in der Ukraine.
Was steht in diesen Verträgen?
Dieser Vertrag fesselt die heimische OMV gewissermaßen an die Gazprom: Selbst wenn wir Putins Gas nicht benutzen, müssen wir zahlen. Oder zumindest glaubt man, dass das daraus folgt. Genau wissen wir das aber gar nicht, denn die Dokumente sind nicht öffentlich. Die Forderung, das zu ändern, wird aber immer lauter. Der frühere Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, meint etwa, dass ein Ausstieg rechtlich möglich sei. Hier müsste die Bundesregierung alle Optionen prüfen.
Wie entwickelt sich der Gasverbrauch in Österreich?
Dazu gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass der insgesamte Gasverbrauch in Österreich sinkt – wir brauchen also weniger als früher. Zumindest zum Teil erklärt sich das auch damit, dass die Winter wärmer werden und weniger geheizt werden muss: Der Gaskonsum, der den Klimawandel anheizt, macht sich also zu einem kleinen Teil selbst obsolet. Die schlechte Nachricht ist, dass der „Putin-Anteil“ am Gasverbrauch nicht nur nicht sinkt, sondern teilweise sogar steigt: Im Dezember 2023 kam die Gasversorgung etwa zu 98 Prozent aus Russland.
Aber liefert Russland nicht verlässlich?
Die Russland-Fans in ÖVP, SPÖ und FPÖ merken gerne an, dass das russische Gas diesen Vorteil habe. Zur Verlässlichkeit muss man aber nur anmerken, dass das russische Regime die Energieversorgung schon öfter als Waffe benutzt hat. Wer die eigene Energiepolitik auf Russland auslegt, macht sich erpressbar – vor allem wenn es keine Alternativen dazu gibt. Hier wäre Diversifizierung gefragt: Energie von mehreren Anbietern sorgt dafür, dass nicht einer alleine den Ton angibt. Im Sinne der nationalen Souveränität wäre das wohl ein Mindeststandard.
Ist russisches Gas wenigstens billig?
Auch das ist ein Mythos. Wenn man die Energiekosten in Österreich mit den Daten aus anderen Ländern vergleicht, merkt man, dass wir für russisches Gas mehr Geld zahlen als andere. Dazu kommt, dass die mangelnde Planbarkeit Unternehmen und Privathaushalte vor Unsicherheit stellt: Fließt nach Jahresende nach wie vor Gas durch die Pipelines? Haben wir genug Alternativen, ist genug Energie gespeichert? Auch das wirkt sich auf die Wirtschaft aus – und sollte ein klarer Anreiz sein, die Abhängigkeit zu reduzieren.
Was spricht denn allgemein dagegen, Gas zu verwenden?
Gas ist ein fossiler Brennstoff und leistet damit einen erheblichen Beitrag zum Klimawandel. Obwohl Gas zwar für weniger Emissionen als Öl oder Kohle sorgt, ist es in Österreich der wesentlichste fossile Energieträger – und damit einer der wichtigsten Faktoren, die wir reduzieren müssen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Der Ausstoß von Gas führt zu Emissionen, die den Klimawandel weiter anheizen: Und damit zu mehr und verheerenderen Naturkatastrophen, heißeren Sommern, schmelzenden Gletschern und dem Aussterben von Ökosystemen. Ganz unabhängig von seiner Herkunft ist Gas also keine gute Idee, sondern etwas, was wir reduzieren müssen.
Wie kann sich Österreich aus der russischen Abhängigkeit befreien?
Dazu gibt es mehrere Szenarien:
- Ausstieg aus dem Gazprom-Vertrag. Diese Option würde der Republik erlauben, ihre Energiepolitik wieder selbst zu bestimmen. Dafür müsste aber geprüft werden, ob und unter welchen Bedingungen man diese rechtliche Möglichkeit nutzen kann – und das ist, mangels Transparenz, momentan noch eine Sache der Spekulation.
- Ein staatliches Verbot. Diesen Schritt hat Energieministerin Leonore Gewessler von den Grünen bereits in die öffentliche Debatte eingebracht. Der Staat könnte Energieversorgungsunternehmen vorschreiben, woher sie keine Energie zu importieren hätten – damit hätten diese Rechtssicherheit und könnten sich umstellen. Ob das beim Koalitionspartner, der die Verträge mit der Gazprom abgeschlossen hat, auf große Liebe stößt, ist fraglich.
- Diversifizierung. Unabhängig zu werden, heißt auch, Alternativen zu finden. Denn Russland ist zwar der Staat mit den größten Gasreserven, aber bei weitem nicht der einzige Anbieter. Sowohl das Liquid Natural Gas aus den USA als auch Gas aus Norwegen, nordafrikanischen Staaten oder Ländern im Mittleren Osten könnten dazu beitragen, mit der Gasversorgung zumindest keinen Krieg in Europa zu finanzieren.
- Ausbau erneuerbarer Energien. Weil Gas langfristig ohnehin nicht die Energie der Zukunft ist, sollte Österreich schleunigst die heimische Energieversorgung weiter ausbauen. Im Bereich Wasserkraft funktioniert das schon recht gut, aber in den drei westlichsten Bundesländern steht noch kein einziges Windrad. Strom aus diesen Quellen würde einen weiteren Beitrag zur energiepolitischen Souveränität leisten.
Brauchen wir überhaupt noch russisches Gas?
Wenn man bei der OMV nachfragt, lautet die Antwort: Nein. Und auch die Bundesregierung lässt stolz wissen, dass die Speicherstände nach wie vor gut gefüllt wären. Einige Staaten, zum Beispiel das kleine Estland, verzichten bereits zu 100 Prozent auf russisches Gas, andere, wie Deutschland, reduzieren und diversifizieren. Es wäre also möglich, ohne die Gazprom auszukommen. Zumindest wenn man wollte.