Für eine Weiterentwicklung der Kronzeugenregelung
Ob Sabine Beinschab oder Thomas Schmid: Die Kronzeugenregelung ist 2023 – mal wieder – ein hochdiskutiertes Thema. Denn korruptes Handeln kann kaum anders aufgeklärt werden als durch eine Person, die ihr Wissen darüber preisgibt. Und doch gibt es bloß eine Handvoll Kronzeug:innen – die dann Held:innen und Verräter:innen zugleich sind.
Grundsätzlich versteht man unter der Kronzeugenregelung, dass beschuldigte Straftäter:innen ihr Wissen über die Straftaten anderer gegenüber Behörden offenbaren, und im Gegensatz selbst straffrei werden.
Diese Regelung hat zum Ziel, Anreize zur Offenlegung von Informationen zu bieten und so die Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung zu unterstützen. Gerade weil sie in den vergangenen Monaten vermehrt mediale Präsenz genießt, werden die Probleme daran immer deutlicher. Und die Kritik immer lauter.
Wer kann überhaupt Kronzeug:in werden?
Um einen Kronzeugenstatus zu erlangen, müssen mehrere Voraussetzungen vorliegen. Man muss Wissen preisgeben, das wesentlich zur Aufklärung von Straftaten beiträgt, indem man sich freiwillig an die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei wendet und dort ein reumütiges Geständnis ablegt. Wichtig ist also, dass Informationen mitgeteilt werden, die den Behörden bisher nicht bekannt gewesen waren.
Thomas Schmid beispielsweise offenbarte Details über mehrere Themen: Verwendung von Ressourcen des Finanzministeriums zu parteipolitischen Zwecken, die Intervention von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Postenbesetzungen und vieles mehr. Je mehr Informationen, umso höher die Chance auf Kronzeugenstatus – und damit auf Straffreiheit.
Wann packt man „rechtzeitig“ aus?
Gesetzlich vorgesehen ist, dass Tatsachen offenbart werden müssen, die „noch nicht Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens sind“. Das bedeutet konkret, dass Täter:innen wegen ihrer Kenntnisse über die aufzuklärende Tat weder als Beschuldigte vernommen wurden noch Zwang gegen sie ausgeübt wurde.
Im Fall von Sabine Beinschab trifft dieses „rechtzeitig“ für diverse Jurist:innen auf ihre Grenzen. Beinschab, die sich als Meinungsforscherin selbstständig machte, wurde von der WKStA im Oktober 2021 erstmals Untreue und Bestechlichkeit als Beteiligte vorgeworfen. Sie soll auf Basis einer Vereinbarung mit Thomas Schmid und der ehemaligen Familienministerin Sophie Karmasin parteipolitische und manipulierte Meinungsumfragen durchgeführt haben und Scheinrechnungen an das Finanzministerium gelegt haben – zugunsten der ÖVP und Sebastian Kurz. Anschließend packte sie bei den Behörden aus – und wurde Kronzeugin.
Bei Beinschab gab es bereits vor ihrer Aussage bei der WKStA eine Hausdurchsuchung, die zweifelsohne eine Zwangsmaßnahme ist. Fraglich ist also, ob ihre Aussage im Sinne der Strafprozessordnung rechtzeitig erfolgte. Das kann man schon argumentieren: Der Wille des Gesetzgebers war immerhin stets, zwischen der Tat der Kronzeugin oder des Kronzeugen selbst und der aufzuklärenden Tat zu unterscheiden. Wenn Beinschabs Offenbarungen andere Taten betreffen als die Hausdurchsuchung, kann der Status als Kronzeugin bezüglich der preisgegebenen Informationen immer noch bestehen.
Bis wann sagt man „freiwillig“ aus?
Auch die Freiwilligkeit, die eine Voraussetzung ist, um den Status als Kronzeug:in zu erlangen, gestaltet sich in der Praxis komplizierter, als man denken würde. Dabei ist sie theoretisch vergleichsweise simpel: Die Beschuldigten sollen sich von sich aus dazu entschließen, an die Staatsanwaltschaft heranzutreten und ihr Wissen zu offenbaren. Dadurch soll verhindert werden, dass Personen nur aufgrund des Drängens von Strafverfolgungsbehörden dazu animiert werden, auszusagen.
Im Fall Beinschab ist auch das Argument der Freiwilligkeit nicht einfach: Denn sie war bereits aufgrund der Vorwürfe vernommen und vorläufig festgenommen worden, bevor sie dann gegenüber der WKStA aussagte. Ist das wirklich noch freiwillig? Die Staatsanwaltschaft meint: Ja. Denn eine psychologische Drucksituation schade nicht, die Freiwilligkeit beziehe sich ausschließlich auf die Aussage.
Diese – definitiv großzügige – Auslegung ist in der Geschichte der Kronzeug:innen-Fälle neu, aber durchaus vertretbar: Man könnte dadurch die künftige Anwendbarkeit der Kronzeugenregelung zweifelsohne erweitern und Verdächtige „zur Offenbarung ermutigen“.
Mangelnde Rechtssicherheit
Wer auspacken will, soll durch die Kronzeugenregelung dazu animiert werden, an Behörden heranzutreten – und mit Straffreiheit belohnt werden. Doch in der Realität ist dieser Anreiz durch die österreichische Gesetzeslage viel zu gering. Während im angloamerikanischen Raum klassische, für beide Seiten verbindliche, Deals abgeschlossen werden, gibt es in Österreich für potenzielle Kronzeug:innen keine Rechtssicherheit.
Denn diese müssen in Vorleistung gehen: Die Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung, was bedeutet, dass das Verfahren bei nicht ausreichenden oder bereits bekannten Informationen immer noch fortgesetzt werden kann. Auch wenn man also eine Tat offenbart, Mittäter:innen verrät und die Ermittlungsbehörden unterstützt, kann man nie sicher sein, ob man tatsächlich straffrei davonkommt.
Die Folge? Kritiker:innen meinen, sogar das rechtsstaatliche Prinzip der österreichischen Bundesverfassung wäre durch die fehlende Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsordnung in diesem Punkt verletzt. Ob dieser Vorwurf zutrifft oder nicht, fest steht: Rechtssicherheit gibt es für potenzielle Kronzeug:innen definitiv nicht. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, wieso die aktuelle Regelung seit ihrer Einführung vor mehr als zehn Jahren nur selten angewendet wurde. Zu viel Einsatz bei zu hohem Risiko.
Große Haie statt kleine Fische
Ein weiteres Problem der aktuellen österreichischen Kronzeugenregelung ist ein rechtspolitisches: Logisch ist, dass durch eine Strafmilderung in dieser Form eine der Schuld angemessene Bestrafung unmöglich gemacht wird. In den bisherigen Fällen wurde der Status als Kronzeug:in nur Personen zuerkannt, die zu schweren Straftaten ausgesagt haben – und die durchaus einen großen Teil der Schuld auf sich nahmen. Man muss sich also bewusst sein, dass die aktuelle Gestaltung der Kronzeugenregelung darauf ausgelegt ist, große Haie straffrei zu stellen.
Ob man die Möglichkeit, über eine Strafe zu verhandeln, grundsätzlich gutheißt, ist zumindest diskussionswürdig. Michael Enzinger, der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, meint, die gesamte Kronzeugenregelung sei nicht dem Rechtsstaatsprinzip entsprechend und habe im Strafrecht nichts zu suchen. Kritiker:innen meinen, die Kronzeugenregelung sei aktuell zu missbrauchsanfällig und schwäche strafrechtliche Prinzipien – abgesehen davon, dass es prinzipiell oft als verwerflich angesehen wird, Deals mit Verbrecher:innen einzugehen.
Reformmöglichkeiten der Kronzeugenregelung
Insbesondere im Zusammenhang mit der Korruptionsbekämpfung ist die Kronzeugenregelung ein immens nützliches Ermittlungsinstrument: Diese Verfahren dauern lange, sind oft von wenigen Erfolgen geprägt und brauchen sehr viele Ressourcen. Darum ist es umso wichtiger, die Kronzeugenregelung zu reformieren, anstatt – wie zuletzt 2021 – die bestehende Gesetzeslage unverändert weiterzuführen.
Denn die Regelungen motivieren am Ende mögliche Kronzeug:innen nicht ausreichend. Die Anreize sind zu schwach, die Risiken zu hoch. Hauptgrund dafür ist die Unsicherheit: Die aktuelle Kronzeugenregelung ist extrem unklar, auslegungsoffen und bietet aber wenig Spielraum. Hier wäre eine stärkere Formalisierung des Verfahrens durchaus hilfreich: klare Voraussetzungen, Antragsrechte und eine rechtsverbindliche Zusage des Kronzeugenstatus, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.
Was außerdem in anderen Staaten längst eingeführt wurde, in Österreich aber weiterhin ausständig ist: der Schutz von Kronzeug:innen vor zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen. Denn wenn diese endgültig den Kronzeugenstatus erhalten und straffrei gestellt werden, bedeutet das nicht, dass man nicht zivilrechtlich gegen sie vorgehen und sie so potenziell wirtschaftlich ruinieren kann.