Ganztagsschulen: Die Fehler in der Statistik
Ob Ganztagsschule oder nicht: Wenn die Eltern arbeiten, brauchen die Kinder Betreuung. Das Problem dabei ist nicht nur, dass diese nicht schnell genug ausgebaut wird – wir wissen nicht einmal, wie viele Kinder bereits in Ganztagesformen betreut werden.
Kinderbetreuung wird häufig am Beispiel von Kleinkindern diskutiert – ob Mütter in Vollzeit arbeiten oder zu Hause bei den Kindern bleiben, sehen viele nach wie vor als ideologische Frage.
Werden Kinder aber älter und kommen in die Schule, tritt die Frage nach der Betreuung in den Hintergrund. Aber für Eltern, vor allem für Mütter, verschwindet die Problematik nicht, ob man Voll- oder Teilzeit arbeitet – und welche Form der Arbeit man sich leisten kann. Die bleibt auch nach der Einschulung aktuell, weil Ganztagsschulen in Österreich immer noch umstritten sind.
Dass es aber unabhängig von der Zahl der Unterrichtsstunden die Möglichkeit von Betreuung geben sollte, ist mittlerweile fast überall anerkannt. Bis 2033 soll es für 85 Prozent der Kinder in Pflichtschulen ein Betreuungsangebot geben – so sieht es die Investitionsvereinbarung des Bildungsministeriums mit den Ländern vor.
Statistiken und statistische Fehler
Ende des Schuljahres 2022/23 lieferte das Bildungsministerium Daten dazu: Nicht einmal ein Drittel der Schüler:innen ist in Ganztagsformen, bis 2033 sollen es 40 Prozent werden. Nimmt man die Zielsetzung von 85 Prozent als Orientierung, erscheint das in zehn Jahren aber kaum erreichbar.
Spitzenreiter mit der Hälfte der Kinder in Betreuung ist Wien, Vorarlberg liegt mit 42,1 Prozent der Kinder in Ganztagsformen auf Platz zwei. Das sagte im Juni das Bildungsministerium. Der Landesrechnungshof sagte beispielsweise im Jänner 2023, dass im Schuljahr 2021/22 30 Prozent der Kinder in Ganztagsschulen waren. Der Unterschied von 12 Prozentpunkten zwischen den Angaben des Landesrechnungshofs und des Bildungsministeriums scheint nur mit dem Semesterwechsel nicht besonders gut erklärbar.
Das könnte auch an den Erhebungen in Vorarlberg liegen: Denn vor fünf Jahren konnte das Land nicht einmal eine Aussage darüber geben, wie viele Kinder in Ganztagsschulen sind und wie viele in Nachmittagsbetreuung: „Aussagefähige Daten über Betreuungssituation und finanzielle Übersicht fehlen“
Mittlerweile gibt es da Verbesserungen, doch „Wie viele Kinder eine Mittags-/Nachmittagsbetreuung in welchem Ausmaß in Anspruch nehmen – z.B. eine Stunde oder die ganze Woche, ist nicht bekannt.“ So der Landesrechnungshof im Jänner 2023. Wir wissen also, dass wir in vielen Fällen nichts wissen. Und zwar nicht nur in Vorarlberg.
Die Datenlage ist viel zu schwach
Würde man die Anfragebeantwortung des Bildungsministeriums in jedem Bundesland mit den dort vorhandenen Daten vergleichen, kämen wohl noch mehr solche Unterschiede heraus. Genau diese spielen in der politischen Ursachensuche und für die Evaluierung des Investitionsabkommens aber eine große Rolle.
Denn es gibt viele Fälle, in denen Kinder und Beruf nicht vereinbar sind, etwa bei Volksschulkindern, die kein kostenloses, warmes Mittagessen bekommen. Bei oft nur vier Unterrichtsstunden geht sich alleine aufgrund der Wegzeiten, um Kinder hinzubringen und abzuholen, nämlich nicht einmal ein 20-Stunden-Job aus. Ganz auf die Nachmittagsbetreuung zu verzichten, schränkt die Möglichkeiten am Arbeitsmarkt also massiv ein.
Genau der Arbeitsmarkt ist aber ein Problem beim Ausbau. Wie in Kindergärten und beim Lehrpersonal fehlt auch in der Nachmittagsbetreuung das Personal, von Kärnten bis Oberösterreich. Wie bei der Elementarpädagogik und Lehrer:innen stellt sich also die Frage, wie die Nachmittagsbetreuung auch als Arbeitsplatz attraktiver gemacht werden kann.
Ein Lösungsvorschlag des Bildungsministeriums war die Reform von Freizeitpädagogik zur Assistenzpädagogik. Gemessen an den Streiks im Frühjahr scheint es noch zweifelhaft, dass diese Reform helfen wird. Ob der nötige Ausbau unter diesen Umständen überhaupt gelingen kann, ist also unklar. Klar ist nur, dass evidenzbasierte Diskussionen darüber mit dieser Datenlage ohnehin nur schwer geführt werden können.