Gesetzesruine Integrationsjahr: Bis auf Weiteres geschlossen
Gebrochene Versprechen, zwei Programme, die es eigentlich beide gar nicht gibt – und eine Partei, die fast für die Abschaffung einer von ihr eingeführten Maßnahme stimmt. Die Geschichte des Integrationsjahrs hat von Drama über Mystery bis Humor wirklich alles, was das Herz begehrt.
Am Anfang war der Flüchtlingsstrom. 2015 entstand „Train of Hope“, die kleine Halle des Hauptbahnhofs wurde zum Ankunftszentrum umfunktioniert – und auch politisch musste man sich etwas überlegen. Viele der Geflüchteten stellten (aussichtsreiche) Asylanträge in Österreich. Mehr Integrationsmaßnahmen mussten her.
Ende 2015 wurde darum von der rot-schwarzen Regierung ein spezielles Programm für Geflüchtete im Freiwilligengesetz verankert: Im Rahmen des freiwilligen Integrationsjahrs sollten Personen mit Fluchthintergrund, angelehnt an das Modell des Freiwilligen Sozialen Jahres, wichtige Erfahrungen für die (Arbeitsmarkt-)Integration sammeln.
Gerade die Freiwilligkeit schien der rot-schwarzen Regierung aber kurz darauf wieder ein Dorn im Auge zu sein – 2017 wurde ein verpflichtendes Integrationsjahr im eigenen Integrationsjahrgesetz verankert und mit 50 Millionen Euro dotiert. Es sollte vom AMS ausgeführt werden und neben Deutschkursen, Kompetenzchecks und Hilfe bei der Anerkennung von Abschlüssen auch Werte- und Orientierungskurse und ehrenamtliches Engagement enthalten. Gerade die SPÖ feierte das Integrationspaket als großen Wurf.
Eintagsfliege Integrationsjahr
Die Freude war von kurzer Dauer – denn im Mai 2017 stürzte die rot-schwarze Regierung, das Budget von 50 Millionen wurde unter der neuen türkis-blauen Regierung direkt gestrichen. Das ging so weit, dass das AMS in die Bredouille kam, da es bereits Verträge mit Drittanbietern abgeschlossen hatte.
Danach passierte lange Zeit nichts. Der Budgetposten zum Integrationsjahr schien im Budget 2019 und 2020 noch mit null Euro auf, im Budget 2021 verzichtete man ganz auf den Eintrag. Kurioses Timing – denn das Integrationsjahr steht im türkis-grünen Regierungsprogramm. Konkret:
Weiterentwicklung und Flexibilisierung des Integrationsjahrs: Verstärkte modulare Qualifizierung von Asylberechtigten, um fit für den Arbeitsmarkt zu werden; Migrantinnen und Migranten entsprechend ihrer Qualifikation und Fähigkeiten beschäftigen.
Den Absatz im Regierungsprogramm schien die Regierung allerdings vergessen zu haben: Denn auch im Budget 2022 und im Budget 2023 kommt das Integrationsjahr nicht vor. Auf der AMS-Website findet man das Integrationsjahr zwar noch unter den Maßnahmen. Faktisch wird das Programm aber nicht angeboten, da das Budget nicht vorhanden ist.
Rein technisch gesehen haben die Regierungsparteien im Regierungsprogramm allerdings auch keine Wiederdotierung vereinbart, sondern eine Weiterentwicklung und Flexibilisierung. Die dafür nötigen Gesetzesanpassungen bleiben aber aus. Überhaupt ist legistisch zum Integrationsjahr in dieser Regierungsperiode nichts passiert – das heißt, bis jetzt.
Schienenersatzverkehr ins Nichts
Im Rahmen einer Novelle des Freiwilligengesetzes, die Anfang Juli im Nationalrat behandelt wurde, wurde still und heimlich auch Abschnitt 4a entfernt – die Teile des Gesetzes also, die die Bestimmungen zum freiwilligen Integrationsjahr enthalten. In den Erläuterungen steht dazu:
Durch die Einführung des Integrationsjahres (Integrationsjahrgesetz – IJG) sind die Bestimmungen des Freiwilligen Integrationsjahres faktisch nicht zur Anwendung gekommen und somit als obsolet zu qualifizieren. Aus diesem Grund wird der Abschnitt 4a gestrichen.
Die Abschaffung eines Programms mit dem Vorhandensein eines anderen nicht finanzierten und damit de facto inexistenten Programms zu begründen, dafür braucht es Chuzpe. Hier wurde eine Bahnstrecke stillgelegt, die Renovierung groß angekündigt und noch vor dem Spatenstich eine nahe gelegene Buslinie eingestellt, damit die Fahrt auf dieser Strecke jedenfalls unmöglich ist.
Ups, da war ja was
Bei der Partei, die einst die treibende Kraft hinter der Einführung des Integrationsjahrs war, blieb der Aufschrei übrigens aus. Die SPÖ erwähnte das Integrationsjahr in der Nationalratsdebatte zum Freiwilligengesetz nicht – und bei der getrennten Abstimmung zu den Passagen, die das freiwillige Integrationsjahr aus dem Gesetz streichen würden, wäre der Partei fast eine Panne passiert. Einige Abgeordnete standen auf und signalisierten so ihre Zustimmung, bevor sie von der Abstimmungsleitung gestikulierend dazu aufgefordert wurden, sich wieder hinzusetzen. Die Abschaffung wurde trotzdem abgesegnet – mit den Stimmen von ÖVP und Grünen.
Die Weiterentwicklung und Flexibilisierung des Integrationsjahrs beginnt also mit der Abschaffung von einem der zwei legistisch ausgearbeiteten Programme – und leitet damit vielleicht auch schon das Ende ein. Ob die versprochene Weiterentwicklung und Flexibilisierung auch noch in den Karten steht, wissen wir spätestens bei den Budgetverhandlungen im Herbst.