Gesundheit: Welche Reformen wohl auf der Strecke bleiben werden
Dem Gesundheitssystem geht es schlecht. Wenn man aktuelle Zeitungsartikel liest, kommt man relativ schnell zu diesem Ergebnis. Koppelt man das mit Erwartungshaltungen an eine neue Regierung, zeichnet sich auch noch ein Sparpaket ab. Eine besonders schlechte Kombination. Dabei bieten sich einige Reformen an, die mit halbwegs niedrigen Investitionen sehr schnell zu Entlastungen für den Staat und die Bürger:innen im Gesundheitssystem führen könnten. Einige davon werden aber trotz aller Einsparungspotenziale und Verbesserungen, die sie für die Gesundheit bringen würden, nicht (flächendeckend) umgesetzt werden. Überwiegend, weil der Finanzausgleich Bundesländern zu vage Vorgaben gibt, wie und wann etwas davon umgesetzt wird. Dennoch zahlt es sich aus, diese Reformen genauer anzusehen.
Der laute, schleichende Tod der Community Nurses
Community Nurses sind eine Mischung aus mobiler Pflege und Praxis ohne Arzt, die beratend bei der Gesundheitsvorsorge helfen sollen und so dafür sorgen, dass Menschen länger gesünder daheim leben können. Klingt wie eine eierlegende Wollmilchsau? Ist es wohl auch. Und weil die Community Nurses über ein Sonderprojekt aus EU-Mitteln eingeführt wurden, waren sie nicht an die Vorgaben für mobile Pflege gebunden, konnten mehr Leistungen vor Ort erbringen und haben – soweit erste Evaluierungen lauteten – einen guten Beitrag zu Prävention und niedrigerschwelliger Versorgung geleistet. Damit sie nach dem Auslaufen der EU-Finanzierung weiter arbeiten können, einigte man sich im Finanzausgleich auf eine gemeinsame Finanzierung aus dem Pflegefonds. Schwierig war die Vermittlung dieser Einigung, sodass unklar war, ob und wie die Projekte weitergeführt werden können. In vielen Bundesländern wurde eine Mischfinanzierung aus Land- und Gemeindemitteln vorgeschlagen, die Gemeinden haben allerdings kaum finanziellen Spielraum. Zu groß sind die Belastungen für Pflege, Kinderbetreuung, kommunale Versorgung, etc. und zu niedrig die Einnahmen für Gemeinden, die als kleinste Verwaltungseinheit kaum eine Möglichkeit haben, zwischen diesen (oft in der Verfassung zugeteilten) Aufgaben Prioritäten zu setzen. Also kommen aus einem Bundesland nach dem Anderen die Meldungen über ein potenzielles Ende der Community Nurses. Sollten die jeweiligen Bundesländer nicht neu überdenken, wie die vorhandenen Mittel aufgeteilt werden, wird dieses potenzielle Ende zu einem wahrscheinlichen. Denn die Mittel aus dem Pflegefonds beim Bund wurden im Finanzausgleich nicht zweckgebunden und können damit auch für die vorhandenen Budgetlücken für Pflegegeld, Pflegeheime, usw. verwendet werden und für Community Nurses bleibt nichts übrig.
Patientensteuerung zur Effizienz im System
Eine Gemeinsamkeit aus den Artikeln über den Zustand des Gesundheitssystems ist der häufige Ruf nach mehr Patientensteuerung. Zu oft gehen die Menschen zum Arzt, nicht nur zu Allgemeinmediziner:innen, sondern auch zu Fachärzt:innen und ins Krankenhaus. Dem sollte mit der Hotline 1450 abgeholfen werden. Vor über zehn Jahren startete die Telefonnummer in Wien und Vorarlberg als Pilot. Dort sollten diplomierte Pflegekräfte fachkundig Anrufer:innen beraten, wo welche Versorgung sinnvoll wäre. Im Idealfall kann so die Gesundheitskompetenz gesteigert werden und Menschen besser einschätzen, ob sie dringend die Rettung brauchen, ein Facharzt am nächsten Tag konsultiert werden sollte oder es genügt, sich ein rezeptfreies Medikament aus der Apotheke zu holen. Die ersten Datenauswertungen haben auch bestätigt, dass Patient:innen oft auf die Empfehlung hören und Krankenhausbesuche dadurch reduziert werden können. Wie so oft ist 1450 zwar ein bundesweites Projekt, das dem Gesundheitssystem helfen soll, die Durchführung obliegt aber den einzelnen Bundesländern und dementsprechend groß sind die Unterschiede im Ergebnis.
Während der Pandemie wurde die Hotline einheitlich als Anlaufstelle für COVID-Meldungen behandelt, das half immerhin bei der Bekanntheit. Die Nutzung abseits von COVID-Fragen hat trotzdem in den Bundesländern stabil zugenommen, zumindest in allen außer Kärnten, dort sind die Anrufe tatsächlich weniger geworden. Doch auch in Oberösterreich gibt es Mängel: So ist für den dortigen Rechnungshof der Durchführungsvertrag (in Oberösterreich betreibt 1450 das dortige Rote Kreuz) nicht sauber aufgesetzt, wie sich Beratungen auf das Verhalten der Patient:innen auswirkt ist nicht ideal erfasst und die Zusammenarbeit mit anderen Stellen sollte verbessert werden. Abseits von solchen Prüfungen ist 1450 aber eher eine Blackbox. Denn auch das Ministerium weiß nicht, ob wirklich überall diplomierte Pflegekräfte im Einsatz sind, oder ob 1450 nicht manchmal als einfaches Callcenter betrieben wird – was den Steuerungseffekt natürlich untergraben würde. Dass die Patientenbetreuung von Pflegekräften übernommen wird, steht jedenfalls im zugehörigen neuen Vertrag. Wie das kontrolliert werden soll, ist aber fraglich. Potenziell wird die Datenlage aber besser, immerhin gibt es im aktuellen Zielsteuerungsvertrag Informationen über die Weiterleitung in andere Versorgungswege von Selbstversorgung bis Rettungseinsatz.
Der Föderalismus als Dauerbrenner
Apropos eigene Projekte: Zur Steigerung der Gesundheitskompetenz soll unter anderem das Gesundheitsportal ausgebaut werden. Menschen können unter www.gesundheit.gv.at beispielsweise verschiedene Krankheitsbilder durchlesen und sich informieren, bei welchen Symptomen welche Anlaufstelle geeignet ist, es gibt einen Direkteinstieg zu ELGA und vieles mehr. Doch auch hier wird unterschiedlich gepackelt und Oberösterreich hat die Erstellung eines eigenen Gesundheitsportals ausgeschrieben. Wie genau die Orientierung im Gesundheitswesen dadurch vereinfacht werden soll, ist mehr als fraglich, immerhin gibt es ja bereits zwei Homepages – eine der Ärztekammer Oberösterreich und eine des Landes Oberösterreich. Ob diese Vielfalt an Seiten wirklich bei der Steigerung der Gesundheitskompetenz helfen wird, ist unklar. Zumindest bei 1450 dürfte es nicht geholfen haben, dass es zehn verschiedene Websites für eine gemeinsame Telefonnummer gibt.
Aber auch bei gemeinsamen Vorhaben funktionieren Bundesländer anders. So hätten beispielsweise schon 2009 Faxe zur Befund- und Datenübermittlung abgeschafft werden sollen. Das steht wieder im Finanzausgleich, aber wieder scheint es kein Ende der Faxgeräte zu geben. Denn nach wie vor ist der Anteil der Pflegeheime, die an ELGA angebunden sind, niedrig, dass Faxe überraschenderweise der sichere Kommunikationsweg sind, der erhalten bleiben muss.
Verzögerungen auch beim Bund
Zugegebenermaßen sind aber nicht immer die Bundesländer an Verzögerungen schuld. Denn auch die Reform des Eltern-Kind-Pass verzögert sich. Für den wurde mit einigem Hin und Her eine Gesetzesbasis zur Digitalisierung geschaffen, gleichzeitig wurde eine „Vielzahl zusätzlicher Leistungen“ angekündigt. Die Verordnung über die inkludierten Untersuchungen wurde bisher aber nicht geändert. Anstelle dessen scheint man die „Erweiterung“ über Informationsvernetzung erreichen zu wollen. Zumindest verweist die Website der neuen App für den digitalen Pass auf zusätzliche Familienberatungen, etwa wie Karenzen aufgeteilt werden können. Man könnte natürlich auch die verschiedenen Regelungen zum Bezug des Kinderbetreuungsgeldes einfacher machen, das steht aber nicht zur Debatte. Auch die Übersicht über das Kinderimpfprogramm wird inkludiert, obwohl das nicht zum Eltern-Kind-Pass gehört, sondern (natürlich) ein eigenes Projekt mit anderer Finanzierung ist. Spannend ist auch die Finanzierung des elektronischen Eltern-Kind-Pass (eEKP) selbst: Die Digitalisierung soll nämlich über EU-Mittel aus dem Wiederaufbaufonds bezahlt werden. Mit diesem Fonds sollen Länder unter anderem ihre Gesundheitssysteme nach der Pandemie nachhaltiger gestalten, für den eEKP wurden zehn Millionen Euro beantragt.
Werden Projekte aus dem Fonds allerdings nicht in der vorgesehenen Frist umgesetzt, wird das Geld nicht an die Mitgliedstaaten ausbezahlt. Theoretisch wäre deshalb eine schnelle und effiziente Abwicklung wichtig. Soweit man hört, hat es aber länger gedauert, bis man wusste, wie genau das gehen soll. Denn im Gegensatz zur restlichen digitalen Gesundheitsinfrastruktur ist der eEKP beim Ministerium selbst angesiedelt. Wenn es Überschneidungen mit dem eImpfpass geben soll, braucht es aber Schnittstellen zu ELGA. Damit die Abrechnung funktioniert, sollte es auch eine zu den Versicherungsträgern geben. Außerdem sind einige Untersuchungen Voraussetzung für den vollen Bezug des Kinderbetreuungsgeldes, also braucht es eine Verbindung zum Familienministerium und weil man den Pass mit den Frühen Hilfen verknüpfen wollte, müssen diese auch irgendwie angebunden sein. Nachdem aber die Frühen Hilfen auch eine Ansammlung von Netzwerken und durchführenden Vereinen sind, ist ebenso unklar, wie diese verbunden werden sollen.
Aktuell ist der technische Umsetzungsstand in Vorarbeiten, richtige Einblicke sind aber schwierig zu bekommen. Auch, weil eben die angekündigten Zusatzuntersuchungen schon vereinbart sein sollten, wenn die App in Verwendung kommt. Dazu braucht es aber eine Vereinbarung mit Ärzt:innen oder anderem involvierten Gesundheitspersonal (Hebammen, soweit ersichtlich wohl Diätologen, etc.), damit auch sicher gestellt ist, dass diese Untersuchungen wirklich durchgeführt werden. Genau da spießt es sich aber wieder einmal. Zwar wohl nicht so, dass die Ärztekammer wieder mit Vertragskündigungen droht, aber bis zu einer Einigung könnte es wohl dauern. Zu lange dauern sollte es aber nicht, immerhin müssen ja Fristen eingehalten werden, damit die EU-Gelder zur Finanzierung wirklich genutzt werden können. Als Zwischenstand kann man aber jedenfalls sagen: Auch diese Reform wartet noch.