Joe Bidens Präsidentschaft: Ein Rückblick
Das Superwahljahr ist schon fast geschlagen. Aber die Mutter aller Wahlkämpfe steht noch an: Die US-Präsidentschaftswahl. In wohl keinem Wahlkampf sind mehr Geld, mehr Ressourcen und mehr Aufmerksamkeit gebunden als in dem, der entscheidet, wer die nach wie vor wichtigste Demokratie der Welt führen soll – inklusive Zugang zu den Nuclear Codes.
Trotzdem waren die Optionen für diese Wahl bis vor kurzem … nicht unbedingt berauschend. Der 81-jährige Joe Biden, von dem es zahlreiche Videos gibt, in denen er eher an einen dementen Opa erinnert als an einen US-Politiker, hätte gegen den 78-jährigen Donald Trump antreten sollen – zumindest, bis er dem Druck der eigenen Partei nachgab und seine Kandidatur zurückzog. Aber das Narrativ war klar: Joe Biden mag alt sein und keinen Enthusiasmus hervorrufen – aber er ist immer noch besser als Trump.
Nach seiner katastrophalen Performance bei der ersten Präsidentschaftsdebatte ist es das Beste für die Democrats, dass Biden sich zurückzieht. Trotzdem lohnt sich der Vergleich der beiden Parteien, wenn es um Policy geht. Es bietet sich also an, im Vorfeld der US-Wahl einen Blick darauf zu werfen, was Sleepy Joe, wie ihn Trump gerne nennt, wirklich getan hat. Und wie gut – oder schlecht – der aktuelle US-Präsident wirklich ist.
It’s the Economy, stupid!
Fangen wir mit dem Kernpunkt der Amtszeit Biden I an: der Wirtschaftspolitik. Oder genauer gesagt, der Industriepolitik – denn darauf lag das Hauptaugenmerk der Administration. Herzstück der Biden-Politik ist der Inflation Reduction Act, der viel tut, außer die Inflation zu drücken. Der Grund für den Namen: Neben Steuergutschriften für Elektrofahrzeuge, Finanzierung von Forschung im Bereich des Klimaschutzes und die Schaffung von Green Jobs stecken in dem Paket auch Preissenkungen für verschreibungspflichtige Medikamente.
Kritische Stimmen in der eigenen Partei hat Biden damit besänftigt – so werden großzügige Förderungen für klimaschonende Maßnahmen kombiniert mit einem Boom im Bereich Infrastruktur. Weitere wichtige Policys findet man dafür woanders: Mit dem CHIPS & Science Act will Biden etwa sicherstellen, dass auch Schlüsselindustrien wie Halbleiter wieder „made in America“ sind – also das, was man normalerweise „Chips“ nennt und alle wesentlichen Technologieprodukte unseres täglichen Lebens betreibt. Um die eigenen Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, werden auch Startups und KMUs gefördert, um in wichtigen Zukunftsbereichen Fuß zu fassen.
Dabei hat Biden immer auch den Wettbewerb mit China am Schirm. Der systemische Rivale – China ist nicht nur eine Diktatur, sondern auch der wesentliche Antagonist der freien, demokratischen Marktwirtschaften des Westens – gewinnt durch seine Wirtschaftsmacht an Einfluss, was längst nicht nur noch in Außenhandelsstatistiken feststeht. In asiatischen Gewässern beansprucht die „Volksrepublik“ fremde Gebiete, die Insel Taiwan will man schon bald ins Mutterland einfügen. Was das bedeutet, kann man an den Beispielen Tibet und Hongkong sehen: eine Abschaffung demokratischer Selbstbestimmung.
Genau aus diesem Grund ist es auch so wichtig, dass die USA ihre eigene Produktion hochfahren. Nicht nur, um sich von China unabhängiger zu machen – sondern auch, um schlagkräftiger zu werden, sollte die Situation in Südostasien eskalieren – wer Taiwan verteidigen will, sollte nicht zu abhängig von Mainland China sein, sondern in der Lage, eigene Rüstungsgüter und kritische Infrastruktur selbst zu betreiben. Auch weil man den wirtschaftlichen Wettbewerb mit China nicht überleben wird, wenn man sich nur auf Landwirtschaft, Tech-Unternehmen und den Finanzsektor verlässt. Biden hat das verstanden und setzt auf Subventionen, die für US-amerikanische Standards eine selten dagewesene linke Wirtschaftspolitik bedeuten.
Wie liberal ist Joe Biden?
Und ja, „links“, das ist in den USA ein schwieriges Wort, genau wie „liberal“. Letzteres bedeutet dort de facto Ersteres, der Diskurs über „Liberalismus“ beschränkt sich zu oft auf Debatten über Pronomen und Pro-Hamas-Demos an Universitäten. Was man Biden übrigens auch anrechnen muss, ist, dass er sich auf diesen Diskurs selten einlässt: Von Defund The Police hört man von der demokratischen Partei nur noch am Rande. Aber in den USA, die traditionell eher auf Laissez-faire-Kapitalismus setzen und staatlicher Regulierung skeptisch gegenüberstehen, ist die Subventionspolitik von Biden ein deutlicher staatlicher Eingriff. Das mag absurd wirken, da in Österreich der Ruf nach dem Staat nicht die letzte, sondern die erste Option ist – aber für die USA bedeutet das eine deutliche Abkehr vom Status quo.
Was Österreich und die USA wiederum gemeinsam haben, ist die Schuldenpolitik: In beiden Staaten werden sie kaum diskutiert, aber gerne aufgenommen. Und auch Biden hat zwar oft sinnvolle, aber selten günstige Vorschläge im Gepäck – das Vorhaben, Student Loan Debt abzuschaffen, verschuldeten Studierenden also ihre Kreditschulden zu erlassen, dürfte genauso teuer werden wie der Bau neuer Fabriken.
Aber genau das ist das Spannungsfeld, in dem sich seine Wirtschaftspolitik bewegt: Gerade im Bereich grüne Transformation, wo die USA als einer der größten Emittenten der Welt großen Aufholbedarf haben, muss investiert werden, bevor es noch teurer wird. Eine nostalgische Verliebtheit in den Verbrenner gibt es in den USA auch – aber unter Biden wird sie nicht zum politischen Programm. Da sind wir wieder beim Unterschied: Die wesentlichsten Positivbeispiele der Biden-Zeit sind Investitionen in Bereiche, in denen die Vereinigten Staaten ihre Zukunft sehen.
Wertebasierte Außenpolitik mit Stolpersteinen
Heißt das, dass unter Biden alles rosig ist? Sicher nicht. Gerade in der Außenpolitik gibt es Baustellen, in denen man legitime Kritik üben kann. Der Abzug aus Afghanistan etwa dürfte aus der Motivation gekommen sein, keinen Forever War zu führen, den man nicht gewinnen kann. Was man immer von diesem Argument halten mag: Überstürzt war er allemal. Mit der Folge, dass nicht nur die Taliban heute das Land regieren, sondern dass auch langjährige Unterstützerinnen und Unterstützer der USA, etwa Übersetzer:innen, mit Verfolgung oder Ermordung rechnen mussten. Hier hätte Biden deutlich besser vorbereitet sein müssen.
Noch ausständig ist wiederum die Beurteilung, wie man Bidens Israel-Politik sehen mag. Hier wahrt er das Spannungsfeld, einerseits zur Partnerschaft mit Israel zu stehen und andererseits die Kriegsverbrechen Israels deutlich zu kritisieren. Dabei bemüht er sich nicht nur um den Ausblick auf eine Zweistaatenlösung, sondern auch um eine Normalisierung zwischen Israel und den arabischen Staaten – übrigens eines der wenigen Anliegen, in denen sein Vorgänger Trump außenpolitische Erfolge verzeichnen konnte. Rhetorisch verurteilt er sowohl Antiislamismus als auch Antisemitismus, toleriert friedliche Proteste, ist aber gleichzeitig erstaunlich ruhig, wenn es um echte antisemitische Demonstrationen im eigenen Land geht. Es ist eine Situation, in der wohl niemand alle zufriedenstellen könnte – aber man kann zumindest sehen, dass Biden nicht alles falsch macht, um sie zu navigieren.
Das Beispiel Israel zeigt aber gut, worum es in der Debatte um Joe Biden nur allzu oft geht: Um scheinbar unmögliche außenpolitische Gemengelagen, die er unaufregend, aber meist einigermaßen gut regelt. Ohne seine schnelle Unterstützung für die Ukraine wären die Schäden durch Russland ins Unermessliche gestiegen, ohne den starken Fokus auf die AUKUS-Allianz mit Australien und dem Vereinigten Königreich wäre das Vertrauen in die US-Außenpolitik in Mitleidenschaft geraten.
Die Democrats könnten nicht trotz, sondern wegen Biden gewinnen
All diese Punkte wären tendenziell positiv, aber konnten das Gesamtbild nicht ändern: Biden ist alt. Und man möchte hinzufügen: Wahrscheinlich zu alt. Dass er erneut antreten wollte, ist wohl auch dem zu lange anhaltenden Glauben der Democrats geschuldet, dass kein anderer im komplizierten Wahlsystem der USA eine Chance gegen Trump hätte. Immerhin hat Biden schon einmal bewiesen, dass er nicht nur als „alter weißer Mann“, sondern auch als Moderater wichtige Swing Voter überzeugen kann, die sich nicht loyal einer Partei zugehörig fühlen.
In allen anderen Wahlzyklen wäre das auch ein Argument. Aber auf der anderen Seite steht ein nicht weniger erratischer, ebenfalls alter Politiker, dessen Reden sich zwar weniger durch apathisches Starren, aber dafür durch unzusammenhängendes Gebrabbel auszeichnen. Donald Trump hat angekündigt, Putin könne in Europa „machen, was er wolle“ und will „am ersten Tag“ ein Diktator sein. Seine Anhängerschaft arbeitet längst daran, das Vertrauen in den Wahlprozess zu untergraben. Sogar europäische Rechte haben also ein Interesse daran, dass sich Trump nicht durchsetzt: Denn dass Europa einem Autokraten ausgesetzt ist, der an keiner Zusammenarbeit zwischen Demokratien interessiert ist, bedeutet ein Sicherheitsrisiko für uns alle. Gut, dass man ihm nun einen attraktiveren Gegner gegenüberstellt. Oder eine Gegnerin.
Trotzdem hat Biden eine überraschend gute Performance hingelegt. Der wesentliche Diskussionsbedarf seiner Policys ergibt sich aus dem Umstand, dass sie schuldenfinanziert sind. Aber wenn man der Meinung ist, dass man Schulden aufnehmen kann, um wichtige Kernbereiche zu finanzieren, dominieren wohl die Vorteile der ökologischen Wende, des Infrastruktur-Ausbaus und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Und genau das könnte am Ende den Unterschied ausmachen: Noch kein US-Präsident wurde in einer Rezession wiedergewählt, aber für einen Boom wurde schon mancher belohnt. Die wirtschaftlichen Zahlen aus den USA geben also gute Hoffnung, dass das Momentum für einen erneuten Wahlsieg der Democrats reichen könnte – und dass Trump nicht nur den USA, sondern auch Europa erspart bleibt.