Klimaschutz: Verzögern ist das neue Leugnen
Wer die Klimakrise leugnet, hatte schon mal bessere Zeiten.
Gerade im Sommer dominieren Berichte über Hitzewellen, Katastrophen und den Zusammenhang mit dem Klimawandel unsere Nachrichten. Der wissenschaftliche Konsens dazu, dass dieser von Menschen verursacht wird, hat sich mittlerweile herumgesprochen – und es scheint, als wäre es immer schwieriger, als Klimawandel-Leugner:in in der öffentlichen Meinung durchzukommen. Das heißt aber nicht, dass der Kampf gegen den Klimaschutz aufgehört hat. Er hat lediglich seine Methoden geändert.
Eine Studie des MCC Research Instituts, erschienen in Global Sustainability, gibt einen Überblick darüber, wie man heutzutage den Klimaschutz torpediert. Die Autor:innen analysieren die Discourses of Climate Delay – jene Diskurse also, mit denen der menschengemachte Klimawandel zwar nicht mehr geleugnet, aber seine Bekämpfung immerhin verzögert werden soll. In ihrer Studie schreiben sie von zwölf Strategien, mit denen Klimawandel-Leugner:innen und die fossile Wirtschaft daran arbeiten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und ambitionierte Maßnahmen zum Klimaschutz zu untergraben und zu verhindern.
Eingeteilt werden diese Strategien in vier größere Punkte. Um Klimaschutz-Maßnahmen zu verzögern, sollen z.B. nichttransformative Lösungen – z.B. fossile Brennstoffe als „Brückentechnologie“ zu verwenden – gepusht werden, während die Nachteile eines ambitionierten Umbaus unserer Energie- und Verkehrssysteme betont werden. Dazu wird viel über Verantwortung gestritten, sie wird entweder bestritten oder abgeschoben. Und vor allem wird daran gearbeitet, den Glauben an eine grüne Zukunft zu untergraben. Das geht so weit, dass sogar das Kapitulieren vor der Klimakrise zur Strategie erklärt wird. Ein Überblick darüber, wie heute gegen den Klimaschutz argumentiert wird.
Strategie #1: Individualismus
Hinter dem schönen Wort „Individualismus“ steckt ein Wort, das wir alle kennen: Der CO2-Fußabdruck. Heutzutage wissen wir alle, dass wir unseren eigenen Verbrauch senken können, um das Klima zu schützen. Unternehmen, Medien und NGOs bieten einen „CO2-Rechner“ an, der uns Auskunft über unseren eigenen Verbrauch gibt, inklusive konkreter Handlungsanweisungen, wie auch wir die Welt retten können.
Was wir weniger oft wissen: Diese Idee gibt es seit dem Jahr 2004, und erfunden wurde sie vom Ölkonzern British Petroleum. Besser bekannt als BP, Verursacher der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im Jahr 2010.
Eines ist natürlich vollkommen richtig: Da jeder von uns CO2 verbraucht, kann auch jeder seinen Teil beitragen. Was diese Idee allerdings ignoriert, ist, dass die großen energiepolitischen Entscheidungen nicht von uns, sondern von der Politik getroffen werden. Unser persönlicher Bedarf an Energie muss keinen negativen Einfluss auf das Weltklima haben, wenn die Politik die Rahmenbedingungen setzt, um sie aus Wind- und Solarkraft zu gewinnen. Diese Strategie zielt also darauf ab, dass die Bürger:innen übersehen, wer die echten Klimasünder sind: die fossile Brennstoffindustrie.
Strategie #2: Whataboutism
Was wir auf individueller Ebene kennen, können wir praktischerweise auch auf den Staat umrechnen: Denn Österreichs Anteil am weltweiten CO2-Fußabdruck beträgt 0,22 Prozent. Das ist eine niedrige Zahl, die darauf hindeuten könnte, dass wir weltweit Vorreiter sind. Oder dass wir uns nicht einschränken sollten, weil andere sich keine Mühe geben. In diesem Sinne ist eines der beliebtesten Mottos, wenn man von der eigenen unambitionierten Politik ablenken will: „Schaut nach China!“
Man nennt den Klimaschutz auch ein Collective Action Problem. Und zwar, weil alle Menschen die Konsequenzen spüren, wenn wir die Klimakrise nicht bekämpfen – uns aber gleichzeitig darum streiten können, wer denn jetzt wirklich Maßnahmen zu setzen habe. Wenn China 22 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ausstößt, wirkt es für Österreicher:innen schwer verständlich, warum sie sich selbst einschränken sollen. Sollen die doch anfangen, denkt man sich. Und das soll man sich auch denken.
Fakt ist: Um einen Kollaps der meisten Ökosysteme zu vermeiden, müssen unsere Emissionen runter. Weltweit, sehr schnell. Ob diese 0,22 Prozent von Österreich oder China eingespart werden, ist der Natur herzlich egal – die Atmosphäre hat keine Lieblingskinder.
Strategie #3: Free-Riding
Ein weiteres Problem von Collective Action Problems sind Free-Rider. Darunter versteht man Akteure, die innerhalb eines Regelsystems nicht kooperieren, um einen persönlichen Vorteil herauszuschlagen. In der Politik kommt das vor allem vor, wenn auf die (kurzfristigen) Nachteile von Klimaschutzmaßnahmen verwiesen wird. „Wenn wir eine CO2-Steuer einführen, wandert die Industrie ab“, lautet ein beliebtes Bedrohungsszenario. Der Gedanke: Wenn wir uns in die richtige Richtung bewegen, werden sich alle anderen in die falsche bewegen – und davon haben wir auch nichts gewonnen.
Diese Strategie blendet zwei Fakten aus: Zum einen übersteigen die Kosten der Klimakrise jeden potenziellen Schaden, der kurzfristig durch eine Umstellung der Verkehrs- und Energiesysteme schlagend wird. Und zum Zweiten ist Klimaschutz langfristig ein Wettbewerbsvorteil. Die einzige Alternative dazu, von fossilen Brennstoffen wegzukommen, ist langfristig das Aussterben – es ist also davon auszugehen, dass sich die Industrien eher früher als später verändern werden. Nicht umsonst sind die großen Fahrzeughersteller in ihren Klimazielen ambitionierter als die politischen Vorgaben: Sie haben erkannt, dass sie sich schnell und radikal verändern müssen. Man könnte also davon profitieren, früher als später ambitionierte Klimaschutz-Maßnahmen einzuführen. Aber diese Dringlichkeit wird wohl nicht von allen geteilt.
Strategie #4: Techno-Optimismus
Einige, die es nicht eilig haben, gehören der Gruppe der Optimist:innen an, die glauben, dass uns Technologie aus der Klimakrise retten wird. Es ist zweifellos richtig, dass die Menschheit historisch sehr gut darin war, Probleme mit Technologie zu lösen. Als Beweise dafür werden gerne das Ozonloch herangezogen, das sich nach entschlossenen politischen Handlungen über nationale Grenzen hinweg wieder schließt, oder das beeindruckende Tempo, in dem in der Corona-Krise wirksame Impfstoffe erforscht wurden.
Jetzt kann man an den menschlichen Erfindergeist glauben – aber solange es keine neue Wundermaschine gibt, während die Menschheit nur noch wenige Jahre hat, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern, darf man trotzdem auch auf die Dringlichkeit verweisen. Zumal es ja technologische Lösungen gibt, mit denen wir das bewerkstelligen können: zum Beispiel Windräder oder Photovoltaik-Anlagen. Ein blinder Glaube an eine zukünftige Erfindung ist zwar emotional verständlich, dient aber de facto oft dazu, ambitionierte Klimapolitik zu verschieben oder abzusagen.
Strategie #5: Reden statt Handeln
Man muss Klimaschutz aber gar nicht absagen – man kann ihn auch einfach ankündigen, ohne ihn durchzuziehen. Das klassische Politik-Klischee All Talk, Little Action bezieht sich auf die Praxis, in Reden von der Notwendigkeit zu sprechen, „man müsse etwas tun“, nur um jetzt im Moment nichts zu tun. Oft wird Klimaschutz-Politik mit ambitionierten Zielen für weit entfernte Zeiten betrieben. Zeiten, in denen jene, die sie versprechen, oft nicht mehr im Amt sind.
Als Beispiel führen die Studienautor:innen das Versprechen der deutschen Bundesregierung an, bis 2020 eine Million elektrische Autos auf Deutschland Straßen zu bringen. Dieses Ziel wurde nur verspätet eingehalten. In einem ähnlich kritischen Licht sollte man Ankündigungen im gesamten Klimaschutz-Bereich sehen: Bis 2030, 2040 oder 2050 sind schnell einmal Dinge versprochen. Die Frage ist nur, ob die Umsetzung realistisch ist und ob rechtzeitig die richtigen Maßnahmen gesetzt werden.
Strategie #6: Ein Verbote-Verbot
Als No Sticks, Just Carrots bezeichnen die Autor:innen der Studie die Behauptung, man dürfe unter keinen Umständen auf restriktive Maßnahmen setzen. Klimaschutz habe ausschließlich über positive Anreize zu funktionieren – Strafen, Einschränkungen oder auch nur negative Anreize müsse man aber ausschließen, da man sonst gegen die Bevölkerung handeln würde. In dieser populistischen Vorstellung gibt es ein relativ homogenes Volk mit klar definierten Interessen, denen man mit jedweder Strafmaßnahme zuwiderhandeln würde – seien es Verbote oder finanzielle Maßnahmen.
Es stimmt zwar, dass positive Anreize ein Teil der Lösung sein können. Das schließt aber nicht aus, auch andere Maßnahmen zu setzen. Außerdem zeichnet diese Behauptung ein übersimplifiziertes Bild von politischen Lösungen: Eine CO2-Steuer als „negativer“ Anreiz, um weniger CO2 auszugeben, sorgt zwar für ein Minus am Konto bei denen, die sie bezahlen. Im Rahmen eines größeren Klima-Pakets können aber andere Steuern gleichzeitig gesenkt werden, um die negativen Konsequenzen abzufedern.
Strategie #7: Die „Teil der Lösung“-Lüge
Energieunternehmen in den Bereichen Öl und Gas haben im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, mit der Klimakrise umzugehen. Sie können ihr Geschäftsmodell entweder verändern oder verteidigen. Wer sich für Letzteres entscheidet, wirbt oft mit der Botschaft, fossile Brennstoffe wären „Teil der Lösung“. Durch ihre technologische Kompetenz und ihre Erfahrung im Energiebereich wären sie geradezu prädestiniert dafür. Unterstrichen wird das oft durch beeindruckende Botschaften, dass Öl und Gas „grüner“ werden – sie „reduzieren Emissionen“ (die immer noch hoch sind und auf Dauer komplett wegfallen müssen) und schaffen dabei noch unzählige Arbeitsplätze.
Fakt ist trotzdem immer noch: Durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe entstehen Emissionen, die wir uns nicht mehr leisten können. Daher sind sie auch keine „Brückentechnologie“, sondern nur so lange ein notwendiges Übel, wie die Politik es zulässt. Öl und Gas sind kein Teil der Lösung, sondern das Problem. Je schneller wir uns von der Abhängigkeit lösen, desto besser.
Strategie #8: Der Appell an die „soziale Gerechtigkeit“
Wenn wir uns schnell von fossilen Brennstoffen lösen wollen, erfordert das mutige Klimapolitik und Maßnahmen, die einige Bereiche unseres Lebens verändern werden. Hier sehen die Verzögerer:innen eine Angriffsmöglichkeit: Denn dadurch gibt es natürlich auch kurzfristige Nachteile. Jene, die für die fossile Wirtschaft arbeiten, werden nach und nach ihre Jobs verlieren. Und wenn Benzin und Fliegen teurer werden, sei auch der wohlverdiente Urlaub in Gefahr.
Auch diese Annahmen sind wieder simplifiziert. Fliegen teurer zu machen, heißt nicht per se, dass jeder Flug für jeden Passagier teurer wird. Eine Steuer auf Vielflieger:innen, z.B. auf den dritten Flug im Jahr, wäre eine einfache Lösung, um diese Annahme zu entschärfen. Und Jobs im Öl- und Gas-Sektor werden ohnehin wegfallen und durch neue, grüne Jobs ersetzt. Das gilt nicht nur für den Energiesektor, auch der Ausbau des öffentlichen Verkehrs schafft Arbeitsplätze. Für die meisten sozialen Probleme, die mit der Umstellung unserer Wirtschaft einhergehen, gibt es Lösungen – die Frage ist nur, ob wir sie rechtzeitig in Angriff nehmen, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern.
Strategie #9: Der Verweis auf Wohlstand
Wenn wir jetzt damit anfangen wollen, werden aber Bedenken geäußert – und zwar, dass das Wirtschaftswachstum darunter leiden würde. Wachstum hilft dabei, Wohlstand zu fördern und zu erhalten – Millionen von Menschen brechen aus der Armut aus, weil die Wirtschaft wächst. Diese Entwicklung sei durch einen „zu schnellen“ Ausstieg aus Öl und Gas in Gefahr – darum sei Vorsicht geboten.
Diese Strategie basiert auf einem konstruierten Zusammenhang zwischen fossilen Brennstoffen und Wohlstand. Dabei ist Wohlstand hauptsächlich mit Energie verbunden. Es ist nur nicht egal, woher dieser kommt. Außerdem gehören nicht alle Klimaschützer:innen zur Degrowth-Bewegung, die ein „Zurückfahren“ der Wirtschaft fordert. Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sind kein Widerspruch. Im Gegenteil: Da die Kosten der Klimakrise viel höher werden als die Kosten des Umstiegs, bedingen sie einander langfristig sogar.
Strategie #10: Übertriebener Perfektionismus
Was in der Politik immer geht, nicht nur im Umwelt-Bereich, ist der kleinliche Verweis darauf, dass eine Lösung nicht perfekt sei. Wer den Klimaschutz verzögern will, verweist in diesem Zusammenhang gerne auf die öffentlichen Zustimmungswerte – diese seien nämlich in Gefahr. Und wenn man mit einem schlechten Gesetz die Meinung der Bevölkerung überstimme, werde der Klimaschutz erst recht an Zustimmung verlieren. Besser sei es also, vorerst nichts zu tun und weiter an einer „perfekten“ Lösung zu arbeiten.
Gerade in Österreich kennen wir das besonders gut: Die Regierungspolitiker:innen der letzten Jahre und Jahrzehnte schielen immer mit einem Auge auf Umfragen, um sich ja nicht unbeliebt zu machen. Dabei werden nie 100 Prozent einem Gesetz zustimmen, weder in der Bevölkerung noch im Parlament. Wichtig ist, dass es politische Mehrheiten gibt. Und mit kluger Politik soll es immerhin auch möglich sein, eine Mehrheit für sich zu gewinnen, wo anfangs noch keine zu erkennen ist. Der Fokus auf die öffentliche Meinung ist polit-strategisch verständlich – aber gerade bei existenziellen Krisen wie dem Klimawandel fehl am Platz.
Strategie #11: Veränderung sei unmöglich
Eine intellektuell eher faule Ausrede ist, dass Klimaschutz schlicht nicht möglich sei. Diese Behauptung kann auf unterschiedlichen Annahmen basieren. Dass der Mensch von Natur aus ein „Free-Rider“ sei, wie in Strategie #3 angesprochen, oder dass wir dafür all unseren Wohlstand aufgeben müssten, was gegen den Willen der Bevölkerung niemals durchsetzbar sei. Oder man behauptet einfach, unser Energielevel zu erhalten sei ohne Öl und Gas technisch unmöglich.
Wer mit diesem Argument verzögert, bezeichnet jede Vision einer grünen Zukunft als Träumerei. Dabei sind die Technologien dafür verfügbar und werden Jahr für Jahr günstiger und effizienter. Mit einer Mischung aus falschen Vorstellungen daraus, wie „die Menschheit“ sei und welchen Energiebedarf sie konsumiert, wird beweislos behauptet, dass die Lösungen, die man in der Klimapolitik diskutiere, erfunden seien. Diese Strategie ist besonders unproduktiv, weil sie auf Alternativen verzichtet – wahrscheinlich auch, weil sie vor allem von echten Leugner:innen der Klimakrise kommt, die das Problem an sich verneinen.
Strategie #12: Untergangsstimmung
Der letzte Punkt, den die Autor:innen der Studie erwähnen, ist emotional besonders leicht verständlich: „Doomism“ oder der Glaube daran, dass wir den Kampf längst verloren haben. Angesichts nahezu täglicher Horrormeldungen über Hitzerekorde, Dürren und Extremwetterereignisse kann man diesen Trend möglicherweise nachvollziehen – die Konsequenz daraus ist aber, nichts zu tun und aufzugeben. Und obwohl das bedeuten würde, dass wir erst recht auf den Kollaps sämtlicher Ökosysteme zurasen, heißt das kurzfristig auch, dass es Klimaschutz verzögert. Und damit spielt es denen, die Maßnahmen verzögern wollen, genau in die Hände.
Wir sollten uns allerdings nicht entmutigen lassen. Obwohl es vielerorts so aussieht, als wäre die Politik zu wenig ambitioniert, nimmt die Klima-Debatte Jahr für Jahr mehr Fahrt auf. Sei es durch mutigere Politiker:innen, durch die immer klarere Notwendigkeit oder durch den öffentlichen Druck durch Bewegungen wie Fridays for Future – es sieht zumindest danach aus, als würde die Notwendigkeit des Klimaschutzes mehr und mehr ernst genommen. Eine bessere Zukunft ist möglich. Solange wir nicht aufhören, daran zu glauben.