Lehramt: Eine Karriere ohne Karriere?
Trotz des eklatanten Mangels entscheiden sich zu wenige Junge für den Lehrberuf. Vielfältigere Karrierepfade könnten helfen.
Die österreichische Politik vermittelt den Eindruck, als wäre der Lehrer:innenmangel wie ein Unwetter über die Alpenrepublik hereingebrochen. Dabei war die Pensionierungswelle der Babyboomer seit Jahrzehnten absehbar und in Statistiken ablesbar. Stand 2020 war fast die Hälfte der österreichischen Lehrer:innen der Sekundarstufen über 50 Jahre alt, womit Österreich zu den Spitzenreitern in der EU zählt. Dem steht eine zu niedrige Quote an Lehramts-Studienanfänger:innen gegenüber, der in den MINT-Fächern besonders ausgeprägt ist. In einem Policy Brief des NEOS Lab werden Ursachen gesucht.
Ein Grund ist das geringe gesellschaftliche Ansehen, das Lehrer:innen in Österreich genießen. Während in PISA-Gewinnerländern wie Singapur (72 Prozent) und Finnland (58,2 Prozent) die Mehrheit der Lehrer:innen ihren Beruf für gesellschaftlich angesehen hält, sind in Österreich nur 16 Prozent der Lehrer:innen dieser Meinung. Einem Beruf nachzugehen, der einem wenig Anerkennung einbringt und einem – wenn man ihn ernst nimmt – gleichzeitig hohen persönlichen Einsatz abverlangt, erfordert jedoch ein besonders ausgeprägtes Maß an Sendungs- und Verantwortungsbewusstsein. Das ist aber auch eine Kombination, die sehr rasch zu psychischer Überlastung führen kann.
Ein weiterer Grund ist darüber hinaus, dass das Lehramt für viele eine „Karriere ohne Karriere“ ist. Wer ein Lehramtsstudium beginnt, weiß, wie sein oder ihr Arbeitsalltag mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für die nächsten Jahrzehnte aussehen wird. Das strahlt zwar Sicherheit aus, unterscheidet sich aber zunehmend von den dynamischen Erwerbsbiografien des 21. Jahrhunderts. Denn sieht man vom Erlangen eines Direktor:innenpostens ab, ermöglicht der Beruf so gut wie keine Auf- oder Umstiegsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist die Position der Schulleitung für viele Lehrer:innen sowohl finanziell als auch in puncto Arbeitsaufwand und Gestaltungsspielräumen völlig unattraktiv. Ein Dilemma.
Wie es besser gehen könnte
Dabei gäbe es interessante Modelle, die zeigen, dass es auch anders geht. In Singapur ermöglicht die Lehramtsausbildung, ausgehend von der Schwerpunktsetzung während des Studiums, Karrieremöglichkeiten in den Bereichen Fachdidaktik, Schulmanagement und Bildungswissenschaften, wobei alle Pfade dazu befähigen sollen, die Leitung der obersten Schulbehörde zu übernehmen. Damit bietet Singapur seinen Lehrer:innen nicht nur drei verschiedene Laufbahnen, sondern auch persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
Neben den vielzitierten strukturellen Problemen – Arbeitsplätze, digitale und analoge Infrastruktur, Wertschätzung usw. – ist es nicht nur an sich sinnvoll, potenziellen Lehrer:innen bessere berufliche Perspektiven zu bieten. Gelingt es der Politik nicht, das Lehramt wieder zu einem attraktiven Beruf zu machen, wirkt sich das direkt auf die Qualität der österreichischen Schulbildung aus, denn anders als die Zahl der Lehrer:innen ist die Zahl der Schüler:innen im Steigen begriffen.
Einer der wenigen leicht messbaren Marker für Unterrichtsqualität ist aber der Betreuungsschlüssel, d.h. eine möglichst niedrige Anzahl an Schüler:innen pro Lehrer:in, auch weil sich nur bei einem ausreichenden Personalstand Unterrichtsformate wie „Team-Teaching“ umsetzen lassen. Zwar glauben alle zu wissen, dass es auf die Personen im Unterrichtsgeschehen ankommt, entsprechende politische Maßnahmen, die diese Erkenntnis berücksichtigen, gibt es jedoch wenige. Die Diversifizierung der Karrierepfade für Absolvent:innen eines Lehramtsstudiums könnte einen solchen Beitrag leisten.