Lieferketten: Die EU-Wirtschaft soll nachhaltiger werden
Die Europäische Union kämpfte in den vergangenen Jahren immer wieder mit globalen Lieferkettenproblemen. Ein neues Gesetz soll Abhilfe schaffen – und die europäische Wirtschaft nachhaltiger machen.
In den vergangenen Monaten und Jahren haben sich die globalen Lieferketten als Achillesferse der Weltwirtschaft erwiesen. Von wochenlangen Lockdowns in großen Hafenmetropolen über blockierende Schiffe im Suezkanal, zu wenig Wasser im Panama-Kanal und Rebellen-Raketen auf Handelsschiffe – die Abhängigkeit von weitläufigen, globalisierten Lieferwegen hat der Wirtschaft beträchtlichen Schaden zugefügt. Die Schäden dieser Vorfälle sind die Symptome eines tiefgreifenden Problems, das aus der Globalisierung, Spezialisierung und somit oft Monopolisierung der Wirtschaftsstrukturen und Lieferketten besteht.
Die Europäische Union steht vor der Herausforderung, die Folgen des in den 1990er und 2000er Jahren betriebenen Outsourcings der Produktionen in „Billigländer“ umzukehren. Eine abgerundete Lösung ist tatsächlich noch in weiter Ferne, auch wenn das Konzept der „strategischen Autonomie“ bereits in aller Munde ist. Die EU hat nun zögerlich begonnen, unter Einsatz erheblicher öffentlicher finanzieller Mittel Schlüsselindustrien wie die Chip-Produktion und die Antibiotika-Synthese wieder nach Europa zu holen. Doch trotz dieser Anstrengungen bleibt die Frage nach einer nachhaltigen Lösung offen.
Wie die EU ihre Lieferketten verbessern will
Ein Hoffnungsschimmer liegt in der europäischen Regulierung der Lieferketten, also in der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Das europäische Gesetz mit dem sperrigen Namen erweitert die, zum Beispiel in Deutschland, bereits existierenden Vorschriften und verpflichtet Unternehmen, ihre Lieferketten auf Einhaltung europäischer Umweltstandards und universeller Menschenrechte zu überprüfen. Es gilt auch für Unternehmen, die in der EU tätig sein wollen, also zum Beispiel Zulieferer. Für Unternehmen mit wirtschaftlichen Aktivitäten in Ländern mit niedrigeren Standards in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschutz kann das zu einer Herausforderung werden.
Die Verpflichtung aller Geschäftspartner, bestimmte Standards einzuhalten, wird zu einem Trickle-down-Effekt von Menschenrechten und Klimaschutzstandards entlang der Lieferkette führen. Das wird die Arbeitsbedingungen und Umweltstandards bei Zulieferern und Unterlieferanten in der Wertschöpfungskette verbessern – insbesondere in Ländern, wo solche Standards traditionell niedriger sind.
Sind die Anforderungen zu hoch?
Thilo Brodtmann, der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, sieht die andere Seite. Und sagte dazu im Handelsblatt:
„Diese viel zu weit gehende europäische Regelung wird die Menschenrechte außerhalb Europas nicht stärken. Stattdessen werden europäische Unternehmen sich eher aus schwierigen Märkten zurückziehen, um ein Risiko, das sie nicht mehr beherrschen, zu reduzieren.“
Die hohen Anforderungen der Europäischen Union an Umwelt- und Sozialverantwortung können also dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktionen aus Ländern mit niedrigeren Standards zurück nach Europa verlagern. Denn eine kontinuierliche und detaillierte Kontrolle der komplexen Lieferketten ist oft schwierig, sodass eine Verlagerung der Produktion nach Europa die Sorgfaltspflicht zur Einhaltung dieser Standards massiv erleichtert.
Gleichzeitig stärkt lokale Produktion die Resilienz der europäischen Wirtschaft, da die Gefahr verringert wird, dass fragile Lieferketten Importe verhindern. Dadurch wird auch ein Beitrag zur strategischen Autonomie geleistet – beides Effekte der CSDDD, die durchaus wünschenswert sind.
Kritiker mögen den risikobasierten Sorgfaltspflicht-Ansatz des Lieferkettengesetzes als zu lasch betrachten, aber die Stärke der Richtlinie liegt in den weitreichenden Konsequenzen bei Verfehlungen. Mit Strafen von bis zu 5 Prozent des globalen Umsatzes und persönlicher Haftung des Managements wird deutlich, dass unternehmerische Verantwortung in Europa keine Option, sondern eine Grundvoraussetzung ist.
CO2-Handel könnte grüne Wirtschaft aufbauen
Ein weiterer wichtiger Baustein ist der CO2-Grenzausgleich – der Carbon Border Adjustment Mechanism, ein Teil des europäischen „Green New Deal“. Dieser Mechanismus erweitert den EU-weiten Handel mit CO2-Zertifikaten und belastet bestimmte Importgüter mit ähnlichen CO2-Kosten wie Güter, die in der EU produziert wurden. Das schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen und verhindert, dass Unternehmen die Asymmetrie von Umweltauflagen gewinnbringend ausnutzen können. Gleichzeitig soll so ein „Carbon Leakage“, also ein Abwandern der energieintensiven Industrie, vermieden werden. Der CO2-Grenzausgleich kann, bei korrekter Bepreisung der Zertifikate, sogar die Reindustrialisierung Europas fördern und unseren Kontinent als klimaneutralen Wirtschaftsstandort attraktiv machen.
Ein europäischer Lichtblick
Diese beiden Richtlinien zeigen, wie die Europäische Union ihre wirtschaftliche Macht und den weltgrößten Binnenmarkt strategisch nutzt, um ihre Autonomie und Resilienz gegen externe Störungen zu stärken. Sie markieren auch einen Wendepunkt, an dem die EU beweist, dass sie bereit ist, neue Wege zu gehen und ihre Rolle in der globalen Wirtschaft aktiv zu gestalten. Indem sie hohe Standards für Umwelt- und Sozialverantwortung setzt, fördert sie nicht nur faire und nachhaltige Handelsbedingungen, sondern trägt auch zur Stärkung und Stabilität der eigenen Wirtschaft bei.
Die Umsetzung dieser Gesetze wird sicherlich nicht ohne Herausforderungen sein: Unternehmen müssen ihre Geschäftsmodelle anpassen, und es wird Zeit brauchen, bis die positiven Auswirkungen dieser Maßnahmen in unserer Gesellschaft vollständig sichtbar werden. Dennoch ist es ein entscheidender Schritt in Richtung einer gerechteren und nachhaltigeren Zukunft, die in Europa beginnt. Und ein positives Zeichen, dass die Europäische Union proaktiv agieren kann.