Macht und Einfluss im Vatikan

Es passiert verhältnismäßig selten, aber wenn es passiert, ist es das beherrschende Thema in den Medien: die Papstwahl. Allein die neuen Wasserstandsmeldungen zum Gesundheitszustand des aktuellen Papsts schaffen es regelmäßig auf die Titelseiten, wie die vergangenen Wochen einmal mehr gezeigt haben. Bei der Wahl des Papsts geht es um viel Geld, vor allem aber um Einfluss: Einst war der Papst der vielleicht mächtigste Mann der Welt. Heute ist er das zwar nicht mehr, aber seine Rolle hat weiterhin Gewicht – schließlich gibt es weltweit rund 1,4 Milliarden Menschen, die dem Katholizismus angehören und für die der Heilige Stuhl von zentraler Bedeutung ist.
Heutzutage nimmt man die Rolle des Papsts eher als Mediator wahr. In Krisenzeiten spricht das Oberhaupt des Vatikans mahnende Worte und appelliert an die Weltgemeinschaft, sich für mehr Frieden und Miteinander einzusetzen. Aus staatspolitischer Sicht ist der Papst fast beispiellos mächtig. Im Vatikan herrscht eine Regierungsform, die in der modernen westlichen Welt kaum noch anzutreffen ist: absolute Theokratie. Der Papst vereint in seiner Person legislative, exekutive und judikative Gewalt. Er ernennt die Kardinäle, die wiederum seinen Nachfolger wählen, und entscheidet über Gesetze, Gerichtsurteile sowie die Finanzpolitik des Heiligen Stuhls.
Das Prinzip der Gewaltenteilung, das als Grundpfeiler liberaler Demokratien gilt, existiert im Vatikan also nicht. Selbst Reformansätze – wie etwa unter Papst Franziskus – bewegen sich innerhalb eines engen Rahmens, den die Kirche selbst definiert. Eine unabhängige Opposition gibt es nicht. Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, während die Öffentlichkeit nur das erfährt, was der Vatikan preiszugeben bereit ist.
Korrupte und morbide Amtsverständnisse
Man kann die Rolle des Pontifex maximus aber durchaus anders auslegen, als wir es von den Päpsten der Neuzeit kennen. Aufgrund seiner moralisch flexiblen Amtsauslegung heute noch in Erinnerung ist vor allem Papst Alexander VI. (1431–1503): Rodrigo Borgia, wie der Spanier mit bürgerlichem Namen hieß, war wohl mehr ein korrupter Machtpolitiker als vermittelnder Friedensadvokat, wenngleich sein Ruf womöglich schlechter ist als seine tatsächliche Amtsführung. Vorwerfen kann man ihm neben zahlreichen Affären und unehelichen Kindern vor allem Vetternwirtschaft. Übrigens: Borgias Sohn Cesare wurde als Feldherr gefürchtet und hat dadurch lobende Erwähnung in Machiavellis Fürst gefunden.
Geht man von Borgias Regime weitere 600 Jahre in die Vergangenheit, landet man bei Stephan VI. – der weitaus weniger bekannt ist, obwohl er für einen makaberen Skandal im Vatikan gesorgt hat. Stephan VI. ließ 897 den Kadaver seines Vorgängers Formosus exhumieren und öffentlich zur Schau stellen. Die sogenannte Leichensynode sollte die Fehltritte des verstorbenen Papsts aufzeigen – also eine Art Strafurteil post mortem. Stephan VI. wurde dieser groteske öffentliche Verwesungsprozess seines Vorgängers aber bald zum Verhängnis: Kurze Zeit nach der Leichensynode wurde der Papst in einen Kerker geworfen und dort erwürgt.
Papst Stephan VI. und die Leiche seines Vorgängers Formosus. Gemälde von Jean-Paul Laurens, 1870.
Säkularisierung, Öffnung und Bescheidenheit – bis zum nächsten Konklave?
Das Pontifikat ist heute natürlich nicht mehr so morbide wie im Mittelalter. Die katholische Kirche beeinflusst aber immer noch in vielen Ländern politische Entscheidungen, etwa in Fragen der Abtreibung oder der Sterbehilfe. Hier zeigt sich, dass der Vatikan als globaler Akteur oft gegen liberale Werte agiert und moralische Normen in politischen Entscheidungsprozessen durchzusetzen versucht.
Nichtsdestotrotz hat die Säkularisierung dazu geführt, dass der Papst viel weniger mächtig ist, als er es früher war. Auch der Zeitgeist hat die Rolle des Vatikans verändert: Man gibt sich offener, toleranter und seit der Amtszeit von Franziskus auch betont bescheiden. Ob sein Nachfolger ähnlich agieren wird oder neue (alte) Wege beschreitet, ist natürlich völlig offen. Dass die Segnung homosexueller Paare nun erlaubt ist, dürften aber nicht alle Geistlichen in Rom gutheißen. Andererseits sind, bei allen Reformbestrebungen des derzeitigen Pontifex, grundlegende Veränderungen – etwa in Fragen des Frauenpriestertums oder des Zölibats – nach wie vor nicht in Sicht.
Die Wahl des Papsts wird als Konklave bezeichnet und ist der Ort, an dem sich Machtpolitik in ihrer reinsten Form zeigt – schließlich geht es nicht nur um Einfluss, sondern auch um eine nicht bekannte Summe Geld, über die der Heilige Stuhl verfügen kann.
Zum Ablauf des Konklave:
Das Konklave beginnt, sobald der Heilige Stuhl offiziell für vakant erklärt wurde, in der Regel nach dem Tod oder dem Rücktritt des Papsts. Rein formal könnte jeder männliche, getaufte Katholik über 35 zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt werden – solange er ledig ist. Doch das ist die Theorie. In der Praxis hat seit dem Mittelalter ausschließlich jemand aus den Reihen der Kardinäle auf dem Stuhl Petri Platz genommen. Der letzte Papst, der vor seiner Wahl kein Purpur trug, war Urban VI. (1378–1389). Seitdem gilt das ungeschriebene Gesetz: Wer gewählt werden will, muss bereits Teil der höchsten Riege der Kirche sein. In der Sixtinischen Kapelle wird unter strengster Geheimhaltung und nach festen Regeln von den wahlberechtigten Kardinälen, die jünger als 80 Jahre sind, der neue Papst nach folgendem Prozedere gewählt.
- Einzug in das Konklave: Üblicherweise obliegt die Leitung des Konklaves dem Kardinaldekan, also dem ranghöchsten Mitglied des Kardinalskollegiums. Er ist es auch, der den versammelten Kardinälen den feierlichen Eid abnimmt: strengste Verschwiegenheit, keine Einmischung von außen, kein Verrat der Wahlprozesse. Die Kardinäle werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit in die Sixtinische Kapelle geführt. Dann beginnt der Wahlprozess.
- Wahlgänge: Die Wahl erfolgt in mehreren geheimen Abstimmungen pro Tag. Ein Kandidat benötigt eine Zweidrittelmehrheit, um gewählt zu werden. Sollte diese nicht erreicht werden, wird weiter abgestimmt.
- Rauchzeichen: Nach jeder Abstimmungsrunde werden die Stimmzettel verbrannt. Schwarzer Rauch bedeutet, dass noch kein Papst gewählt wurde, während weißer Rauch verkündet, dass eine Entscheidung gefallen ist.
- Bekanntgabe des neuen Papsts: Sobald die Wahl erfolgreich ist, wird der gewählte Kardinal gefragt, ob er die Wahl annimmt. Falls ja, wählt er einen neuen Papstnamen. Danach verkündet der Kardinalprotodiakon von der Loggia des Petersdoms aus: „Habemus Papam“.
- Erster Auftritt: Der neue Papst tritt erstmals als Oberhaupt der katholischen Kirche vor die Gläubigen und erteilt den apostolischen Segen „Urbi et Orbi“.
Ob der nächste Pontifex den Kurs von Franziskus fortführen oder einen konservativeren Weg einschlagen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Die Machtstrukturen des Vatikans haben in den letzten Jahrhunderten erstaunliche Wandlungen durchgemacht – und die nächste Wahl wird zeigen, wohin die Reise geht.
Wann immer der nächste Papst gewählt werden und wer immer als Sieger aus der Wahl hervorgehen wird: Es ist anzunehmen, dass sich der Vatikan weiter öffnen wird, um sich dem Zeitgeist anzupassen. Selbst das legendäre Geheimarchiv wurde nach und nach zugänglicher gemacht und somit entmystifiziert. Heute wissen wir beispielsweise, dass sich dort Briefverkehr mit Persönlichkeiten wie Mozart, Voltaire und Hitler befindet. Auch das Dekret zur Exkommunikation Martin Luthers, ein Transkript des Prozesses gegen Galileo wegen Ketzerei und eine Beschwerde Michelangelos, weil er nicht für seine Arbeiten an der Sixtinischen Kapelle bezahlt wurde, befinden sich im dortigen Archiv. Dennoch dürften die einen oder anderen Geheimnisse noch darauf warten, entdeckt zu werden. Vielleicht wird der nachfolgende Papst eine Rolle bei deren Veröffentlichung spielen.