Mein Leben als digitale Nomadin
Seit einem Jahr bin ich digitale Nomadin, arbeite an den schönsten Orten der Welt und habe mein Leben zu einem einzigen Abenteuer gemacht. Im letzten Jahr habe ich auf 3.000 Meter Höhe auf einem aktiven Vulkan in Guatemala übernachtet, bin den Strand von Malibu entlangspaziert, habe regionalen Wein in der Toskana getrunken, eine Flamenco-Show in Madrid angeschaut, Karneval in Rio gefeiert, Yoga auf einem Rooftop über Manhattan gemacht und vieles mehr.
Doch erstmal von vorne: Was ist eigentlich ein:e digitale:r Nomad:in? So wird jemand bezeichnet, der Unternehmer oder Angestellter ist und seine Arbeit ortsunabhängig oder multilokal verrichtet. Ich habe mich vor drei Jahren während des Studiums mit einer eigenen Werbeagentur mit Fokus auf Content Creation und Social Media selbstständig gemacht, und genau diese Arbeit verfolge ich noch immer, nur halt jetzt von überall auf der Welt aus.
Meine Kund:innen sind momentan alle noch in Europa ansässig, meine Arbeit funktioniert aber zu einem sehr großen Teil auch zeitunabhängig. Anstatt Miete und Einkäufe etc. im kalten Österreich zu zahlen, nehme ich mir ein Apartment oder buche ein Zimmer in einem Hostel und wohne in meist wärmeren Ländern, wo ich die gleichen Routinen und Arbeitszeiten wie zu Hause habe. Ich bin mit 14 Jahren nach Österreich gezogen und habe mich hier nie zu 100 Prozent zu Hause gefühlt, bin immer schon viel gereist und umgezogen in meinem Leben und habe mir nach Corona gedacht: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ und meine Wohnung gekündigt und einfach losgereist. Doch dieser Lebensstil bringt Herausforderungen mit sich – mit denen ich erst einmal lernen musste umzugehen.
Ich verpasse ständig Momente mit meiner Familie und meinen engsten Freunden. Ich konnte nicht bei der Beerdigung meiner geliebten Oma sein und habe die Geburtstage meiner Mama und meines Bruders verpasst. In solchen Momenten spüre ich die Kehrseite dieser Lebensweise sehr stark. Dann fühlt sich mein Leben einsam an, und ich fühle mich egoistisch für meine Entscheidung, so zu leben. Bis heute ist dieser Punkt die größte Herausforderung: Durch das Reisen habe ich gelernt, wer tatsächliche Freunde sind, in die es sich lohnt, Zeit zu investieren. Mir bewusst Zeit zu nehmen, um den Kontakt aufrecht zu halten und Besuche und gemeinsame Reisen zu planen.
Keiner meiner Freunde führt so ein Leben, daher konnte auch niemand den Schmerz und die Zerrissenheit tatsächlich nachfühlen, und die meisten der Bekanntschaften, die ich auf meinen Reisen machte, waren intensiv, aber flüchtig. Durch gemeinsame Interessen und ähnliche Lebensweisen entwickelten sich schnell enge Verbindungen. Die Chance, mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zu interagieren und von ihnen zu lernen, war eine der bereicherndsten Erfahrungen meiner Reise. Einsam fühlte ich mich trotzdem oft.
Das digitale Nomadentum forderte mich ständig aus meiner Komfortzone. Jede Routine ist auf einmal weg, und in jeder neuen Stadt ist der erste Einkauf in einem lokalen Supermarkt ein Abenteuer, und ein Gym ohne Jahresmitgliedschaft zu finden, ist oft herausfordernd. Die Orientierung am neuen Ort ist zeitaufwendig, und ein Arztbesuch, ohne die Landessprache zu sprechen, nervenaufreibend. Mit der Zeit wird man mutiger, vertraut den eigenen Fähigkeiten mehr und kann besser einschätzen, wie viel Zeit man benötigt, um sich wirklich an einem Ort einzuleben.
Ich bin in meinem Leben schon früher viel umgezogen und auf zwei verschiedenen Kontinenten aufgewachsen, also hatte ich nie eine große Bindung zu materiellen Gegenständen. Durch das Leben aus dem Koffer begann ich plötzlich, Gegenstände in einem neuen Licht zu betrachten. Manchmal vermisse ich das Gefühl, ein Zuhause und meine persönlichen Gegenstände um mich herum zu haben. Dabei geht es nicht nur um materielle Dinge, sondern auch um das Gefühl der Stabilität und des Rückzugs. Einfach mal wo ankommen zu können und zu sein.
Auch das Arbeiten unterwegs ist herausfordernd. Viel Freiheit bedeutet auch viel Disziplin – gerade wenn man selbstständig ist, gibt es niemanden, der einem sagt, wann und wie viel man arbeiten muss. Eigeninitative ist hier gefragt, und auch Balance. Am Anfang meiner Reise habe ich festgestellt, dass ich zwar an den tollsten Orten der Welt bin, aber kaum Zeit zum Genießen und Erleben habe, da ich ständig arbeite. Inzwischen habe ich Arbeitszeiten für mich festgelegt und eine gute Balance zwischen Arbeit und Erleben gefunden.
Digitales Nomadentum ist der Traum für so viele, und ich bin unglaublich dankbar für diese Erfahrung und dafür, überhaupt die Möglichkeit zu haben, von überall aus arbeiten zu können. Und ich bin stolz auf mich, es einfach mal auszuprobieren.
Trotzdem denke ich, dass viele nicht realisieren, dass es nicht immer einfach ist. Es erfordert Mut, sich den Herausforderungen zu stellen, die Einsamkeit zu überwinden und ständig außerhalb der Komfortzone zu sein. Es erfordert Zeit und Mühe, Beziehungen ins Heimatland aufrechtzuerhalten.
Irgendwann werde ich wieder einen festen Wohnsitz haben. Eine Wohnung, die ich selbst einrichte, mit Gegenständen, die mir gehören. Aber bis dahin reise ich weiter – mit Dankbarkeit für alles, was ich auf dieser Reise lernen darf.
KATHARINA KUTSCHER ist digitale Nomadin, Content Creatorin und berät Kunden im Bereich Online Marketing mit ihrer eigenen Werbeagentur. Als „Third Culture Kid“ hat sie bereits in sechs Ländern und drei Kontinenten gelebt und teilt auf ihrem eigenen Instagram-Account Tipps und Inspiration zu den Themen Reisen, Mode und Mindset.