Minenräumung: Wie andere Neutrale helfen
Während Österreich so tut, als könne man wegen der Neutralität keine Hilfe anbieten, sind andere neutrale Staaten in der Debatte schon deutlich weiter.
Österreich diskutiert über die Neutralität. Mal wieder, möchte man sagen. Diesmal, weil die Republik der Ukraine Hilfe bei der Entminung von Gebieten untersagt, die unter russischer Kontrolle waren – eine Art von Hilfe, die mit der Neutralität absolut vereinbar wäre.
Dabei ist die Ausgangslage eigentlich recht klar: Laut Neutralitätsgesetz darf Österreich lediglich keinem militärischen Bündnis beitreten und keine fremden Militärbasen auf eigenem Territorium zulassen. Und natürlich dürfen wir keinen Krieg beginnen – was aber auch ohne dieses Gesetz verboten wäre.
Trotzdem erteilt Verteidigungsministerin Tanner der Forderung nach Hilfe bei der Entminung eine Absage. Diese sei aus ihrer Sicht nicht mit der Neutralität vereinbar, da man in der Ukraine nur schwer zwischen humanitärer und militärischer Entminung unterscheiden könne, berichtete orf.at. Erst nach Kritik durch Medien, Opposition und Bundespräsident lenkte die Bundesregierung zumindest so weit ein, Geld zur Verfügung zu stellen: Zwei Millionen sollen für die Entminung zur Verfügung gestellt werden.
Allfällige Sicherheitsbedenken für Entminungspersonal müssen natürlich berücksichtigt werden, aber eines muss klar sein: Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche wie Wohnhäuser, Schulen, Kindergärten oder landwirtschaftlicher Gebiete widerspricht sicher nicht der österreichischen Neutralität, sondern ist eine humanitäre Angelegenheit.
Alexander Van der Bellen
Die Schweiz hilft, wo Österreich wegschaut
Gerade der Staat, der für seine Neutralität besonders bekannt ist, hilft bei der Entminung: die Schweiz. Sie gehört zu den größten Sponsoren der Minenräumung, wohl auch, weil das Internationale Zentrum für Humanitäre Minenräumung Genf und die Stiftung für Minenräumung FSD aus der Schweiz kommen. Diesen Weg könnte auch Österreich wählen – wenn schon nicht mit eigenen Soldaten, dann mit Personal, Know-how oder eben Geld.
Aber das ist nicht der einzige interessante Fall aus der Schweiz: So wollen die Eidgenossen es leichter machen, „Kriegsmaterial“ – also Waffen – in die Ukraine zu bringen. Momentan ist es verboten, Waffen, die man aus der Schweiz gekauft hat, in Kriegsgebiete weiterzugeben. Dabei geht es nicht darum, dass die Schweiz selbst Waffen liefern will, sondern z.B. darum, alte Leopard-Panzer aus Schweizer Beständen an die Ukraine weiterzugeben. Die Flugabwehrraketen, die in der Schweiz gerade außer Betrieb genommen und verschrottet werden, könnte man in der Ostukraine gut brauchen.
Aber auch in unserem Nachbarland ist man sich in Sachen Neutralität nicht immer einig. Es gibt etwa Debatten darüber, was man mit den Vermögenswerten russischer Oligarchen machen soll, die eingefroren wurden: Sollen sie der Ukraine nach dem Krieg für den Wiederaufbau überlassen werden? Dagegen spricht die Eigentumsgarantie in der Schweizer Verfassung. Allerdings könnte die Schweiz den Umweg wählen, Russland gleich zu behandeln wie organisiertes Verbrechen – so könnten die Vermögenswerte konfisziert werden.
Keine meiner Amtskolleginnen und keiner meiner Amtskollegen hat Verständnis dafür, dass wir andere Länder daran hindern, die Ukraine mit dringend benötigten Waffen und Munition zu versorgen. Dass die Schweiz ihren neutralitätspolitischen Handlungsspielraum nicht nutzt – das wird nicht verstanden.
Viola Amherd, Verteidigungsministerin der Schweiz
Irland bildet ukrainische Soldaten bei Minenräumung aus
Für Österreich ist aber noch ein weiteres Beispiel relevant – denn die Republik beruft sich auf EU-Ebene auf die sogenannte irische Klausel. Gemeint ist damit § 42 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union, der besagt, dass die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union den „besonderen Charakter“ bestimmter Mitgliedstaaten nicht berühren darf – z.B. Irland, das eben neutral ist. Darauf beruft sich die Republik heute international öfter als Irland selbst.
Denn die irische Klausel hält Irland nicht davon ab, im Rahmen einer militärischen Unterstützungsmission der EU zu helfen: Irische Truppen bilden die ukrainischen Streitkräfte in den Bereichen Bombenentschärfung und Minenräumung aus. Bis zu 30 Angehörige der irischen Armee nehmen an der Ausbildungsmission in Zypern teil, zusätzliches Personal aus Deutschland und Brüssel koordiniert diese Zusammenarbeit.
Irland nimmt den Krieg in der Ukraine generell als Anlass für eine verteidigungspolitische Zeitenwende: So werden irische Streitkräfte bald Zugang zu einer privaten Gesundheitsversorgung auf demselben Niveau haben, wie es momentan nur Offizieren zusteht. Die irische Politik widmet sich Fragen der Personalbindung, Bezahlung und Arbeitszeit, außerdem soll ein externes, unabhängiges Gremium zur Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen geschaffen werden.
Auch Irland sieht also, dass die Neutralität sich lediglich darauf beschränkt, keinen Krieg zu beginnen und keinem Militärbündnis beizutreten, und hilft im Rahmen seiner Möglichkeiten. Gerade die Entschärfung von Bomben ist kein kriegerischer Akt gegen Russland, sondern hilft dabei, Menschenleben zu retten – potenziell sogar auf beiden Seiten. Und auch verbal bleibt Irland nicht untätig: Das neutrale Land fordert den schnellen EU-Beitritt der Ukraine.
Aber vor allem sollte ein Land, das derzeit gegen eine militärische Supermacht wortwörtlich um sein Überleben kämpft, in der Lage sein, auf volle EU-Mitgliedschaft zu hoffen und nicht auf irgendeine Art von Teil-Mitgliedschaft oder Nachbarschaftsabkommen.
Simon Coveney, irischer Außen- und Verteidigungsminister
Österreich versteckt sich hinter der Neutralität
An diesen Beispielen sieht man, dass Neutralität nicht bedeuten muss, außenpolitisch nichts zu tun – andere Staaten mit starker neutraler Tradition sind auch nicht untätig, wenn es um die Ukraine geht. Aber es geht auch anders: Schweden und Finnland sind z.B. als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg der NATO beigetreten, obwohl die Neutralität dort auch vor kurzem noch unumstritten war. Ein Land, das sich derart auffällig aus jeder Debatte herausnimmt wie Österreich, findet man aber selten. Obwohl die Neutralität kein österreichischer Einzelfall ist.
Wenn Österreich der Ukraine nicht bei der Entminung helfen will, ist das eine außenpolitische Linie, die ausgesprochen gehört. Sich hinter einer falsch verstandenen Neutralität zu verstecken, ist aber keine Außenpolitik – sondern ein Wegducken, das auch international auffällt.