Moderne Lehre? Zukunftsmusik!
Wer in den Ausbildungsordnungen österreichischer Lehrberufe kramt, fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. Ausbildungsvorschriften aus den Jahren 1979, 1982 und 1984, die bis auf eine Änderung der Verhältniszahlen von Lehrlingen zu Ausbildner:innen Anfang der 2000er noch genau so Bestand haben, wie sie vor 40 Jahren beschlossen wurden.
In den alten Ausbildungsordnungen, die für die Lehrberufe Kupferschmied:in, Destillateur:in oder Chirurgieinstrumentenerzeuger:in fast unverändert Gültigkeit haben, findet man auch Ausbildungsvorschriften für Notenstecher:innen, Schildermacher:innen, Setzer:innen, Bürsten- und Pinselmacher:innen oder Korb- und Möbelflechter:innen – Museumsmaterial für alle unter 30.
Einige Einträge im A–Z der Lehrberufe dürften Karteileichen sein. In der Theorie könnten Jugendliche heute immer noch Miedererzeuger:in, Wagner:in, Handschuhmacher:in oder Lebzelter:in und Wachszieher:in werden, in der Praxis fehlen aber die Lehrstellen in diesen Gewerben – Marie Kondo hätte da wohl schon längst ausgemistet. Aber manche altmodisch klingende Lehrberufe „still spark joy“, so gibt es für Hafner:innen und Fassbinder:innen mehr Lehrstellen, als man glauben würde. Was den Ausbildungsordnungen der Lehrberufen aber insgesamt anhaftet: ein gewisser Mief nach Mottenkugeln und alten Ansichten.
WKO und Wirtschafts- und Arbeitsminister:innen schreiben sich gerne kleine Erneuerungen in der Lehrausbildung auf die Fahnen. Die Einführung der Modullehrberufe, einige neue Lehrberufe wie Entsorgungs- und Recyclingfachkraft oder Abwassertechnik, neue Ausbildungsordnungen für einige bestehende Lehrberufe: alles schöne Schlagzeilen, keine Frage. Aber steckt da wirklich der große Wurf dahinter?
Prozentrechnen auf Österreichisch
Die kürzliche Debatte um eine vegane Kochlehre zeigt, dass es mit der Modernisierungslust in der Lehre nicht überall so weit her ist. Die Ausbildungsordnung Koch/Köchin schreibt penibelst vor, welche Gerichte Lehrlinge zu lernen haben – unter anderem sind Innereien und Apfelkren sowie österreichische Suppeneinlagen verpflichtend. Als Ausbildungsbetriebe kommen Restaurants, deren Karte weniger als 70 Prozent österreichische Speisen enthält, gar nicht erst infrage, so ein WKO-Vertreter. Der Vietnamese in der Wiener Innenstadt, die Pizzeria am Stadtrand, das vegetarische Restaurant am Seeufer? Die haben bei der Lehrlingsausbildung das Nachsehen.
Eine kurzfristige Sichtweise. Koch/Köchin ist seit 2018 Mangelberuf – im AMS-Jobportal sind fast 1.000 Stellenausschreibungen für gelernte Köch:innen zu finden. Aber die WKO bleibt dabei: ohne österreichische Küche keine Erlaubnis, Lehrbetrieb zu werden. Zwar wird inzwischen über eine vegane Kochlehre nachgedacht, am Fachkräftemangel werden die 67 veganen Restaurants in Österreich allerdings auch kaum etwas ändern können. Der singuläre Fokus der Kochlehre auf österreichische Küche ist nicht nur Heimat-Snobismus erster Klasse – wir stellen uns damit auch wirtschaftspolitisch einen Haxen.
Dabei läge die Lösung so nah: Österreich hat mit der Modullehre bereits die geeignete Form, differenzierte Ausbildungswege in einem Lehrberuf zu bündeln. Durch die Schaffung einer modularen Kochlehre könnte die Ausbildung in österreichischer, internationaler und veganer bzw. vegetarischer Küche ermöglicht werden, ohne bei der österreichischen Küche Abstriche in der Ausbildungsqualität hinnehmen zu müssen.
Wie sehr die WKO in dieser Frage in der Vergangenheit verharrt, zeigen die Aussagen von Joachim Ivany, der die Grünen in der Wirtschaftskammer vertritt. Seiner Meinung nach wäre eine modulare Kochlehre sinnvoll, sei aber derzeitig völlig unrealistisch, da Österreichs Gastronomie die gesamte klassische Kochlehre in ihre Einzelbestandteile zerlegen und völlig neu formen müsste. Es müsste also umfassend reformiert werden, und das sei verfrüht. Da fragt man sich: Wann wäre dann ein guter Zeitpunkt, mit einer solchen Reform zu beginnen? Vielleicht 2028, zum 10-Jahre-Jubiläum der Aufnahme von Koch/Köchin in die Mangelberufsliste?
Anderer Sektor, gleiche Zukunftsvergessenheit
Wenig besser sieht es bei der Installations- und Gebäudetechnik aus. Der Lehrberuf wurde 2008 modularisiert, es stehen drei Hauptmodule und vier Spezialmodule zur Wahl. Lehrlinge können entweder in drei Jahren ein Hauptmodul absolvieren oder im Rahmen einer vierjährigen Lehre zwei Hauptmodule beziehungsweise ein Hauptmodul und ein Spezialmodul kombinieren.
Wärmepumpen und anderen alternativen Heizungstechnologien gehört die Zukunft: In Deutschland wurde der Einbau neuer Fossilheizungen bereits stark eingeschränkt. Und auch für Österreich liegt ein entsprechender Gesetzesentwurf vor, der allerdings noch nicht zur Abstimmung gebracht wurde. Angesichts dieser Fakten würde man sich wünschen, dass angehende Gas- und Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechniker:innen über erneuerbare Alternativen Bescheid wissen und fachkundig beraten können. Für Absolvent:innen des Spezialmoduls Ökoenergietechnik ist das tatsächlich der Fall. Sie können Kund:innen über die Einsatzgebiete sowie die Vor- und Nachteile von Alternativenergieanlagen beraten und diese Anlagen auch planen, zusammenbauen, montieren, prüfen und instandhalten.
Die schlechten Nachrichten: Die allerwenigsten der ca. 4.500 Lehrlinge der Installations- und Gebäudetechnik absolvieren dieses Spezialmodul. Wie viele der frischgebackenen Installations- und Gebäudetechniker:innen über das nötige Wissen für die Zukunft verfügen, ist also gänzlich davon abhängig, ob es in ihrem Lehrbetrieb zufällig vermittelt wird – verpflichtend sind Zukunftstechnologien in der Installations- und Gebäudetechniklehre jedenfalls nicht.
Ein Königreich für ein E-Auto
In der Kraftfahrzeugtechnik sieht es ähnlich aus. Auch dieser modulare Lehrberuf verfügt über drei Hauptmodule (wovon sich eines auf Pkw konzentriert) und zwei Spezialmodule. Das Diagnostizieren von Fehlern, die Prüfung, Wartung und Instandsetzung von alternativen Antrieben (z.B. Elektro- und Hybridmotoren oder Brennstoffzellenantriebe) wird im Rahmen des Spezialmoduls „Hochvolt-Antriebe“ gelehrt. Von den ca. 6.000 Lehrlingen in der Pkw-Technik absolvierten 2021 allerdings lediglich 356 bzw. 5,5 Prozent das Zukunfts-Spezialmodul.
Auch in der Kfz-Technik sind mit E-Autos Technologien der Zukunft also nur ein Wahlfach – und noch dazu eines, das sich Lehrzeit mit anderen „alternativen Antriebsformen“ wie Brennstoffzellen teilen muss. Auch das wird wohl dem gestrigen Weltbild der Zuständigen geschuldet sein. Nicht nur der Bundeskanzler bezeichnet Österreich als „Autoland schlechthin“ (E-Autos eher nicht mitgemeint), auf der WKO-Website heißt es auch immer noch:
„Ob sich in Zukunft das Gas-, Hybrid- oder gar Elektrofahrzeug durchsetzen wird, kann aus heutiger Sicht nicht gesagt werden.“
Wirtschaftskammer Österreich
Österreich: Ein Land der Bremser
Nur nicht hudeln, man könnte ja was übersehen, jemandem auf den Schlips treten oder – Gott bewahre – bei Zukunftstechnologien ganz vorne mitmischen. Es ist alles gut so, wie es ist, und jeder Reformvorschlag ist ein Anschlag auf die gottgegebene Weltordnung im Land der Seligen. Ähnliches muss in den Köpfen der WKO-Funktionär:innen und ÖVP-Politiker:innen vorgehen, die sich einer Generalüberholung der Lehre in den Weg stellen.
So unterhaltsam die Lektüre von Ausbildungsordnungen aus 1980 auch ist – das Gedankengut von damals sollte nicht den Inhalt der Lehrausbildung von heute diktieren.