Noricum: Neue Enthüllungen in Österreichs Schattenpolitik
Die Noricum-Affäre, eine der explosivsten politischen Affären der 1980er Jahre in Österreich, erschütterte das Land tief. Sie zeigte, wie eng die Verbindungen zwischen Industrie und Politik waren. Noricum gilt als einer der größten Skandale, die das Misstrauen der Öffentlichkeit in die Politik verstärkten.
Für die Jüngeren: Im Zentrum stand die Waffenschmiede Noricum, eine Tochtergesellschaft der staatlichen Voestalpine, die – trotz Neutralität – österreichische Waffen an kriegführende Nationen verkaufte. Anfangs exportierte Noricum an den Irak, und später, in einer als „Kompensation“ bezeichneten Aktion, auch an den Iran, der mit dem Entzug von Geschäften drohte, falls er nicht die erstklassigen Artilleriegeschütze erhielte. Obwohl 26 andere Länder beide Kriegsparteien unterstützten – was keineswegs eine Rechtfertigung ist und den Krieg zusätzlich verschärfte –, war für Österreich die Neutralität ein verfassungsrechtliches Gebot.
Hochrangige Politiker, darunter die Regierungschefs Bruno Kreisky, Fred Sinowatz und weitere Minister, waren über diese Transaktionen informiert und förderten sie, um die österreichische Nahost-Politik zu stärken. Das führte zu einer langanhaltenden Vertuschung durch Politiker und Voest-Manager.
Der mysteriöse Tod des Botschafters und die Rolle der Medien
Ein zentrales Element des Skandals war der mysteriöse Tod des österreichischen Botschafters in Griechenland, Herbert Amry, im Juli 1985. Amry war in einen illegalen Waffendeal zwischen Österreich und dem Iran verwickelt und plante dessen Aufdeckung. Sein plötzlicher Tod auf einem Botschaftsempfang in Athen wurde lange Zeit als Herzinfarkt dargestellt, eine Version, die auch der damalige Innenminister Karl „Charly“ Blecha bis vor kurzem aufrechterhielt – doch dazu später mehr.
Die Journalisten Burkhart List und Otto Grüner vom Magazin Basta spielten eine entscheidende Rolle bei der Enthüllung des Skandals. Sie fotografierten im August 1985 GHN-45-Kanonen in einem jugoslawischen Militärhafen, was den Stein ins Rollen brachte. Die ORF-Dokumentation „Die Akte Noricum – Österreichs geheime Waffengeschäfte“ zeigt ein Interview mit Gaan Eisenburger, einem Beteiligten am Waffenverkauf. Er bestätigte, dass Bundeskanzler Sinowatz persönlich die Lieferung von Kanonen an den Iran angeordnet hatte.
Die Affäre offenbarte auch, wie Österreichs Politik durch milliardenschwere Waffenexporte beeinflusst wurde. Es wurde berichtet, dass Bruno Kreisky und sein Innenminister Erwin Lanc in einem Waffengeschäft mit dem Irak versuchten, Saddam Hussein dazu zu bewegen, die Unterstützung des Terroristen Abu Nidal aufzugeben. Ab 1985 belieferte Noricum auch den Iran mit Kanonen – was noch brisanter war, da der Iran seit der Revolution 1979 als Erzfeind des Westens galt.
Der Prozess gegen die Voest-Manager begann 1989, die beteiligten Politiker standen 1993 vor Gericht. Eine vollständige politische Aufarbeitung und ein Schuldeingeständnis blieben jedoch aus. Karl Blecha räumte später ein, die illegalen Geschäfte aus Staatsräson und Parteidisziplin verteidigt zu haben, was dem Noricum-Skandal eine neue Wendung gab.
Neue Enthüllungen und ungeklärte Fragen um Noricum
In der jüngsten Entwicklung der Noricum-Affäre hat der frühere Innenminister Blecha seine Aussagen über die Ereignisse deutlich verändert. Über Jahrzehnte behauptete Blecha, dass Herbert Amry eines natürlichen Todes durch Herzinfarkt gestorben sei. Diese Darstellung hielt er auch in einem Interview im Jahr 2008 mit dem Titel „Vergessen können hält jung“ aufrecht, das im Standard veröffentlicht wurde.
Nun jedoch, in einer bemerkenswerten Wendung, gibt Blecha an, dass Amry möglicherweise von einer CIA-Splittergruppe ermordet worden sei. Amry hatte Kenntnis über einen illegalen Waffen-Deal zwischen Österreich und dem damals kriegführenden Iran erlangt und wollte diesen stoppen, starb aber überraschend im Juli 1985.
Blechas neue Aussagen, die in scharfem Kontrast zu seinen früheren Behauptungen stehen, werfen ein neues Licht auf die Noricum-Affäre. Diese späte Enthüllung, Jahrzehnte nach dem Skandal, ist besonders bemerkenswert, da Blecha zuvor Informationen über Amry nicht weitergegeben und sogar Sachverhaltsdarstellungen gefälscht haben soll – konkret: Urkundenunterdrückung.
In der ORF-Dokumentation „Menschen & Mächte“ gibt es einige Informanten, die am Ende ihres Lebens reinen Tisch machen möchten. Blecha erklärt:
„Wir hatten den Eindruck, dass es Teile des CIA gibt, die uns feindlich gesinnt sind.“
Er spekuliert über zwei Gruppen innerhalb des Geheimdienstes: eine, die Österreichs Rolle im geopolitischen Spiel unterbinden wollte, und eine andere, die den Waffenschmuggel für eigene Zwecke nutzen wollte.
Fakt ist, dass die USA längst wussten, dass Österreich sowohl den Irak als auch den Iran belieferte. Oliver North, später bekannt durch die Iran-Contra-Affäre, besuchte Österreich, um sich über den Waffenschmuggel zu informieren. Die Reagan-Regierung leitete Einnahmen aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran an die Contras in Nicaragua weiter, was sowohl einen Verstoß gegen einen US-Kongressbeschluss als auch einen innen- und geopolitischen Konflikt darstellte. Konkret wurde der Voest sogar angeboten, sich an diversen Deals zu beteiligen. Aus den Deals wurde aber nichts – vermutlich vonseiten der Voest. Aber jedenfalls gab es Interesse von Teilen des US-Geheimdienstes, dass diese Geschäfte laufen und dass die Voest bzw. Noricum eine Rolle spielen könnte.
Enthüllungen und Widersprüche: Die Aussagen Karl Blechas
Blecha sagt weiter über Amry: „Der Herbert Amry war ein außergewöhnlicher Mensch, umfassend gebildet. Er hatte immer sehr viele Neider gehabt, auch in den eigenen Reihen.“ Als Amry starb, ließ Blecha ohne Ermittlungen in Athen verlauten, Amry sei herzkrank gewesen und einem Infarkt erlegen. „Na, das haben wir angenommen, ned? Dass es im CIA eine uns feindlich gesinnte Gruppe gegeben hat und die hat den Herbert Amry aufs Korn genommen gehabt. Eindeutig.“
Es bleibt die Frage, ob Amry einem Machtkampf im US-Sicherheitsapparat zum Opfer gefallen ist. Blecha bestätigte in einem Interview, dass er die Version eines natürlichen Todes gewählt hatte, um internationale Verwerfungen mit den USA zu vermeiden. Im Vergleich dazu äußerte er sich 2008 ganz anders, betonte die Bedeutung des Vergessens und zeigte keine Anzeichen von Reue oder Bedauern.
Verborgene Wahrheiten und verschlossene Akten
Es scheint, als würde sich hier jemand endlich etwas von der Seele reden. Doch warum bleiben so viele Fragen offen, obwohl es unzählige Ermittlungen gab? Der Hauptgrund dafür ist, dass wir nach wie vor auf die Aussagen des ehemaligen Innenministers angewiesen sind, da vieles nicht zugänglich ist. Der Akt zu dieser Causa, so hört man, umfasst 300.000 Seiten und ist unter Verschluss. Warum? Der einzige Hinweis darauf findet sich in der Verschlusssachenverordnung § 2:
„Einstufung von Ermittlungsakten als Verschlusssache: Ein Ermittlungsakt ist als Verschlusssache einzustufen, wenn besondere Geheimhaltungsgründe bestehen. Solche liegen insbesondere dann vor, wenn an dem Strafverfahren wegen der außergewöhnlichen Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Tatverdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht und die Weitergabe von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren mit einer besonderen Gefahr für die von den Ermittlungen betroffenen Personen oder Dritte, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit verbunden wäre oder den Zweck der weiteren Ermittlungen gefährden würde (§ 50 Abs. 1 letzter Satz StPO).
Ob und wie lange ein Ermittlungsakt als Verschlusssache geführt wird, entscheidet der Leiter der Staatsanwaltschaft, der Leiter der übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft oder das Bundesministerium für Justiz, das Recht auf Akteneinsicht (§ 51 StPO) darf dadurch nicht umgangen werden.“
Der Akt ist seit 30 Jahren unter Verschluss. Wir werden mehr darüber erfahren können, sobald er einsehbar ist.
Die Geheimnisse der Noricum-Affäre
Was ist aber mit anderen Informanten? Nehmen wir Heribert Apfalter, den Generaldirektor der Voest – der sehr viel hätte enthüllen können. Als das Verfahren ins Rollen kam, galt er als potenziell aussagekräftiger Zeuge, da er im damals noch staatlichen Konzern zwischen Konzern und Politik vermittelte. Doch als die Ermittler zu Hausdurchsuchungen ansetzten, zog er sich am 25. August 1987 an seinen Wochenendsitz zurück. Am nächsten Tag sollte er nicht mehr am Leben sein – Herzversagen.
Blecha kommentierte dies mit den Worten: „Verschiedene mögliche Ursachen, weil er war ja doch eine ungemein aktive Persönlichkeit, die in verschiedenen brenzligen Bereichen involviert war. Auf Wienerisch ausgedrückt: Er hat nichts ausgelassen.“