Orbán auf Amerikanisch: Es werden wieder Bücher verboten
Dass Bücher verboten werden, das kennen wir eher aus unserer dunklen Vergangenheit. Aber in Staaten mit autoritären Regierungen feiert das Bücherverbot ein Comeback: In den USA durch die republikanisch dominierten Bundesstaaten, und in unserem Nachbarland Ungarn durch Viktor Orbán.
Es gibt liberale Werte, von denen man gar nicht glauben kann, sie im Jahr 2023 noch verteidigen zu müssen. Die Erkenntnis, dass Meinungs- und Pressefreiheit gute Ideen sind, hat sich in liberalen Demokratien weitgehend durchgesetzt. Aber auch diese Errungenschaft ist unter Druck – vor allem durch rechte Regierungen.
Das zeigen Beispiele aus Ungarn und diversen US-Bundesstaaten. Denn mittlerweile folgen viele republikanische Gouverneure dem Beispiel des ungarischen Premierministers Viktor Orbán. In seinem Land werden Bücher mit unliebsamen Inhalten mittlerweile „im Verkauf eingeschränkt“. Eine Idee, die in den Vereinigten Staaten noch weiter auf die Spitze getrieben wird.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Die neue Bücherzensur in Ungarn
Hintergrund des Buchverbotes in Ungarn ist das sogenannte Kinderschutzgesetz. Was gut klingt, basiert auf einem absichtlichen Missverständnis und einem rechten Talking Point: Denn in Ungarn wird Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt. Seit 2021 müssen deshalb Bücher, die Themen wie Homo- oder Transsexualität ansprechen, einfoliert werden – darin darf also nicht geblättert werden. Die EU-Kommission sieht darin eine Einschränkung der Grundrechte und hat eine entsprechende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingebracht.
Was heißt das in der Praxis? Wer in Ungarn ein Harry-Potter-Buch kaufen will, darf nicht blättern, weil Albus Dumbledore laut der Film-Fortsetzung „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ homosexuell ist. Das reicht, um die beliebte Buchreihe als kinderschädliche Propaganda zu behandeln. Die Folge: Eine Buchhandlung wurde mit einer Geldstrafe von 32.000 Euro belegt, weil es einen Comic mit homosexuellen Hauptfiguren verkauft hatte – die größte Strafe, die jemals gegen ein solches Unternehmen verhängt wurde.
Und auch sonst werden Buchhandlungen nicht anders behandelt als die anderen Bereiche in Ungarn, die „orbánisiert“ werden: Die Kette „Libri“ wurde vom Mathias-Corvinus-Collegium übernommen, das der Regierungspartei Fidesz nahesteht.
In den USA werden Bücher verboten
In den USA wurde Orbán schon länger als „Vorbild“ für eine autoritäre Machtverschiebung erkannt. Nicht umsonst trifft sich CPAC – das „Conservative Political Action Comittee“ – in seiner Europa-Edition in Ungarn. Dort sendet Donald Trump Videobotschaften über den Kulturkampf, bevor Orbáns Politik von der Menge gefeiert wird. Die Rechten sind international gut vernetzt. Und lernen voneinander.
Darum wurden in den USA in mehreren Bundesstaaten Bücher verboten – vor allem an Schulen. Alleine im letzten Jahr gab es entsprechende neue Gesetzeslagen in Texas, Florida, Missouri, Utah und South Carolina. Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, der gegen Trump um das republikanische Ticket für die US-Präsidentschaft kandidiert, gibt besonders mit seinem Kulturkampf gegen „woke“ an und stört sich nicht daran, dass sein Gesetz „Don’t Say Gay Bill“ genannt wird: Das „Sag-nicht-schwul-Gesetz“.
Alleine im ersten Halbjahr des Schuljahres 2022/23 wurden in den USA 1.477 Bücherverbote ausgesprochen, manche davon in mehreren Staaten. Wenn man Doppel- und Dreifachverbote zusammenrechnet, kommt die Statistik auf 874 individuelle Bücher. Die Organisation PEN America, die sich für die Freiheit des geschriebenen Wortes einsetzt, sammelt die verbotenen Bücher auf ihrer Website. Es werden regelmäßig mehr.
Eine Umfrage aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 70 Prozent der Eltern in den Vereinigten Staaten gegen Bücherverbote sind. Aber laut PEN America befinden sich Schulen in einer Zwickmühle: Sie müssen nicht nur den politischen Druck und die Ängste mancher Eltern aushalten, sondern bekommen auch aktiv Drohungen, sollten sie keine „Vorsicht walten lassen“, wenn es um die Auswahl von Büchern geht. Die Themen, die dabei besonders „gefährlich“ sind: Themen wie Hautfarbe, Geschlecht, LGBTIQ-Themen oder die amerikanische Geschichte.
Was hinter den Bücherverboten in den USA steckt
Die Strategie der Bücherverbannung passt zur neuen Strategie der Republikanischen Partei im öffentlichen Diskurs: Sie nutzt alle rechtlichen Schalthebel, die es gibt, um unliebsame Meinungen zu verbannen. Was früher das freie Spiel der Ideen im US-Kongress war, wird heute ersetzt durch das Kapern des Rechtsstaats – und neue Möglichkeiten, an und für sich unpolitische Orte zu politisieren.
Dazu gehören eben auch die Schule, die Bibliothek, die Buchhandlung. Was junge Menschen lesen können und dürfen, ist eine höchstpersönliche, individuelle Entscheidung und trägt zur Meinungsbildung bei. Ein politischer Hebel: Im Kulturkampf gegen alles, was „woke“ ist – und für die Republicans ist alles woke, was nach den Democrats aussieht –, werden Bücher aufgrund schwammiger Gesetze, die quasi jedes Verbot argumentierbar machen, einfach präventiv verboten. Das Gedicht „The Hill We Climb“, das zur Amtseinführung von Joe Biden vorgelesen wurde, ist genauso verboten wie das Tagebuch von Anne Frank oder Werke von William Shakespeare. Darauf angesprochen, warum das Gedicht verboten wurde, meinte die Einreicherin, sie habe es nicht gelesen – sie sei kein Buchmensch, sondern eine besorgte Mutter.
Sie dürfte ein gutes Beispiel sein, denn diese Möglichkeiten zum Bücherverbot werden nicht weitläufig genutzt. Eine Analyse der Washington Post etwa zeigt, dass ein großer Teil der verbotenen Bücher auf elf besonders engagierte Rechte zurückgeht. Die Gesetze der Republikaner sind also nicht eine Antwort auf den tragischen Hilfeschrei der Bevölkerung nach mehr Zensur, sondern ein Werkzeug für die besonders engagierte rechte Szene: Sollen die nur verbieten, was sie wollen, solange es unserem Feind schadet.
Wer Bücher verbietet, kann sie auch verbrennen
Und bei Bücherverboten hört es nicht auf: Wegen Disputen darüber, welche Bücher „angemessen“ sind und welche nicht, kam es auch schon zu aggressiven Drohungen. Eine Vertreterin der „Moms for Liberty“ in Arkansas – die eben nicht die publizistische Freiheit verteidigen, sondern sie einschränken wollen – drohte etwa einem Schulbibliothekar mit Waffengewalt.
Als wäre dieser Grundrechtseingriff nicht schlimm genug, geht es auch um ein anderes Thema, das die Rechten hassen: Repräsentation. Ein junger, schwuler Mann könnte sich in seiner Situation möglicherweise besser fühlen, wenn es auch popkulturelle Bezugspunkte für seine Realität gibt, etwa in Form homosexueller Hauptcharaktere. Und selbst, wenn man nicht betroffen ist: Was spricht eigentlich dagegen, eine Geschichte genießen zu dürfen, in der es z.B. um die Perspektive einer Jugendlichen asiatischer Abstammung geht, die mit Diskriminierung kämpft? Niemand sagt, dass man diese Bücher lesen muss. Es geht nur darum, dass Kinder und Jugendliche lesen dürfen, was sie möchten.
Viktor Orbán und seine rechten Fans rund um die Welt finden diese Freiheit bedrohlich und nutzen den Rechtsstaat, um ihnen diese Möglichkeit zu nehmen. Der ungarische Oppositionschef Ferenc Gelencsér sagt dazu: „Wenn man ein Buch verdeckt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man es irgendwann verbrennt.“ Das Comeback der Bücherverbrennung ist also eine Warnung vor autoritären Tendenzen, die man ernst nehmen sollte. Möglicherweise ist die Zensur erst der Anfang.