Orbáns Kampagne gegen die EU: Der Gipfel des Zynismus
„Tanzt nicht so, wie sie pfeifen.“
Diesen Satz liest man in Ungarn derzeit häufig. Er steht neben einem Bild der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ist der Titel der neuesten Anti-EU-Plakatkampagne der ungarischen Regierung. Dass Viktor Orbán tatsächlich nicht so tanzt, wie die EU pfeift, hat er beim Erpressungsversuch in der Debatte über den EU-Beitritt der Ukraine zur Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine bewiesen.
Eine Plakatkampagne, die sich gegen die EU richtet? Das ist in Ungarn kein Novum. Schon 2017 wollte die Regierungspartei Fidesz „Brüssel aufhalten“ und hat so gegen die EU-Kommission mobil gemacht, weil sie die ungarische Migrationspolitik kritisierte. Vor einigen Monaten erst hat die Regierung das ganze Land mit Bildern einer Rakete plakatiert, mit dem Text: „Die Brüsseler Sanktionen machen uns kaputt.“
Besonders ironisch bei diesen Kampagnen ist, dass Ungarn ein Nettoempfänger von EU-Geldern ist, also mehr Geld von der EU erhält, als es in den Budget-Topf einzahlt. Mit anderen Worten: Ungarn ist eine der größten Profiteurinnen der EU. Trotzdem kommt das Geld nicht bei der Bevölkerung an – es verschwindet in den Korruptionssümpfen der Fidesz.
Oder eben in Plakatkampagnen gegen die EU, bei denen öffentliche Mittel genutzt werden, um gegen die EU Stimmung zu machen. Während wertvolle Steuergelder für diese Propaganda ausgegeben werden, die die EU-Politik infrage stellt, bleiben dringend benötigte Reformen in anderen Bereichen auf der Strecke.
Ungarns liberale Partei Momentum hat einen Versuch gestartet, mit ihrer eigenen Plakatkampagne auf die Missstände in Ungarn hinzuweisen. Die Plakate stellten die Frage, ob die Menschen denn wüssten, dass Ungarn die EU-weit höchste Inflation hat oder Orbán sein Gehalt auf 5 Millionen Forint (ca. 13.200 Euro) angehoben hat. Mit den schier grenzenlosen Töpfen zur Finanzierung der Regierungspropaganda kann so eine Kampagne jedoch nicht mithalten.
Dieses Plakat der liberalen Partei Momentum fragt: Wussten Sie, dass Ungarn EU-weit die höchste Inflation hat?
Seit 2021 hat die EU-Kommission die Möglichkeit, durch den sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus EU-Gelder zurückzuhalten, wenn ein Land gegen die EU-Werte verstößt. Im Fall von Ungarn ist genau das passiert. Es wurden 22 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds und milliardenschwere Corona-Hilfen zurückgehalten. Diese harte Linie war überfällig: Es konnte nicht länger hingenommen werden, dass autoritäre Regierungen wie die in Ungarn oder (früher) in Polen EU-Hilfsgelder nutzen, um ihre Macht auszubauen.
Ernüchterung kam dann jedoch vor Weihnachten: Viktor Orbán hat es geschafft, die Freigabe von 10 Milliarden Euro an EU-Mitteln zu erpressen. Er hat die Eröffnung der Beitrittsgespräche mit der Ukraine ermöglicht, indem er bei der Abstimmung den Raum verlassen hat. Im Gegenzug wurden die EU-Mittel freigegeben. Bei einer Veranstaltung der liberalen Fraktion im EU-Parlament hat es die Spitzenkandidatin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann so formuliert:
„Den Leuten zu erklären, dass Orbán auf die Toilette gegangen ist und 10 Milliarden Euro bekommen hat, kann nicht die Lösung sein.“
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP
Und da hat sie recht. Die EU darf sich nicht von einem Autokraten auf der Nase herumtanzen lassen – schon gar nicht, wenn er pfeift. Man kann nur hoffen, dass dies eine einmalige Angelegenheit war und das Verlassen des Raums nicht zum Präzedenzfall für zukünftige politische Manöver wird. Denn im Endeffekt spaltet das die Union mehr, als es sie zusammenhält.
So wie es aussieht, wird das Nachgeben der Kommission bei Orbáns Erpressungsversuchen ein Nachspiel haben: Das Europäische Parlament will nun die EU-Kommission vor den Europäischen Gerichtshof bringen, da aus seiner Sicht die Fördermilliarden zu Unrecht an die ungarische Regierung freigegeben wurden. Abgeordnete verschiedenster politischer Couloirs – auch die Liberalen – wollen die Rechtfertigung der Kommission, dass Ungarns jüngste Reformen den Rechtsstaat gestärkt haben, nicht glauben, und haben daher eine entsprechende Resolution eingebracht. Man darf gespannt sein.
„Tanzt nicht so, wie sie pfeifen“, sagt dieses Plakat in Ungarn
Die jüngste Plakatkampagne der ungarischen Regierung unter Viktor Orbán, die sich gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen richtet, markiert also einen neuen Höhepunkt in einer Serie provokativer Aktionen, die das gespannte Verhältnis Ungarns zur Europäischen Union verdeutlichen. Sie ist aber auch beispielhaft für Orbáns bisherige Politik gegenüber der EU. Er hat nie Auseinandersetzungen mit den europäischen Institutionen gescheut – sei es durch seine Weigerung, den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus der EU zu akzeptieren oder durch Blockaden wichtiger EU-Entscheidungen.
Die Frage, die sich nun stellt, ist: Where do we go from here? Denn Ungarn blockiert weiterhin 50 Milliarden Euro an Hilfszahlungen für die Ukraine. Die Union sollte sich nicht weiter erpressen lassen und endlich in Erwägung ziehen, Ungarn entsprechend Artikel 7 das Stimmrecht zu entziehen. Die Verträge geben der Union das Rüstzeug. Sie muss es nur anwenden. Ein effektiverer Schritt, der jedoch eine Vertragsänderung erforderlich machen würde, wäre die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Damit könnte sich die Europäische Union endlich aus den Fängen von autokratischen Regierungen befreien.