René Benkos Flucht ins „Zypern der Alpen“
2018 wurde der Sitz der Signa von Wien nach Innsbruck verlegt. Eine folgenreiche Entscheidung. Denn nicht nur die Zuständigkeit wechselt – sondern auch der Stil, in dem das Benko-Imperium geprüft wird.
Wurden Reiche durch die Verwaltung bevorzugt? Diesen Verdacht untersuchte der COFAG-Untersuchungsausschuss. Und da war natürlich vor allem ein Mann symptomatisch für den Misstand: René Benko. Denn nicht nur der Name Benko, auch sein geschäftlicher Erfolg ist stark mit seinem Heimatbundesland verbunden. Genauer gesagt: mit den Tiroler Finanzbehörden.
Da ist das Schlosshotel Igls: eine Luxusvilla, die von Benko als Privatwohnsitz genutzt wird, aber von der Finanz wie ein Unternehmen behandelt wird. Für die Baukosten von mehreren Millionen Euro holt sich Benko die Vorsteuer zurück, immerhin sei es ein „Hotel“. Ein Hotel mit nur einem Gast: Benko selbst. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Chalet N., das zwar offiziell der Vermietung dient, aber de facto keine Mieteinnahmen generiert. Ein Unternehmen im Signa-Netzwerk, das nur Verluste schreibt, könnte auch gut zur Methode Benko passen, Bilanzgewinne- und Verluste hin- und herzuschieben, um die Steuerlast zu optimieren.
All das passierte in Innsbruck – dem neuen Steuersitz von René Benko. Denn der Sitz seiner Unternehmen wurde 2018 von Wien dorthin verlegt. Der COFAG-U-Ausschuss beschäftigte sich mit der Frage: Wurde Benko in Innsbruck bevorzugt? Und was ist dran an der These des „Alpen-Zypern“, die im Laufe der Untersuchung oft geäußert wurde? Um diese Geschichte aufzuarbeiten, fangen wir chronologisch an:
Warum will die Signa überhaupt nach Innsbruck?
René Benko will nicht nur dorthin, weil er ein heimatverbundener Tiroler ist. Er hat auch gute Erfahrungen in Innsbruck: Nicht nur geschäftlich, sondern auch steuerlich. Schon 2001 kam es zu einem Skandal im Finanzamt Innsbruck. Nicht nur Benko wurde steuerschonend geprüft, sondern viele Unternehmen, u.a. auch der FC Tirol. Nur ein Indiz, das nahelegt, dass in Innsbruck anders hingeschaut wird als in Wien. Und möglicherweise ein Grund für die Skepsis in der Hauptstadt über den „überstürzten Abzug“.
Dazu kommt, dass Benko-Firmen in Innsbruck schnell zur Chefsache werden. Es geht um Bruno K., den Fachvorstand im Finanzamt Innsbruck. Dieser schreibt noch im Jänner 2024 ein Mail an seine Teamleads, dass viele Prüfungen rund um Benko über seine Abteilung laufen „müssen“, sein Name tauchte auch schon im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss auf: Matthias Jenewein hatte sich auf seinen Fachvorstand K. bezogen.
Auch die Antworten im COFAG-U-Ausschuss zeichnen ein Sittenbild, das in eine ähnliche Richtung geht. Ein Großbetriebsprüfer des Finanzamts Innsbruck etwa gab an, „einen Termin“ mit Benko zu haben – keinen Termin am Bürotisch des Finanzamts, sondern „auf einen Kaffee“ in der Firmenzentrale. Und das, während mehrere Prüfverfahren laufen: Ob es um den Business-Jet geht, um das Chalet N. oder um das Schlosshotel Igls. Ob man solche Themen auch in Wien bei Kaffee und Kuchen beim Betroffenen besprechen kann?
Fachvorstand K. antwortet genauso ausweichend wie andere, denen die Verantwortung für die nachlässige Prüfung zugeschrieben wird. Er antwortet oft mit rechtlichen Details, etwa die Zuständigkeit für die Prüfung und die Zuständigkeit für den Akt. Juristische Feinheiten, die wie eine Antwort wirken, aber nicht die Frage beantworten. Wir wissen also nach wie vor nicht, warum oder gar in wessen Auftrag etwaiges Entgegenkommen für René Benko passiert ist – aber wir wissen, dass der entsprechende Verdacht nicht erst im Nachhinein aufkam.
Kritische Stimmen in Wien legen Verdacht nahe
Die umstrittene Sitzverlegung von Wien nach Innsbruck wandert auch über den Schreibtisch von Werner L. Er ist Vorstand im Finanzamt Wien. Er versteht den „überstürzten Abzug aus Wien“ nicht, wie er auch schriftlich festhält.
Darum legt L. auch seinen ersten Elektronischen Akt an, einen „ELAK“. Offiziell, weil er es als seine Pflicht sieht. Er will sein Pendant im Finanzamt Innsbruck warnen, wie es um die Signa steht. Und fügt an:
„Der Grund für den aus unserer Sicht überstürzten Abzug aus Wien, noch dazu während einem offenen Prüfungsverfahren, können wir nicht nachvollziehen, nur vermuten.“
L. versteht also nicht, warum die Zuständigkeit für René Benkos Unternehmen nach Innsbruck wandert, und verschriftlicht seine Kritik. Es ist übrigens das erste Mal, dass der Beamte im fortgeschrittenen Erwerbsalter einen ELAK anlegt. Ein solcher Akt ist nämlich nicht löschbar – Vorgänge, die so dokumentiert werden, bleiben innerhalb der Behörde für immer sichtbar. Ein großer Vorteil, wenn man Missstände kommunizieren will. Und das will L., der anfügt:
„Aufgrund dieser Umstände war das FA Wien 1/23 nicht bereit, die Verantwortung für dieses Ergebnis zu übernehmen und den Fall zu approbieren.“
L. ist ein Beamter, der seinen Job macht: Er schaut sich das betroffene Unternehmen an und hält fest, wo Zweifel bestehen. Aber nicht alle haben das gleiche Interesse in der Causa Sitzverschiebung. Das ist der Nachteil eines ELAK: Wenn manche nicht wollen, dass diese Kritik für immer sichtbar bleibt. L. bekommt einen Anruf.
Interventionen im Finanzwesen
Einen erbosten Anruf, wie L. im COFAG-U-Ausschuss betont. Am Apparat ist Eduard Müller. Er ist zu diesem Zeitpunkt Sektionschef im Finanzamt Wien und wird später Finanzminister in der „Expertenregierung“ Bierlein werden. Heute ist Müller einer von zwei Chefs der Finanzmarktaufsicht: Er gilt als der „schwarze“ Gegenpart zum „roten“ Vorstand Ettl. Beim Beamten L. klingelt er für eine klassische Intervention an.
L. erklärt Müller, er verstehe nicht, warum man Benko so helfe. Das Argument: Benko habe 5.000 Arbeitsplätze gerettet. L. weiß aber jetzt schon: Ihm geht es eigentlich nur um die Immobilien von Kika/Leiner, ähnlich wie in Deutschland bei Galeria. Nach dem Telefonat wird der Beamte wieder verschriftlichen:
„Das Argument von Edi, Benko habe 5000 Arbeitsplätze gerettet, kann ich nicht nachvollziehen, weil es anders kommen wird – Benko möchte ja eh nur die Immobilien.“
Nach einer Telefonkonferenz zwischen Wien, Innsbruck und dem Finanzministerium wird Benkos Sitzverschiebung dann durchgewunken.
Es ist nicht der einzige Eingriff dieser Art in der Causa Benko. Ähnliches spielt sich auch in Innsbruck ab. Ein anderer Beamter mit demselben Kürzel, Erich L., wird später ebenfalls Opfer einer Intervention. Im BMF gab es genau für sowas eine „schnelle Eingreiftruppe“ (BIA), gegründet 2004 durch einen Erlass. Die BIA steht auf rechtlich wackeligen Beinen und ist – wie auch das Landesgericht für Strafsachen Wien festgestellt hat – keine Behörde, die strafrechtliche Ermittlungen durchführen darf. Diese Truppe widmete sich auch dem Innsbrucker L. rund um seine Prüfaktivitäten.
Im U-Ausschuss sagt Erich L. aus, dass er rechtswidrig verfolgt wurde. Er ist der Beamte, der den Business Jet von René Benko prüft und eine Steuernachzahlung feststellt. In seiner Befragung gibt er auch an, dass die Arbeit in der Finanzprüfung leichter geworden sei, seit die „Zwillinge“ weg wären. Die Zwillinge, das ist der „interne“ Name für Eduard Müller und Thomas Schmid – durch die Chats hätte man ja auch in der Verwaltung gewusst, dass die beiden abgestimmt an politischen Interventionen arbeiten.
Das Gesamtbild
Ja, das alles ist eine komplexe Geschichte. Sie zieht sich über Behörden, Zuständigkeiten und Bundesländer und behandelt Namen, die nicht für die Medienöffentlichkeit bestimmt sind. Darum fassen wir noch einmal zusammen, welches Bild sich aus dem COFAG-U-Ausschuss ergibt:
- Im Jahr 2018 wanderte der Steuersitz von René Benko von Wien nach Innsbruck.
- Diese Entscheidung wurde in Wien von redlichen Beamten kritisiert.
- Auch in Innsbruck tun sich Bedenken eines Beamten auf – allerdings erst wesentlich später.
- In beiden Bundesländern gibt es Interventionen: auch durch Eduard Müller, einen der „Zwillinge“.
- Später wird bekannt, dass Benkos Unternehmen und Privatvergnügen in Innsbruck steuerschonend geprüft wurden.
- Die zuständigen Personen Müller sowie der Fachvorstand K. bestreiten Interventionen und absichtliche Hilfe für Benko.
Dieses Fazit legt nahe, dass Benko seinen Unternehmenssitz mit der Erwartung verschob, bessere Behandlung in Innsbruck zu bekommen. Ob das absichtlich oder gar gesteuert passiert ist, das ist eine Sache von Ermittlungen, für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Die politische Dimension ist aber eine heikle: Wenn auch nur der Verdacht laut wird, dass es sich manche richten können, während andere schon für kleine Steuerrückstände Probleme bekommen, untergräbt das zu Recht das Vertrauen in den Rechtsstaat.