Rückkehr europäischer Dschihadisten
Der Sturz des Assad-Regimes und die Machtübernahme durch die islamistische HTS-Miliz, Nachfolgerin des syrischen Al-Qaida-Ablegers, haben den Dschihadismus im Nahen Osten erneut ins öffentliche Augenmerk gerückt.
Viele europäische Politiker:innen, darunter Österreichs Innenminister Gerhard Karner, forderten nach dem Regimewechsel in Syrien reflexartig die schnelle Rückkehr syrischer Migrant:innen, ohne die weitreichenderen sicherheitspolitischen Risiken zu bedenken. Obwohl die HTS (Haiʾat Tahrir asch-Scham, „Organisation zur Befreiung der Levante“) in ihrer bisherigen syrischen Hochburg Idlib mit Unterstützung der Türkei eine vergleichsweise stabile Situation geschaffen hat und nun eine gemäßigte Rhetorik verfolgt – wohl, um die internationale Gemeinschaft von ihrer Staatsfähigkeit zu überzeugen und eine „Talibanisierung“ des Landes zu ermöglichen –, bleibt sie eine militant-islamistische Miliz. Dahingehend birgt diese Entwicklung das Potenzial, die terroristische Bedrohung im Nahen Osten und in Europa langfristig zum Negativen zu verändern. Die US-Luftangriffe Ende Oktober 2024 auf mehrere IS-Ziele in Syrien, bei denen Dutzende IS-Kämpfer:innen getötet wurden, verdeutlichen, dass militant-islamistische Gruppierungen nach wie vor eine ernsthafte Bedrohung darstellen. Die Propaganda des IS radikalisiert weiterhin gewalttätige Extremist:innen weltweit, wenn auch nicht mehr so wie zu dessen Hochzeiten zwischen 2011 und 2020, als mehr als 5.000 von den 42.000 sogenannten „Foreign Fighters“ aus Europa kamen.
Während viele Dschihadisten in Kampfhandlungen ums Leben kamen, wurden zahlreiche von syrischen und kurdischen Behörden inhaftiert. Die Öffnung syrischer Gefängnisse, die Eingliederung dschihadistischer Gruppierungen in die syrischen Streitkräfte sowie die geplante Reduzierung der US-Militärpräsenz in der Region bieten islamistischen Kämpfer:innen Anreize, noch in kurdischen Gefängnissen inhaftierte IS-Kämpfer zu befreien – wie zuletzt beim Ausbruchsversuch aus dem kurdischen Hasakah-Lager im Jahr 2022.
Recht auf Rückkehr
Es ist somit möglich, dass bisher in syrischen Gefängnissen inhaftierte Dschihadist:innen aus Europa in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Zwar gibt es keine rechtliche Verpflichtung für Staaten, sich aktiv an einer Rückholung der eigenen Staatsbürger:innen zu beteiligen, jedoch ist die Rückkehr ins eigene Land ein Menschenrecht, nach dem die Wiedereinreise nicht verweigert werden darf. Ebenso darf laut internationalem Recht niemandem die Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn dies zur Staatenlosigkeit führen würde. Der Hoffnung europäischer Staaten, dass den Inhaftierten dort der Prozess gemacht wird und deren Rückkehr somit weiterhin hinausgeschoben werden kann, wurde durch die Übernahme der islamistischen HTS ein Dämpfer versetzt.
Wie viele dschihadistische Kämpfer:innen letztlich befreit werden, lässt sich derzeit nicht beantworten. Nach Schätzungen des belgischen Egmont-Instituts sind jedoch allein in kurdischen Gefängnissen rund 13.500 ausländische Frauen und Kinder sowie bis zu 2.000 ausländische männliche Kämpfer (mit nichtsyrischer oder nichtirakischer Staatsbürgerschaft) interniert. Das österreichische Außenministerium weiß derzeit von weniger als zehn Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in kurdischen Lagern in Syrien, von denen die Hälfte Kinder sind. Wie viele sich in Gefängnissen der syrischen Behörden befinden (oder befanden), lässt sich noch schwerer beurteilen.
Dass die meisten in dieser Hinsicht möglicherweise nach Europa gelangenden Personen Kinder sind, die noch nie in den Staaten ihrer Nationalität waren, stellt einen besonders herausfordernden Umstand dar. In Gebieten des Islamischen Staates geboren, indoktriniert und anschließend in Lagern inmitten tausender IS-Anhänger:innen unter extremen Bedingungen aufgewachsen, sind diese Kinder besonders anfällig für Radikalisierung.
Deren „Rückkehr“ kann nicht verhindert werden, wie kürzlich im medial diskutierten Fall der Salzburgerin Maria G. deutlich wurde. Maria G. hatte sich im Alter von 17 Jahren dem IS angeschlossen, zwei Kinder mit einem IS-Kämpfer gezeugt und befindet sich seit dem Zusammenbruch des IS-Territoriums 2019 in einem kurdischen Lager in Nordostsyrien. Das österreichische Außenministerium bemühte sich bisher nur um die Rückholung der beiden Kinder ohne die Mutter. Da eine Trennung jedoch dem Kindeswohl widersprechen würde, hat das Bundesverwaltungsgericht nun die gemeinsame Rückholung von Mutter und Kindern angeordnet.
Was geschieht nach der Rückkehr?
Jenen, die nach Syrien gereist sind, um sich dem IS anzuschließen, droht nach ihrer Rückkehr ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Doch was passiert mit ihnen nach der Verbüßung ihrer Strafe im Falle einer Verurteilung? Rückkehrende Dschihadist:innen stellen auch nach der Haft eine erhebliche Sicherheitsbedrohung dar, nicht nur aufgrund ihrer Kampferfahrung und ihrer Ausbildung im Umgang mit Waffen, sondern auch wegen ihrer Verbindungen zu internationalen Terrornetzwerken. Die Desensibilisierung gegenüber Gewalt sowie eine mögliche Beteiligung an Gräueltaten erhöhen das Bedrohungspotenzial dieser Rückkehrer:innen zusätzlich.
Als Staatsbürger:innen werden sie nicht einfach verschwinden, und ohne gezielte Auseinandersetzung mit ihrem möglicherweise weiterhin gefährlichen Gedankengut könnten sie dieses weiterhin verbreiten und dadurch andere zu Terroranschlägen motivieren. Diese Herausforderungen müssen sowohl frühzeitig in Justizanstalten als auch langfristig durch umfassende Reintegrationsmaßnahmen nach der Haft adressiert werden. Dies gilt umso mehr für die Kinder, die noch nie in „ihrem“ Land waren, und nun besondere Unterstützung benötigen, um in die Gesellschaft integriert und resilient gegen Radikalisierung zu werden.
Ein entschlossener und langfristiger Ansatz zur Deradikalisierung und Reintegration ist daher unerlässlich, um den Teufelskreis von Radikalisierung und Terrorismus zu durchbrechen. Statt syrische Geflüchtete vorschnell zurückzuschicken, sollten Vorbereitungen für die Rückkehr radikalisierter europäischer Kämpfer:innen und ihrer Familien getroffen werden.