Syrien: Mehr als nur ein Bürgerkrieg
Nach rund fünf Jahren fand der Krieg in Syrien am 8. Dezember 2024 sein vorläufiges Ende. Die Islamistengruppe Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) nahm innerhalb von wenigen Tagen wichtige Städte und schlussendlich die Hauptstadt Damaskus ein. Die syrische Armee brach zusammen, Diktator Baschar al-Assad floh nach Russland. Der Bürgerkrieg war auch ein Stellvertreterkrieg, in dem viele Staaten versuchten, ihre Einflussgebiete auszubauen. Hier wird versucht, einen Überblick über die vielen Fraktionen, Staaten und Interessen zu schaffen.
Baschar Al-Assad und die Syrisch-Arabische Armee (SAA)
Diktator Assad hat die Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings im Frühjahr 2011 brutal niederschlagen lassen und damit den Bürgerkrieg entfacht. Seither versuchte er mit allen Mitteln, seinen Machterhalt zu sichern, und schreckte auch nicht vor Bombardierung der Zivilbevölkerung oder chemischen Waffen zurück. Dem Großteil der Syrerinnen und Syrer gilt er berechtigterweise als Tyrann.
Dass sich Assad fast 14 Jahre lang halten konnte, hat er seinen Unterstützer:innen, vor allem Russland, zu verdanken, das im September 2015 militärisch in den Krieg eingriff und dem syrischen Regime dabei half, Teile des verlorenen Staatsgebiets wieder zurückzugewinnen, wodurch Assads Regime sich wieder stabilisieren konnte. Der russische Militäreinsatz, der geprägt war von zahlreichen Kriegsverbrechen, hatte mehrere außen- und innenpolitische Motive: Assad war ein Verbündeter des russischen Regimes, durch den Einsatz konnte der Einflussbereich sichergestellt werden. Außerdem befanden und befinden sich (noch?) mehrere Militärstützpunkte Russlands in Syrien.
Neben Russland waren der Iran und die schiitisch-libanesische Terrormiliz Hisbollah die wesentlichen politischen und militärischen Unterstützer:innen Assads und tragen auch an diversen Kriegsverbrechen Mitschuld. Irans Ziel war die Sicherstellung einer „schiitischen Achse“ zwischen dem Südlibanon und dem Iran und die Verhinderung der Ausbreitung des sunnitischen Einflussbereichs. Aus dieser Achse ist Syrien nun herausgebrochen. Dadurch sind auch keine Waffen- und sonstigen Lieferungen an die sehr geschwächte Hisbollah aus dem Iran möglich.
Freie Syrische Armee (FSA) / Syrische Nationale Armee (SNA)
Die FSA wurde im Sommer 2011 von desertierten Soldaten mit dem Ziel des Sturzes des Assad-Regimes gegründet und war zu Beginn des Kriegs die wichtigste Oppositionsgruppe. Ihr Ziel war, nach dem Sturz des Assad-Regimes, die Errichtung eines demokratischen Systems in Syrien. Die FSA war zu Beginn des Kriegs ein loses Bündnis bewaffneter Gruppen, verlor im Laufe des Kriegs stetig an Bedeutung und zerfiel in viele unterschiedliche Fraktionen. Einige dieser Fraktionen sind stark islamistisch geprägt.
In den ersten Jahren des Kriegs wurde die FSA vor allem durch die Türkei, mehrere Golfstaaten und auch begrenzt durch die USA unterstützt. Insbesondere Saudi-Arabien sah die Möglichkeit gegeben, die syrisch-iranische Achse zu brechen und die Vormachtstellung im Nahen Osten zu festigen. Bemerkenswerterweise hat Saudi-Arabien, neben weiteren arabischen Staaten, nur wenige Monate vor dem Sturz Assads versucht, die Beziehungen zu seinem Regime wieder zu normalisieren.
Auch für die Türkei bestand die Möglichkeit, den Einflussbereich auszubauen und mögliche Gebietsansprüche durchzusetzen. Ab 2016 kämpften einige der unter FSA aufgetretenen islamistischen Rebellengruppen als nun neue Syrische Nationale Armee (SNA) mit türkischer Unterstützung im Nordosten des Landes gegen die Syrisch-Demokratischen Kräfte (SDF), die von den syrischen Kurd:innen angeführt werden. Das führte paradoxerweise wiederum dazu, dass die SDF auch um Hilfe bei dem ihr und der FSA/SNA verfeindeten Assad-Regime ansuchte. In den letzten Jahren ist die Türkei der größte Unterstützer der unter FSA/SNA auftretenden (islamistischen) Rebellen. Derzeit kontrolliert die FSA/SNA bzw. die Türkei selbst kleinere Teile im Norden bzw. Nordwesten des Landes.
Syrisch-Demokratische Kräfte (SDF)
Die SDF ist ein 2015 geschaffenes Bündnis verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen, welches den Nordosten des Landes kontrolliert. Neben den kurdischen besteht sie vor allem aus arabischen und christlich-assyrischen Gruppierungen. Die kurdischen Milizen sind insbesondere durch ihren Kampf gegen den Islamischen Staat der Weltöffentlichkeit bekannt geworden, bei dem sie weitreichende Unterstützung von den USA erhalten haben. Seit Jahren muss sich die säkular ausgerichtete SDF, die weiterhin die Unterstützung der USA genießt, gegen die Türkei, NATO-Partner der USA, und den von ihr unterstützten islamistischen Rebellen zur Wehr setzen. Die Türkei betrachtet die kurdischen Einheiten innerhalb der SDF als syrischen Ableger der als Terrororganisation eingestuften Arbeiterpartei PKK.
Islamischer Staat (IS)
Im Zuge des Machtvakuums in Syrien und Irak hat sich die IS-Terrorgruppe große Gebiete in beiden Ländern einverleibt und im Juni 2014 ein Kalifat ausgerufen. Der IS verübte zahlreiche Kriegsverbrechen bis hin zu einem an Jesiden verübten Genozid.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass alle bisher genannten Gruppen mit dem IS verfeindet waren und ihn bekämpften, wobei das syrische Regime den IS nutzte, um die syrischen Rebellen unter FSA zu schwächen. Heute ist der IS als militärische Einheit in Syrien quasi nichtexistent.
Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) und weitere islamistische Milizen
HTS ist eine in mehreren Staaten sowie in der EU gelistete Terrororganisation, welche innerhalb von zwei Wochen einen militärischen Feldzug gegen das Assad-Regime führte und dieses schließlich stürzte. Die HTS wurde 2016/2017 durch einen Zusammenschluss mehrerer islamistischer Gruppierungen gegründet und gilt als Nachfolgerin der ebenfalls terroristischen Al-Nusra-Front, welche sich wiederum 2016 von Al Qaida losgesagt hatte. Sie steht unter der Führung von Ahmed al-Sharaa, der davor Anführer der Al-Nusra-Front war. HTS hat sich in den letzten Jahren zur wichtigsten Oppositionsgruppe entwickelt und hat jahrelang in der Region Idlib einen Quasi-Staat betrieben.
Die Türkei und die von ihr abhängigen Rebellengruppen können als Alliierte der HTS gesehen werden, obgleich es in den ersten Jahren seit ihrer Gründung zu Konflikten mit den von der Türkei kontrollierten Milizen gekommen ist und die Türkei die HTS als Terrororganisation einstuft.
Wie geht es weiter?
Eine Prognose zu erstellen, ist naturgemäß schwierig und hängt von vielen Faktoren ab: Wird die HTS andere Gruppen in den Übergangsprozess einbeziehen? Inwiefern wird sich die Türkei weiterhin in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen? Wird die SDF sich von Syrien abspalten? Inwiefern werden Minderheiten geschützt und in den Aufbauprozess einbezogen? Das sind nur einige der vielen Fragen, deren Antworten die Zukunft Syriens bestimmen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Situation in Syrien nicht eskaliert.