Thailand: Ein Land schreit nach Demokratie
Nach monatelangen Verhandlungen hat das Parlament in Bangkok einen neuen Premierminister gewählt. Statt dem jungen Reformer des Wahlsiegers Move Forward Party ist es der Kandidat der zweitplatzierten Pheu Thai geworden. Die Partei der „Rothemden“ hat mit den einstigen Erzrivalen der „Gelbhemden“ eine Koalition gebildet und verhindert damit eine weitere Demokratisierung des Landes.
Die Militärdiktatur und die Demokratie
Bevor wir auf die aktuellen Ereignisse eingehen können, müssen wir erstmal verstehen, wie die politische Lage in Thailand vor der Parlamentswahl im Mai 2023 war und wie das politische System aufgebaut ist. Thailand ist eine konstitutionelle Monarchie mit dem König Maha Vajiralongkorn, welcher seit 2016 auf dem Thron ist. Der König selbst führt zwar keine tagespolitischen Geschäfte, hat aber die Möglichkeit, ein Veto bei Gesetzen einzulegen. Des Weiteren besteht das Parlament aus zwei Kammern: dem Senat mit 250 Mitgliedern und dem Repräsentant:innenhaus mit 500 Mitgliedern. Der Senat, welcher in Thailand einen stärkeren Einfluss hat als unser Bundesrat, wird zum Teil ernannt und zum Teil gewählt und ist das Kontrollorgan des thailändischen Militärs. Wieso die Junta die erste Kammer unter seiner Kontrolle hat? Grund dafür ist der Militärputsch im Jahr 2014. Damals wurde die thailändische Verfassung teilweise außer Kraft gesetzt und durch eine Verfassung des Militärs ersetzt. Vom Volk gewählt werden somit nur die 500 Mitglieder der zweiten Kammer. Nach der Wahl muss der Premierminister oder die Premierministerin, welche:r mit der Regierungsbildung beauftragt wird, erst von den Mitgliedern der Nationalversammlung gewählt und vom König bestätigt werden, bevor diese:r eine Regierung bilden kann. Die Nationalversammlung besteht, ähnlich wie unsere Bundesversammlung, aus den Mitgliedern des Senats und des Repräsentant:innenhauses.
Der progressive Jungpolitiker gegen die Militärjunta
Aufgrund anhaltender Proteste besonders von jungen Menschen kam es im Mai 2023 schließlich wieder zu Wahlen. Die Move Forward Party (MFP) mit ihrem Spitzenkandidaten Pita Limjaroenrat gewann dabei mit 36,2 Prozent der Stimmen. Die Partei positioniert sich politisch recht mittig, verfolgt aber auch liberale und sozialliberale Ziele. Der Spitzenkandidat Pita ist landesweit sehr beliebt, da er mit seinen 42 Jahren als jung und unverbraucht gilt. Besonders eine Forderung der Partei brachte ihr viele Stimmen ein: das Aufheben des sogenannten Lèse-Majesté-Gesetzes, also des Gesetzes gegen Majestätsbeleidigung. Es gilt weltweit als das strengste Gesetz dieser Art. Weil es sehr breit formuliert ist, kann es auch zur politischen Verfolgung genutzt werden. Bis zu 15 Jahre Haft sind möglich, Gefängnisstrafen werden tatsächlich häufig verhängt. Das Majestätsbeleidigungsgesetz ist in Thailand schon lange umstritten – die Militärs möchten gerne daran festhalten, auch weil der König General der thailändischen Streitkräfte ist. In der Bevölkerung gibt es jedoch seit Jahren Proteste gegen das Gesetz. Da die Bevölkerung zudem vom jetzigen König nicht gerade angetan ist und mit der militärnahen Regierung unzufrieden war, konnte Pita mit seiner Partei als Wahlsieger hervorgehen.
Die Hürden des Fortschritts
Die größere Hürde stand Pita und der MFP aber noch bevor: die Wahl zum Premierminister. Spätestens hier konnte man deutlich merken, was das Militär von einem progressiven Jungpolitiker hält, der ihnen sehr gefährlich werden kann. Denn der gesamte Senat, vom Militär bestellt und erzkonservativ, stimmte beim ersten Wahlgang zum Premierminister gegen ihn. Mit ihnen auch viele Abgeordnete der militärnahen Phalang-Pracharat-Partei, welche die Vorgängerregierung stellte. Somit erreichte Pita im ersten Wahldurchgang nur 324 der erforderlichen 376 Stimmen, um Premierminister zu werden. Und das, obwohl die MFP vorab eine Koalition mit der zweitplatzierten Partei Pheu Thai eingegangen ist. Doch der Grund, wieso Pita nicht die Mehrheit der Stimmen erreichen konnte, war die Macht des Militärs: Nur 13 der 324 Stimmen stammten von Senator:innen. Auch viele andere Abgeordnete stimmten nicht für den jungen Wahlsieger. Der Grund: Die MFP wollte nicht von ihrer Forderung abrücken, das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung zu reformieren.
Der Traum nach Fortschritt schwindet
Selbst im zweiten Wahlgang hätte es Pita wahrscheinlich nicht geschafft, die nötigen Stimmen zu erreichen. Doch so weit kam es gar nicht erst. Während der Sitzung der Nationalversammlung, bei der die zweite Wahl geplant gewesen wäre, musste Pita den Saal verlassen, da sein Amt als Abgeordneter vom Verfassungsgericht suspendiert wurde. Ihm wird vorgeworfen, Aktien von einem Medienunternehmen zu besitzen, das gemäß der thailändischen Verfassung verboten ist. Was an der Sache jedoch sehr kurios ist: Pita hat die Aktien schon vor mehreren Jahren als Nachlass von seinem verstorbenen Vater geerbt und die Verwaltung an Verwandte übertragen. Zudem ist das Unternehmen mittlerweile kein Medienunternehmen mehr. Dass ausgerechnet während der Premierministerwahl eine Beschwerde an die offiziellen Stellen ergangen ist, zeugt laut MFP davon, dass man den Reformer Pita von der politischen Bildfläche verschwinden lassen will.
Was die politische Zukunft in Thailand bringt
Zumindest als Premierminister konnte er tatsächlich erfolgreich verhindert werden. Die zweitstärkste Partei Pheu Thai ging eine Koalition mit zehn weiteren Parteien ein, ihr Kandidat Srettha Thavisin wurde zum 30. Premierminister von Thailand gewählt. Der neue Premier wird alle Hände voll zu tun haben, dieses Machtgefüge zusammenzuhalten, schließlich sitzen mit den konservativen „Gelbhemden“ die einstigen Erzfeinde der Pheu-Thai-„Rothemden“ mit in der Regierung. Insbesondere in den sozialen Medien brodelt es gewaltig. Viele Thais fühlen sich von der Militärjunta um ihre Wahl betrogen – sie sehen die demokratisch abgehaltenen Wahlen als Scheinwahlen, da ihre Stimme nur dann respektiert werde, wenn sie der Meinung des Militärs entspricht. Zudem gibt es offenbar einen Deal zwischen der Pheu Thai und dem Militär: Am Tag der Premierministerwahl reiste der ehemalige thailändische Premier und Parteigründer, Thaksin Shinawatra, nach 15 Jahren im Exil wieder nach Thailand ein. Wegen seiner zahlreichen laufenden Strafverfahren wurde er direkt vor das oberste Gericht gebracht. Insider vermuten aber, dass Thaksin aufgrund seines Alters nicht lange im Gefängnis sein wird, da ab 70 Jahren in Thailand die Möglichkeit auf Bewährung sowie Begnadigung durch den König besteht.
Die politische Lage bleibt somit wohl auch nach der Wahl des Premierministers weiterhin angespannt. Einerseits wegen der Unzufriedenheit der Bevölkerung, andererseits wegen der Schwierigkeit, eine Koalition aus elf Parteien arbeitsfähig zu halten. Eine neuerliche Intervention des Militärs ist aber wegen der eher militärfreundlichen Regierung unwahrscheinlich.