Türkis-Blau und die Überwachung
Alle Parteien sind sich einig, dass Österreich sicher sein soll. Aber wie man das sicherstellt, darüber gibt es schon weniger Konsens. So haben sich ÖVP und FPÖ in den letzten Jahren immer wieder für mehr Überwachung ausgesprochen.
Ein Überwachungsstaat hat mehrere Probleme. Einerseits hilft er nicht dabei, Verbrechen vorzubeugen. Auf die allermeisten Terroranschläge in Europa hatten die zuständigen Behörden im Vorfeld ihrer Tat Hinweise – das betrifft auch den Anschlag in Wien im Jahr 2020. Andererseits liefert er autoritären Regierungen eine Handhabe: Wenn die eine Regierung weitgehende Befugnisse einführt, aber verantwortungsvoll nutzt, ist das noch kein Garant dafür, dass das in Zukunft alle so handhaben werden. Überwachung ist letztlich immer auch ein Geschenk für Autoritäre, die ihrer Opposition schaden wollen.
Wenn der Staat zum Hacker wird
Brisant waren vor allem die Maßnahmen im Bereich Überwachung: Mit einem „Bundestrojaner“ wollte die türkis-blaue Regierung Möglichkeiten schaffen, die eigene Bevölkerung auszuspionieren. Das Problem dabei ist – neben der Einschränkung des Rechts auf Privatsphäre, das bei Überwachungsmaßnahmen immer leidet –, dass die Republik Österreich damit Software-Anbieter verpflichten würde, „Backdoors“ offen zu lassen: also Sicherheitslücken, auf die der Staat bei der Spionage angewiesen ist. Diese Lücken wären aber für alle offen, auch für Hackergruppen. Damit würde alleine die Umsetzung dieses Vorschlags die Sicherheit der Menschen in Österreich gefährden.
Auf Schiene gebracht wurde diese Maßnahme vom damaligen Innenminister Kickl, vorgedacht aber wurde sie von der ÖVP. Diese forderte schon in den späten Tagen der rot-schwarzen Koalition einen Bundestrojaner, um verschlüsselte Kommunikation zu überwachen. Sein Gesetzesentwurf sah unter anderem vor, die Kontaktverzeichnisse von Bürgerinnen und Bürgern auf Services wie Outlook, Skype oder WhatsApp auszulesen, gekostet hätte die Lösung wohl 450.000 Euro pro Jahr, alleine durch Lizenzgebühren. Die türkis-blaue Regierung, die diese Maßnahmen letztendlich umsetzen wollte, berief sich bei den Details auf das Amtsgeheimnis.
Überwacht im eigenen Auto
Außerdem wollte Türkis-Blau die sogenannte Kennzeichenerfassung umsetzen: Der Staat hätte demnach nicht nur erfassen dürfen, welches Fahrzeug wo ist und wer es lenkt, sondern auch wer sich noch darin befindet.
Dabei gibt es auf Autobahnen bereits einige tausend Kameras. Sie gehören der Asfinag und werden z.B. benutzt, um Staus festzustellen, das Verkehrsgeschehen zu überblicken und die Sicherheit auf Raststätten zu erhöhen. Was sie aber nicht können, ist eine Live-Dokumentation von Gesichtern, nur die automatische Erkennung der digitalen Vignette ist bereits möglich. Die Bilder gibt es also ohnehin.
Umgesetzt wurde die Reform zwar, aber die Kosten-Nutzen-Rechnung ist deutlich: Zwischen Mai 2018 und März 2019 wurden 2,9 Millionen Kennzeichen erfasst, aber nur in 181 Fällen wurden diese zur Aufklärung von Verbrechen genutzt: also in 0,006 Prozent der Fälle.
Betroffene ÖVP ändert vorläufig ihren Kurs
Das einzig Gute an den Vorschlägen der ÖVP und FPÖ zum Thema Überwachung: Sie gelten heute nicht mehr. Denn der Verfassungsgerichtshof hat diese Regelungen allesamt aufgehoben: Die Einschränkungen der Privatsphäre stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen. Der Bundestrojaner hätte ab April 2020 eingesetzt werden sollen, ging also nie „live“, die Kennzeichenüberwachung brachte nur anlasslose Massenüberwachung.
Und wie reagierte der zuständige Innenminister der türkis-blauen Koalition, Herbert Kickl? Mit folgendem Zitat: „Diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes macht den heutigen Tag zum Feiertag für die organisierte Großkriminalität und den terroristischen Extremismus. Das ist ein schlechter Tag für die Sicherheit der Österreicher.“ Die Kritikpunkte von NGOs, Expertinnen und Experten, der Zivilgesellschaft, aus dem Parlament und aus dem Verfassungsgerichtshof nimmt er nicht ernst.
Mittlerweile ist es um die Überwachungsfantasien still geworden, zumindest vorerst. Möglicherweise weil Hausdurchsuchungen und die Auswertung von Chatprotokollen in letzter Zeit vor allem die ÖVP selbst betreffen. Jetzt setzt sie sich für stärkere Beschuldigtenrechte und ein Zitierverbot aus Ermittlungsakten ein, während sie mehr Transparenz in parlamentarischen U-Ausschüssen blockiert. Der Kurswechsel könnte also parteipolitischem Kalkül geschuldet sein. Für die Grundrechte ist er aber eine gute Nachricht.