Türkis-Grün: Postenkrieg um Schlüsselpositionen
Eine unabhängige Justiz und eine funktionierende Verwaltung sind Eckpfeiler unseres Rechtsstaats. Daher sollte es selbstverständlich sein, Schlüsselpositionen dieser wichtigen Institutionen um jeden Preis vor politischer Einflussnahme zu bewahren.
In der Vergangenheit wurden solche Positionen – insbesondere unter türkiser Regierungsbeteiligung – immer häufiger mit denjenigen besetzt, die die entsprechende politische Couleur innehaben. Die Postenkorruption wird immer mehr zum Alltag: Sei es Thomas Schmid, der seine ÖBAG-Chef-Ausschreibung selbst mitformuliert haben soll, oder Bundespolizeidirektor Michael Takacs, für welchen eine passende Stelle extra geschaffen wurde.
Gerade dadurch wird verhindert, dass die bestqualifizierten Personen derart wichtige Positionen in unserer Republik erhalten – was nicht nur unfair ist, sondern auch unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat schadet.
Postenkorruption, alive and well
Der „Sideletter“ ist ein ursprünglich geheimes Dokument, in dem ÖVP und Grüne sich darauf geeinigt haben, wer welche Schlüsselpositionen besetzen darf – wäre es nicht geleakt worden, wäre es nie an die Öffentlichkeit gelangt. Darin vorgesehen war, dass die ÖVP den:die Präsident:in des Bundesverwaltungsgerichts nominiert. Das Gesetz sieht jedoch ein klares Verfahren vor, in dem eine Kommission unter Vorsitz der Höchstrichter:innen Hearings durchführt. Die Hearings sind besonders bedeutsam, weil sie für Transparenz sorgen und die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen bei der Vergabe von wichtigen Posten garantieren. Laut Angaben des Vizekanzlers wurde die Ausschreibung der Präsidentschaft am 7. Juli 2022 eingeleitet – also vor fast einem Jahr.
Am 13. Februar 2023 übermittelte die Kommission ihre Empfehlungen ans BMKÖS: Die Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung, Sabine Matejka, wurde von der Kommission erstgereiht. Alle Kandidat:innen wurden über die Reihung informiert – doch der Posten bleibt und bleibt vakant. Auch Stimmen aus der Zivilgesellschaft und Bundespräsident Alexander Van der Bellen äußerten sich dazu kritisch. Ein Beschluss der Regierung ist noch immer ausstehend. Den braucht es jedoch, damit der Bundespräsident die oder den neue:n Leiter:in ernennen kann. Was ist da los?
BVwG: Umstrukturierung eines Gerichts
Der vorige Präsident des BVwG, Harald Perl, ging mit Ende November 2022 in den Ruhestand. Seitdem leitet der ÖVP-nahe Vizepräsident des BVwG, Michael Sachs, der auch schon wegen seiner Rechtsprechung in der Kritik stand, das Gericht interimistisch. Das mag so manches Regierungsmitglied erfreuen – denn das passiert in einer Zeit, in der das Gericht eine große Umstrukturierung erlebt, die auch Neubesetzungen von Kammervorsitzenden beinhaltet (siehe: Geschäftsverteilung 2023).
Anfang Juni hätten BMKÖS und BMJ aufgrund parlamentarischer Anfragen eine Reihe an Antworten zu dem Bestellungsprozess liefern sollen. Abseits einer Missachtung des parlamentarischen Fragerechts besteht wohl auch kein Interesse an Transparenz gegenüber Bürger:innen: Die Ministerien detaillieren weder den Zeitplan, der für die Neubesetzung angedacht war, noch deren Positionen hinsichtlich des Vorschlags der Kommission. Auch konkrete Details zur Bestellung der Kammervorsitzenden bleiben unbekannt.
Die neuen Kammervorsitzenden sollen „freilich nur interimistisch“ bestellt werden, so Justizministerin Alma Zadić. Doch wer garantiert, dass die Besetzungen durch Michael Sachs wirklich nur interimistisch sind? Schon jetzt wird oft strategisch festgelegt, wer etwas vorläufig leiten darf – um dann bei der dauerhaften Besetzung mit Erfahrung zu punkten. Und abgesehen davon: Ist es in Zeiten einer Umstrukturierung nicht ein enormer zusätzlicher Aufwand, wenn weitere wichtige Posten interimistisch besetzt werden? Das kann nicht im Sinne des guten Funktionierens des Gerichts sein.
Fakt ist: Die Umstrukturierungen des Gerichts und die damit verbundenen Postenbesetzungen waren schon lange geplant. Die beste Kandidatin ist seit Monaten bekannt. Eine Umstrukturierung des Gerichts – unter neuer Leitung der bestqualifizierten Person – wäre zeitlich möglich gewesen. Warum das nicht passiert ist? Vermutlich aus parteipolitischen Gründen.
BWB: Politische Verhandlungen statt objektiver Postenvergabe
Andere Behörde, dasselbe Dilemma: Auch bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) wartet man vergeblich auf eine Neubesetzung der Leitung. Ähnlich wie beim Bundesverwaltungsgericht war auch hier in einem „Sideletter“ vorgesehen, dass die ÖVP bei der Besetzung Vorrang haben sollte. Bereits vor mehr als einem Jahr ging der Bewerbungsprozess zu Ende – mit dem Ergebnis, dass der aktuelle interimistische Leiter des BVwG, Michael Sachs, als geeignetster Kandidat hervorging. Hinter ihm landete Natalie Harsdorf-Borsch, die schon seit längerer Zeit die stellvertretende Leiterin der BWB ist. Diese Reihung wird scharf kritisiert – gleich aus mehreren Gründen.
Die Kommission, die über die Reihung der Kandidat:innen entschied, besteht aus vier Mitgliedern. Zwei davon werden vom Wirtschaftsministerium, das ÖVP-geführt ist, bestellt – einer davon angeblich ein Bekannter von Sachs, der mit ihm in der die BWB beratenden Wettbewerbskommission sitzt, als Vorsitzender der Begutachtungskommission. Noch kritischer: Das Wirtschaftsministerium wollte ursprünglich sogar Sachs’ Ehefrau in selbige Kommission bestellen, die sich dann allerdings selbst für befangen erklärte.
Sachs gilt als Experte im Bereich Vergaberecht, während Harsdorf-Borsch im Kartellrecht jahrelange Erfahrung vorweisen kann. Ihre Qualifikation wurde dennoch mit einem Punkt weniger bewertet. Kritik kommt hier insbesondere, weil nicht unstrittig ist, dass das Vergaberecht überhaupt als Teil des Wettbewerbsrechts einzuordnen ist – das immerhin das Kernthema der BWB ist.
Die Grünen kritisierten – wenig überraschend – das Ergebnis der Begutachtungskommission und beauftragten deshalb Rechtsanwalt Meinhard Novak mit der Erstellung eines Gutachtens, um genau die oben angesprochene Frage zu klären: Ist Vergaberecht überhaupt Wettbewerbsrecht? Dieser kommt zum Schluss, dass dem nicht so ist und Sachs somit ungeeignet ist. Daraufhin ließ Wirtschaftsminister Martin Kocher ein Gegengutachten von einem deutschen Professor erstellen. Kostenpunkt? 10.000 Euro, finanziert durch Steuergeld. Ergebnis? Wettbewerbsrecht umfasst auch Vergaberecht.
Es bleiben aber diverse Fragen offen, wie eine Anfragebeanwortung zeigte: Wie konnte sich der deutsche Gutachter ohne Zugang zur Ausschreibung oder den Bewerbungsunterlagen von der Eignung Sachs’ überzeugen? Wieso wird das Gutachten nicht öffentlich zur Verfügung gestellt? Und wieso stellt das Ministerium den Wunschkandidaten der ÖVP weiterhin öffentlich als geeignet dar, wenn man sich sonst wenig transparent verhält?
Vertrauen in die öffentlichen Institutionen?
Bei der Besetzung der BWB war bereits das Auswahlverfahren politisch motiviert. Dieses lief bei der Ausschreibung der BVwG Leitung ordnungsgemäß ab – nachbesetzt wird aus taktischen Gründen trotzdem nicht. Beide Sachverhalte haben also eines gemeinsam: Ein parteipolitischer Kleinkrieg um Postenbesetzung verhindert die Leitung und somit die Arbeit einer wichtigen Behörde. Während sich die Grünen bei der Besetzung der BWB mit Sachs sträuben, will die ÖVP Matejka als Leiterin des BVwG nicht.
Kanzler Nehammer sagt explizit, dass die „politischen Verhandlungen noch nicht beendet sind“ – und spricht damit das eigentliche Problem an. Die Besetzung von derart wichtigen Positionen ist immer noch von parteipolitischem Kalkül geprägt. Von einer verantwortungsvollen Politik wäre zu erwarten, dass wichtige Schlüsselpositionen der Republik mit den bestqualifizierten Personen besetzt werden – und nicht bis ins Unendliche vakant gelassen werden. Oder mit jenen besetzt werden, die der politischen Couleur entsprechen.
An den Nachbesetzungen besteht jedoch ein hohes öffentliches Interesse: Das Bundesverwaltungsgericht ist das größte Gericht Österreichs und überprüft Beschwerden über Behördenentscheidungen, beispielsweise im Asyl- und Fremdenwesen, im Bereich Soziales, Datenschutz oder Schulrecht. Es ist also eine wichtige Anlaufstelle für alle Bürger:innen. Und die BWB stellt Geldbußenanträge in Höhe von bis zu mehreren Millionen Euro wegen Kartellverstößen und sorgt so für die Verhängung von Strafen in durchaus unangenehmer Höhe. Sie ist somit zweifelsohne eine wichtige Institution unseres Landes – vor allem im Hinblick auf transparentes und rechtskonformes Handeln.
Spätestens seit dem letzten U-Ausschuss ist klar, dass parteipolitische Postenbesetzungen in Österreich ein Problem struktureller Natur sind. Das schadet dem Rechtsstaat, schwächt das Vertrauen der Bürger:innen in die öffentlichen Institutionen und verschlechtert die bereits besorgniserregende Korruptionsbilanz Österreichs (siehe GRECO-Bericht). Und das in einer Zeit, in der sich die Politik eigentlich überlegen sollte, wie das Vertrauen der Bevölkerung in öffentliche Institutionen und Rechtsstaat gestärkt werden kann.