Türkis-Grün versagt beim Bodenschutz
Im Regierungsprogramm finden sich ambitionierte Pläne zum Bodenschutz – die nicht umgesetzt wurden. Stattdessen beobachten wir einen parteipolitischen Konflikt zwischen Grünen und ÖVP. Und Scheinbeschlüsse, die keine Veränderung bewirken werden.
„Wir wollen uns darauf konzentrieren, wichtige Reformen auf den Weg zu bringen.“
So oder so ähnlich hörte man die Parteispitzen von ÖVP und Grünen in den ersten Wochen des Jahres. Denn das Neuwahl-Gerücht dominierte die öffentliche Debatte. Nicht zum ersten Mal, immerhin gab es schon öfter den Eindruck, dass die Regierungskoalition sich auf nichts mehr einigen könne. Aber von Karl Nehammer und Werner Kogler abwärts wurde abgewunken: Nein, da kommt noch was.
Und da waren einige Punkte natürlich aufgelegter als andere. Das Informationsfreiheitsgesetz etwa – eine langjährige Kernforderung der Grünen, um das Amtsgeheimnis abzuschaffen. Daraus wurde ein fauler Kompromiss, der es den Ländern ermöglicht, Transparenz jederzeit wieder abzuschaffen. Aber zumindest ein Gesetz mit dem angekündigten Namen wurde beschlossen.
Weniger erfolgreich ist die Bundesregierung in einem Bereich, der beiden Parteien ein Anliegen sein sollte: Bodenschutz. Wo die Grünen den Umweltschutz und die ÖVP die Interessen der Landwirtschaft vertreten sollten, geht seit 2019 nichts weiter. Und erst vor kurzem verpassten die Länder dem Anliegen den Todesstoß.
Warum wir überhaupt Bodenschutz brauchen
Um zu verstehen, warum dieses Anliegen überhaupt wichtig ist, muss man verstehen, was „Bodenverbrauch“ bedeutet. „Verbraucht“ heißt versiegelt – wenn aus natürlichem Boden, aus „Erde“, etwa eine asphaltierte Straße wird. Dadurch kann dieser Boden seine ökologischen Funktionen nicht mehr wahrnehmen: Er ist kein Lebensraum mehr für Tiere und Pflanzen, er nimmt kein Wasser mehr auf, er speichert kein CO2, er kühlt die Außentemperatur nicht mehr. In Österreich passiert das jeden Tag mit durchschnittlich 12 Hektar, Tendenz steigend.
Aus diesem Grund haben sich ÖVP und Grüne in ihrem Regierungsprogramm darauf verständigt, etwas zu tun: eine „österreichweite Bodenschutzstrategie für sparsameren Flächenverbrauch“ wird da angekündigt. Die Empfehlungen der Österreichischen Raumordnungskonferenz zur Stärkung der Orts- und Stadtkerne sollen umgesetzt werden, Regeln zur Bodenschonung und zum Schutz der Agrarstruktur sollen genauso kommen wie eine „Bodenbewertungsfunktion inkl. CO2-Speicherkapazität“. Und ein Kernstück des türkis-grünen Plans:
Ein „Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf netto 2,5 ha/Tag bis 2030 und mittelfristig zusätzliche Bodenversiegelung durch Entsiegelung von entsprechenden Flächen kompensieren“.
Das Kernproblem: Der Föderalismus
2,5 Hektar pro Tag. Dieses Ziel stammt aus der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes aus dem Jahr 2002 – und wartet bis heute auf Umsetzung. Das Problem dieses hehren Anliegens: Der Bund hat in der Bodenpolitik nur eine koordinierende Rolle. Die Raumordnung liegt bei den Ländern, und dadurch gibt es neun verschiedene Ansätze. Oberste Bauinstanz in den Gemeinden sind wiederum die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.
In der Praxis sieht die Bodenpolitik also so aus: Ein Ortschef in der Gemeinde kann sich – aus welchen Gründen auch immer – entscheiden, diverse Grundstücke umzuwidmen oder Baugenehmigungen zu erteilen. Bei Wünschen nach größeren Änderungen in der Raumordnungen wendet sich die Gemeinde an die Landesregierung. Gerade im ländlichen Bereich sind die handelnden Personen in Gemeinde- und Landespolitik oft in der gleichen Partei: Wünsche werden also besonders wohlwollend entgegengenommen. Und während Bürgermeisterinnen und Bürgermeister fröhlich bauen und umwidmen lassen – und sich ab und zu auch selbst dabei bereichern –, überlegt der Bund, was man dagegen machen könnte. Aber ihm fehlt die Kompetenz dazu.
Alleingang der Länder düpiert die Bundesregierung
Türkis-Grün wollte genau das ändern. Über die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK), eine Art Schnittstelle zwischen den Ländern durch den Bund, kann die Koalition an gemeinsamen Zielen und Maßnahmen arbeiten. Im Sommer 2023 scheiterte diese Konferenz laut Medienberichten am Veto der Grünen, da sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf keine verbindlichen Ziele einigen konnten.
Anfang März wagten die Länder dann den Alleingang: Auf Einladung eines oberösterreichischen ÖVP-Landesrats wurde bei einem sogenannten Raumordnungsgipfel der zuständigen Landesräte aller Bundesländer „eine Bodenschutzstrategie beschlossen“, so zumindest das türkise Wording. Dabei gibt es nur zwei Probleme:
- Bei diesem „Gipfel“ war der Bund nicht dabei. Insofern wurde auch kein rechtlicher „Beschluss“ gefasst, sondern eher ein politisches Commitment abgegeben.
- Der wesentliche Teil der Bodenschutzstrategie – die 2,5 Hektar pro Tag als verbindliches Ziel zu definieren – wurde schlicht und einfach nicht übernommen.
Türkis-grüner Konflikt zum Scheinbeschluss
In den Ländern reagiert man vor allem mit einem Wort: „Hausverstand“. Das Ziel von maximal 2,5 Hektar pro Tag könne man nicht einhalten, weil man sinngemäß gar nichts mehr bauen dürfe. Passend dazu richtet der oberösterreichische Landeshauptmann Stelzer den Grünen aus, „oberlehrerhaft“ zu reagieren. Der Oberösterreicher Markus Achleitner sieht darin „ideologische Luftschlösser“, der Niederösterreicher Stephan Pernkopf meint: „Eine absolute Zahl schützt noch keinen Hektar Boden.“
Die Anliegen des grün geführten Umweltministeriums wurden also nicht nur ignoriert und übergangen – die ÖVP-geführten Länder richten Gewessler auch noch öffentlich ihre Niederlage aus. In einer Presseaussendung schreibt das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung etwa:
„Auf Initiative von Oberösterreichs Raumordnungslandesrat Markus Achleitner trafen sich alle laut Bundesverfassung für die Raumordnung zuständigen, nämlich die Länder sowie der Gemeinde- und Städtebund, und haben endlich die von Expertinnen und Experten ausgearbeitete Österreichische Bodenstrategie beschlossen, nachdem dies voriges Jahr von einzelnen Bundesministerien noch blockiert wurde.“
Wie man das wirklich lesen kann: Die ÖVP richtet den Grünen aus, mit ihrem Drängen auf verbindliche Ziele „blockiert“ zu haben. Sinngemäß: Hättet ihr ohne diese lächerliche Zahl mitgemacht, hätten wir uns auch so einigen können. Aber ohne sie bleibt die Situation so, wie sie jetzt ist. Denn der angebliche „Beschluss“, den die Länder ohne Einbindung des Bundes getroffen haben, ist nur ein politisches Statement in einem Wahljahr. Und wie Regierungsparteien damit in der Regel umgehen, kennen wir aus anderen Bereichen.
Wege zu besserem Bodenschutz
Ein kleiner Trost: Wir wissen, was nötig wäre, um im Bodenschutz zu besseren Resultaten zu kommen. Die Kompetenzen müssten von den Ländern zum Bund wandern, es braucht verbindliche Ziele und vor allem: Daten. Denn ohne ein Flächen-Monitoring wird es schwer, den Erfolg etwaiger Maßnahmen zu überprüfen. Aber gleichzeitig wäre auch ein Kulturwandel nötig: Statt am Dorfrand mitten im Grünen ein neues Haus zu bauen, sollten wir über die Belebung der Ortskerne reden. Und dass die Gemeindepolitik einem nicht jeden Wunsch erfüllen kann, sondern auch auf den Boden schauen muss, wäre auch eine deutliche Veränderung.
Aber das ist Zukunftsmusik. Denn spätestens mit 13. März klar geworden, dass die grünen Anliegen im Bodenschutz tot sind. Ein entsprechender NEOS-Antrag im Parlament, die Bodenschutzstrategie zu beschließen und mit Maßnahmen zu beleben, wurde im Landwirtschaftsausschuss vertagt. Damit steht fest: Es bleibt viel zu tun – aber bis zur Nationalratswahl im Herbst dürfte sich in Österreichs Bodenpolitik nichts mehr ändern.