Überförderung: Wie das BMF das EU-Beihilfenrecht konsequent ignorierte
„Koste es, was es wolle“ hieß es vonseiten der Bundesregierung angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der COVID-Pandemie. Fast im Wochentakt wurden neue Wirtschaftshilfen angekündigt. In einem umfassenden Bericht zeigt der Rechnungshof zahlreiche Fehler vonseiten der damals handelnden Akteure auf. Es geht um Intransparenz, dubiose Beratungsverträge, überzogene Gehälter, um mangelhafte Effizienz der Maßnahmen und vieles mehr.
Der Konstruktionsfehler in den Corona-Förderungen
Ein Kritikpunkt des Rechnungshofes dreht sich um die sogenannte Konzernbetrachtung. Es geht um die Frage, wie man ein Unternehmen definiert, was also alles als Teil davon gilt.
Von unterschiedlichen Seiten wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Ausgestaltung der Förderrichtlinien für die COFAG-Zuschussinstrumente zu einer Ungleichbehandlung führen würde: Unternehmen, die jede Filiale als eigene GmbH führten, waren klar im Vorteil gegenüber Mitbewerbern, die alle Standorte in einer gemeinsamen GmbH betrieben. Das war vermeidbar, weil der entsprechende Kernbestandteil des EU-Beihilfenrechts bekannt war – es gibt also den Verdacht der gezielten Überförderung.
Es macht natürlich einen Unterschied, wenn die maximalen Fördergrenzen für den gesamten Konzern gelten oder jede Filiale das volle Volumen abrufen kann. Mehrfach wurde das Beispiel der Elektronikkette Media Markt herangezogen, die laut Transparenzportal mit 53 Filialen 127 Anträge in drei Jahren gestellt hat. Zum Vergleich: Hartlauer hat mit 160 Geschäften nur drei Anträge gestellt. Während Hartlauer rund 1,4 Millionen Euro an Beihilfen bekommen hat, konnte Media Markt mit der anderen Unternehmensstruktur um ein Vielfaches mehr abrufen. Der Rechnungshof hält dazu fest:
„Die Zuschüsse verteilten sich – infolge der fehlenden Konzernbetrachtung – ungleichmäßig auf ansonsten annähernd vergleichbare Konzernunternehmen. Dies konnte die Treffsicherheit der Zuschüsse beeinträchtigen, beziehungsweise zu Wettbewerbsverzerrungen führen.“
Das betrifft anscheinend mindestens rund 900 Förderantragsteller:innen, die im Dezember 2022 von der COFAG aufgefordert wurden, zusätzliche Informationen zur Unternehmensstruktur bereitzustellen. Nun drohen vielen Unternehmen hohe Rückzahlungen – laut Finanzminister sind Hilfen mit einem Volumen von über einer Milliarde Euro von potenziellen Rückforderungen betroffen.
Unternehmen bezahlen Fehler des Finanzministeriums
Das BMF bemüht sich nun, die Fehler der Vergangenheit mit der EU-Kommission auszubessern. Momentan wird versucht, Rückzahlungen zu vermeiden und andere Fördertöpfe zu finden, die man zur Rechtfertigung für die zu hohen Auszahlungen heranziehen könnte. Trotzdem wird es in einigen Fällen unvermeidbar sein, dass die EU-Kommission auf die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen besteht.
Viele Unternehmen wurden vom Finanzminister hinters Licht geführt und werden deshalb einen gewissen Teil der Zuschüsse zurückzahlen müssen. Verständlicherweise haben diese damals auf die Ausführungen der Regierung vertraut und innerhalb deren Vorgaben möglichst viel für das eigene Unternehmen herausgeholt. Die Rückzahlung ist aber letztlich nicht nur im Sinne der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch aus Gründen eines fairen Wettbewerbs und der möglichst effizienten Nutzung von Steuergeld dringend geboten.
Nebenbei hat der Streit um die EU-Konformität der Förderrichtlinien aber auch zu einem Auszahlungsstopp geführt. Aus diesem Grund warten viele Unternehmen, die mit der Frage der Konzernbetrachtung nichts zu tun haben, noch immer auf Hilfen. Sie wurden unbeabsichtigt zu Opfern in diesem Schauspiel, in dem es eigentlich nur um die korrekte Auslegung von EU-Beihilfenrecht geht. Am 10. August 2023 stieg weißer Rauch in Brüssel auf, und der Finanzminister freute sich, dass 750 Millionen Euro von der EU-Kommission genehmigt wurden. Zudem wird ein neues Instrument geschaffen, mit dem die Unternehmen tatsächlich entstandene Schäden ersetzt bekommen – selbstverständlich diesmal unter Beachtung der angesprochenen Konzernbetrachtung. Dafür musste die Bundesregierung das intransparente System COFAG wieder aktivieren, was beiläufig im Zuge der Sondersitzung am 30. August 2023 erledigt wurde.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Magnus Brunner und das Märchen vom unklaren Beihilfenrecht
Trotz alledem ist beim Finanzminister relativ wenig Einsicht zu erkennen. Während der Fragestunde im Nationalrat am 7. Juli 2023 geriet er aufgrund einiger Aussagen zum Beihilferecht in die Kritik. Dabei wurden mehrere falsche Behauptungen zum wiederholten Male in den Raum aufgestellt:
- Magnus Brunner behauptete, dass es unterschiedliche Definitionen von Unternehmen im Beihilferecht gibt. Diese Aussage ist jedoch falsch, da es seit vielen Jahren eine gängige Definition gibt, die auch in der Vergangenheit dazu dienen sollte, Überförderungen zu verhindern. Dazu kommt, dass er selbst viele Jahre lang Vorstandsvorsitzender der OeMAG – der Förderungsabwicklungstelle nach dem Ökostromgesetz – war und somit bestens über Beihilfenrecht Bescheid weiß.
- Der Finanzminister behauptet auch, dass aufgrund einer Nicht-Antwort der EU-Kommission im Parlament Regeln aufgesetzt und diese nur eingehalten wurden. Auch diese Aussage ist falsch, da die Definition des Unternehmensbegriffs in den Richtlinien vom BMF festgelegt wurde und nicht im Gesetz. Zudem liegt es nahe, dass selbst eine vermeintliche Nicht-Antwort durch die EU-Kommission die Gültigkeit des EU-Beihilferechts nicht aufhebt.
- Bundesminister Brunner behauptet, dass die EU-Kommission erst spät darauf gekommen sei, dass das BMF von einer anderen Definition ausgeht. Auch diese Aussage ist falsch. Die EU-Kommission konnte nicht davon ausgehen, dass das BMF bewusst entgegen dem EU-Beihilferecht Überförderungen ermöglichen wollte. Das BMF ignorierte alle Hinweise, bis die EU-Kommission in einem Schreiben mit Konsequenzen drohte.
Fehlende Einsicht beim Finanzminister
Diese falschen Aussagen des Finanzministers werfen ein Licht auf die fragwürdige Vorgehensweise des BMF in Bezug auf das Beihilferecht. Es steht die Vermutung im Raum, dass das BMF versucht hat, Überförderungen zu ermöglichen, und dabei die geltenden Regelungen und Hinweise der EU-Kommission ignoriert hat. Denn es gibt gute Argumente, warum das BMF bereits frühzeitig auf die Bedenken von Experten hätte hören sollen.
Zum einen hatte das BMF Erfahrung mit dem Konzept der „wirtschaftlichen Einheit“ allein schon aus dem österreichischen Unternehmensrecht. Es stimmt zwar, dass das Fehlen eines Verweises auf andere Bestimmungen des Beihilfenrechts im sogenannten „Befristeten Beihilferahmen“ als handwerklicher Fehler der Europäischen Kommission angesehen werden kann – das BMF konnte aber nicht allein deshalb davon ausgehen, dass jahrelange Praktiken und Definitionen im Umgang mit Förderungen plötzlich über Bord geworfen werden. In solchen Fällen sind nämlich eher Klarstellungen die Regel.
Zum anderen hätte das BMF bei der Europäischen Kommission einfach nachfragen können, ob die Umdeutung des Unternehmensbegriffs beabsichtigt war. Interessanterweise haben andere Stellen das Beihilfenrecht korrekt interpretiert, etwa das Arbeits- und Wirtschaftsministerium.
Diese Vorgehensweise wirft ernsthafte Fragen zur Kompetenz und Verantwortung innerhalb des Finanzministeriums auf und zeigt ein besorgniserregendes Ausmaß an Versagen im Krisenmanagement. Unabhängig der Zukunft der COFAG sollten diese Vorfälle transparent aufgearbeitet werden, damit sich ein solch lockerer und letztlich für viele Seiten unzufriedenstellender Umgang mit Steuergeld nicht mehr so leicht wiederholt. Krisenmanagement bedeutet auch die möglichst umfassende Wahrung der Rechtssicherheit – abenteuerliche Auslegungen von Rechtsnormen sollte nicht dazu zählen.